1. Startseite
  2. >
  3. Sachsen-Anhalt
  4. >
  5. Fußball ist jetzt Nebensache

Lebensweg Fußball ist jetzt Nebensache

Eigentlich wollte der Ukrainer Artem Sikulskyi Fußballprofi werden. Nun hat er sich in Sachsen-Anhalt eine Existenz ausgebaut.

Von Antonius Wollmann 06.01.2019, 00:01

Stendal l Dass der Fußball in seinem Leben nur eine Nebenrolle spielt, hätte sich Artem Sikulskyi sich vor vier Jahren nicht so vorgestellt. Klar, zweimal pro Woche macht er sich noch auf zum Training beim TuS Schwarz-Weiß Bismark, steht am Wochenende in der Landesliga Sachsen-Anhalt auf dem Platz. Dazu kommt der lockere Kick in der Halle. Regelmäßig geht es in der Stendaler Breitensport-Liga zur Sache. Mit ehemaligen Provinz-Größen und Feierabendfußballern, deren Bierdurst größer ist als der Torhunger. Aber waren die Pläne nicht ganz andere, als er im Sommer 2014 aus der ostukrainischen Stadt Donezk nach Deutschland aufbrach?

Wer den athletischen jungen Mann im Bismarker Waldstadion oder in der alten Stendaler Schulsporthalle sieht, denkt unweigerlich: Der passt doch gar nicht hier rein. Bei den Annahmen verspringt kein Ball, das Passspiel ist von einer Präzision, die wenige seiner Mitspieler erreichen. Kaum einmal hat er es nötig, seine Gegner unfair zu stoppen. Stattdessen ist er immer den berühmten Schritt schneller. Und strahlt dadurch eine Souveränität aus, die man auf den Fußballplätzen der Altmark selten findet. Doch warum läuft der Ukrainer in der Provinz Sachsen-Anhalts auf, hält die Knochen beim Feierabendsport hin?

„Stimmt schon, in der Landesliga wollte ich eigentlich nicht spielen“, sagt der 27-Jährige und lacht. Artem Sikulskyi hat zum Gespräch in seine Altbauwohnung geladen, gießt sich ein Glas Wasser ein und denkt über die Frage nach, ob er unzufrieden ist über den Verlauf seiner Fußballerlaufbahn im Speziellen und dem Leben in der neuen Heimat im Allgemeinen. Darauf eine klare Antwort zu geben, ist alles andere als einfach.

Immerhin war er kurz vor seinem Aufbruch in das neue Land auf dem Weg zum Profi. Mit seinem Club Olimpik Donezk war er gerade von der zweiten Liga in die Premier League, die höchste Spielklasse, aufgestiegen. Den Traum vom großen Fußball hatte er sich fast erfüllt. Es winkten Duelle mit den ukrainischen Großclubs Dynamo Kiew und Schachtar Donezk. Champions League-Teilnehmer, gespickt mit internationalen Topspielern. Andererseits war die Perspektive mehr als fragil. Anfang 2014 war der Konflikt zwischen prorussischen Separatisten im Osten des Landes und der ukrainischen Regierung eskaliert. Es herrschten bürgerkriegsähnliche Zustände. Im Zentrum der Auseinandersetzung stand die Region um Donezk. Richtig zur Ruhe ist das Donezbecken seitdem nicht gekommen.

In dieser Situation traf Artem Sikulskyi die Entscheidung, die Ukraine zu verlassen. In Deutschland sollte es mit dem Fußball am besten genauso erfolgreich weitergehen. Natürlich nicht in der Bundesliga, so viel Realitätssinn hatte er sich bewahrt. Aber vielleicht würde er sich bei einem unterklassigen Verein für höhere Aufgaben empfehlen können, um so Sprosse für Sprosse auf der Leiter aufzusteigen.

Nach einem Trainingscamp in Neustrelitz landete er bei Lok Stendal. Zum damaligen Zeitpunkt ein ambitionierter Verbandsligist mit dem Ziel, in die Oberliga aufzusteigen. Lok und der junge Ukrainer – das schien perfekt zu passen. Bis nach einem passablen ersten Jahr plötzlich Probleme auftauchten. „Natürlich ist beim Fußball nicht alles so aufgegangen, wie ich es vorgehabt hatte“, versucht der Abwehrspieler eine Bilanz zu ziehen und schaut ernst. Nur einen Augenblick später lächelt er. „Aber unzufrieden bin ich mit meinem Leben in Deutschland überhaupt nicht“, fährt er in fließendem Deutsch fort. Ein Hinweis, dass er sich im Laufe der Zeit gut eingelebt hat. Seine kleine Wohnung im Plattenbau, in der er während seiner Anfangszeit untergekommen war, hat er verlassen. Seit zwei Jahren wohnt er in der schönen Bahnhofsvorstadt nahe der Stendaler Innenstadt.

Die neue Bleibe hat ihm sein Verein TuS Bismark vermittelt, der Spieler finanziert sie selbst von seinem Gehalt als Mitarbeiter der altmärkischen CDU. Der ehemalige Bundestagsabgeordnete Jörg Hellmuth war im Jahre 2015 auf ihn aufmerksam geworden, nachdem er die Geschichte des Ukrainers in der Zeitung gelesen hatte. Als Mitglied des Verteidigungsausschusses und der Deutsch-Ukrainischen Gesellschaft konnte er Artem Sikulskyi gut gebrauchen. Weil Hellmuth auf eine erneute Kandidatur verzichtete, heißt sein neuer Chef Eckhard Gnodke. Der zog im Jahre 2017 in den Bundestag ein. Sikulskyi blieb Teil des Teams, arbeitet im Stendaler Bürgerbüro. Spricht er über seine Arbeit, hört man einen gewissen Stolz in der Stimme. Darüber, es in einem fremden Land geschafft zu haben. Ohne vorher die Sprache gesprochen und auch nur einen einzigen Menschen wirklich gekannt zu haben. Für die CDU zu arbeiten, war für ihn nie ein Problem. „Ich schätze an Deutschland in erster Linie die große Stabilität. Dafür ist in meinen Augen die CDU zu einem großen Teil verantwortlich“, beschreibt er, weshalb er sich mit der Partei und deren Programm identifiziert. Seine Sympathien für die Union haben dabei auch etwas mit Angela Merkel und ihrer Ukraine-Politik zu tun. „Sie hat viel dafür getan, den Konflikt in der Donbass-Region zu entschärfen. Als Vermittlerin zwischen Russland und der Ukraine war sie sehr wichtig“, schätzt er ein.

Die Lage in der Heimat verfolgt er stets aufmerksam. Mit Sorge sah er, wie sich die Situation im November zuspitzte, nachdem ukrainische Marineboote im November im Asowschen Meer von Russland ausgebracht und die Besatzungen festgenommen worden waren. Der Präsident der Ukraine, Petro Poroschenko, hatte daraufhin das Kriegsrecht verhängt. Erst am 26. Dezember wurde es aufgehoben.

Zwar vermuteten viele Experten hinter der Eskalation Kalkül, weil sowohl Putin als auch Poroschenko von innenpolitischen Problemen ablenken wollten, Artem Sikulskyi nahm das Sebelrasseln trotzdem sehr mit: „Ich hatte zum ersten Mal richtig Angst vor einem blutigen Krieg.“ Der Blick auf ein Krisengebiet ist eben ein anderer, wenn die Mutter und der jüngere Bruder dort noch immer zu Hause sind. Die beiden unterstützt er finanziell. Ein Teil seines Gehalts fließt jeden Monat in die alte Heimat. Für Artem Sikulskyi eine Selbstverständlichkeit und von Anfang an ein Teil des Plans. Mit dem kleinen Unterschied, dass es nicht der Sport ist, mit dem er sein Geld verdient. Der Einstieg ins Berufsleben konnte nämlich nicht folgenlos für sein Leben als Fußballer sein. Die Prioritäten in seinem Alltag änderten sich. Statt viermal pro Woche zu trainieren, verbrachte er immer mehr Zeit im Büro oder in Berlin. Weil er mit einigen Verantwortlichen bei Lok Stendal außerdem über Kreuz lag, fiel im Sommer 2016 eine richtungsweisende Entscheidung. „Ich habe mich in Stendal abgemeldet und mit Bismark einen tollen neuen Verein gefunden“, blickt der Ukrainer zurück. Viel mehr möchte er zu seinem fußballerischen Abschied aus der Hansestadt nicht sagen. Nur eines stellt er klar: Am Trainer und den Teamkollegen habe es nicht gelegen.

Mit seinem Wechsel hatte sich eine Karriere als Profi erledigt. „Irgendwann musste ich mich sowieso entscheiden. Aber der große Aufwand beim Fußball neben der Arbeit war schlicht zu viel“, sagt Artem Sikulki ganz nüchtern. Da ist kein Bedauern, keine Bitterkeit. Er hadert nicht, dass er nur noch zum Spaß gegen den Ball tritt. Sein ursprüngliches Ziel hat er trotzdem erreicht: Sich eine Zukunft fern der Heimat aufzubauen.