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Landwirte Die Lehren aus der Milchkrise

Wie Agrarhöfe in Sachsen-Anhalt eine erneute Durststrecke auf dem Milchmarkt vermeiden wollen.

05.11.2016, 23:01

Klietznick/Düsedau/Schwarzholz  l An Henk Heringas Tankstelle bekommen Kunden weder Benzin noch Diesel – aus seinem Zapfhahn fließt frische Milch. Im Juni hat der Agrarhof Heringa in Klietznick (Landkreis Jerichower Land) die Milchtankstelle eröffnet. „Am Wochenende verkaufen wir auch mal 150 Liter am Tag“, sagt der 39 Jahre alte Landwirt. 25 000 Euro hat Heringa in seine Milchtankstelle investiert. Er hat einen Weg gepflastert, ein Holzhaus gebaut, Tische und Stühle aufgestellt. Der Milchautomat liegt günstig, direkt am Elbe-Radweg. Immer mal wieder halten die Radler an. Henk Heringa und seine Frau Melanie Nietz bieten deswegen auch Flaschen an, die mit Erdbeer-, Vanille- oder Bananenpulver gefüllt sind. Einen Euro müssen die Kunden in den Automaten stecken, dann fließt ein Liter Milch.

Wegen ruinöser Preise haben viele Landwirte in Sachsen-Anhalt Milchtankstellen aufgestellt. Dennoch wird der Verkauf von Rohmilch direkt an den Verbraucher die Misere am Milchmarkt nicht lösen. Für den Betrieb von Henk Heringa ist der Betrieb der Milchtankstelle eine Nische. „Man lässt sich irgendetwas einfallen, um zu überleben“, sagt der gebürtige Niederländer, der vor 16 Jahren nach Sachsen-Anhalt gekommen ist. 25 Cent pro Kilogramm Milch hat Heringa zuletzt von seiner Molkerei bekommen – viel zu wenig, um überhaupt die Produktionskosten decken zu können. Heringa plagen Schulden. Einen sechsstelligen Kredit hat der Hof erst in diesem Jahr aufgenommen. Jeden Monat fehlen noch immer rund 15 000 Euro Milchgeld. Auch die Tankstelle kann den Verlust kaum mildern.

Die Leidenszeit für Henk Heringa und die anderen Milchbauern begann im Frühling des vergangenen Jahres: Die EU hatte die Milchquote abgeschafft, mit der sie seit 1984 versucht hatte, die Preise stabil zu halten. Eigentlich hatten sich viele Bauern auf das Ende der Quote gefreut. Der Bauernverband versprach sich die Erschließung neuer Märkte. Landwirte machten sich bereit für den Weltmarkt, investierten in Kühe und neue Ställe. Doch dann kam alles anders. Das Russland-Embargo kostete Abnehmer, im konjunkturschwachen China sank die Nachfrage. Es gab zu viel Milch, der Preis sank. Erst jetzt geht es langsam wieder nach oben. Doch für viele Landwirte kommt der Aufwärtstrend zu spät. Allein in Sachsen-Anhalt haben seit April 2015 64 von einst 457 Milchviehbetrieben die Produktion beendet. Das belegen Zahlen des Landesbauernverbandes.

Auch Constanze Thomsen hat investiert. Noch im vergangenen Jahr hat der Hof im altmärkischen Düsedau zwei neue Melkroboter für rund 240 000 Euro gekauft. Nun zählt die 49 Jahre alte Landwirtin schon die Tage, bis sie alleine ist. Alleine im Kuhstall. Denn der Hof im Landkreis Stendal beendet zum Jahresende die Milchviehhaltung. Nach mehr als 20 Jahren. 140 Kühe werden verkauft oder landen auf der Schlachtbank. Vielen der Tiere hat Constanze Thomsen einen Namen gegeben. Ihr fällt das Aufhören sichtlich schwer. „Es tut weh“, sagt Thomsen. „Aber es ist die richtige Entscheidung.“

Infografik: Anzahl der Milchbetriebe in Deutschland sinkt | Statista
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Der Hof der Thomsens in Düsedau ist so etwas wie eine Institution. Seit vielen Jahren kommen im Sommer Schulklassen und Kindertagesstätten vorbei. Landwirtschaft zum Anfassen. Vor allem in den Kuhstall zieht es die Kinder. Im Büro hängen Erinnerungen. „Vielen Dank, Familie Thomsen“, steht auf einem bunten Plakat. Daneben kleben Fotos von Kindern und Kühen im Heu. Wenn Ende des Jahres die letzten Kühe den Stall verlassen haben, bleibt den Thomsens nur der Ackerbau. Mais, Raps, Zuckerrüben, Roggen und Weizen wachsen auf den Feldern rund um Düsedau. Bislang kümmert sich vor allem Mann Jochen um den Anbau.

„Wir können aufhören. Mit dem Ackerbau sind wir gut aufgestellt“, sagt Constanze Thomsen. Die Erträge nutzte die Familie stets, um den Verlust aus der Milchproduktion auszugleichen. Doch in den vergangenen Monaten wuchs der Schuldenstand rasant. Constanze Thomsen hat jetzt die Notbremse gezogen.

Das letzte Gefecht hat für Peter Schuchmann schon vor Monaten begonnen. 100 000 Euro hat der 55 Jahre alte Milchbauer zusammen mit seiner Geschäftspartnerin investiert. Auf seinem Hof in Schwarzholz errichtete er einen Auslauf für Kälber, kaufte neue Maschinen, finanzierte Futter. Schuchmann hat seinen Hof zum Bio-Betrieb umgerüstet. Es ist die letzte Karte, die er ausspielen kann. Als Biobauer verdient er jetzt besser als seine konventionellen Kollegen. Im Schnitt zahlen Molkereien für einen Liter Biomilch etwa 20 Cent mehr als für herkömmlich erzeugte Kuhmilch. „Wir müssen damit Löcher vom letzten Jahr stopfen und Schulden bei der Bank tilgen“, sagt Peter Schuchmann, der auch Vorsitzender des Bundes Deutscher Milchviehhalter in Sachsen-Anhalt ist.

Doch Schuchmann will auch nichts beschönigen. Er weiß, dass ein Bio-Betrieb aufwendig ist und auch mehr kostet. Auf Feldern baut er nun Pflanzen an und stellt daraus Futter für die Kühe her. Dafür muss er auch auf künstliche Dünger verzichten, weil die Bio-Vorgaben das so verlangen. Zudem brauchen die Ställe eine gewisse Größe und die Kühe Auslauf. Die niedrigen Preise in den vergangenen Monaten dürften noch mehr Landwirte dazu bewegt haben, auf Bio umzustellen. Deswegen könnte der Aufpreis für Biomilch auch wieder schrumpfen. Milchviehhalter wie Peter Schuchmann sind deswegen längst auf der Suche nach der nächsten Nische.