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Leichte Sprache Endlich wissen, was los ist

Der Umgang mit Behörden fällt oftmals nicht leicht. Und es gibt Menschen, denen es besonders schwerfällt, mit Fachchinesich umzugehen.

03.12.2018, 23:01

Magdeburg/Halberstadt l „Erinnern Sie sich an die Zeit, als sie zu lesen begonnen haben“, sagt der Behindertenbeauftragte des Landes Sachsen-Anhalt, Adrian Maerevoet. „Buchstabe für Buchstabe haben wir uns nach vorn getastet“. So geht es seiner Meinung nach Menschen mit geistiger Behinderung, wenn sie versuchen, sehr schwere Begriffe zu verstehen. Das Wort „Behindertenbeauftragter“ nimmt Maeverot als Beispiel. In „Leichte Sprache“ übersetzt würde es mit Bindestrichen und Bildern dargestellt werden. Dann fällt es leichter, zu verstehen, was gemeint ist. Etwa 20 000 Menschen sind laut Maeveroet darauf angewiesen, Texte in leichte oder einfache Sprache übersetzen zu lassen.

Einer von ihnen ist Cindy Wedde, 31 Jahre alt. Sie arbeitet in einer Behindertenwerkstatt der Diakonie in Halberstadt als Tischlerin. So wie die anderen Teilnehmer der Werkstatt ist sie geistig behindert. Die Gruppe bevorzuge aber, so Werkstatt-Mitarbeiterin und begleitendes Mitglied der Gruppe, Janine Sawilla, die Bezeichnung „Menschen mit vielfältigen Beeinträchtigungen.“ Gleichzeitig ist Cindy Wedde aber auch Gründungsmitglied des Arbeitskreises „Leichte Sprache“ in der Werkstatt.

Entstanden ist dieser vor zwei Jahren, und zwar auf Eigeninitiative der Teilnehmer. „Nicht alle Wörter waren immer einfach zu verstehen. Aber dann nimmt man einfach ein anderes Wort, oder erklärt es. Dann wird es einfacher“, so Cindy Wedde.

Mit dem Lesen habe sie es nie so gehabt, erklärt die junge Frau, die eine Förderschule in Halberstadt besucht hat. Doch jetzt trägt sie mit Begeisterung das Leitbild ihrer Einrichtung vor. Diese Art des direkten Übersetzens, wie sie in den Diakonie-Werkstätten in Halberstadt passiert, ist ungewöhnlich. Die „Leichte Sprache“ entsteht hier im direkten Gespräch, nicht mit Hilfe eines externen Übersetzungsbüros.

Vorgelesen werden die originalen Texte in „Schwerer Sprache“, die Teilnehmer reden direkt darüber, was sie nicht verstehen. Unterstützend helfen die Betreuer Janine Sawilla, Klaus Rose und Sarah Müller dabei, die Verbesserungen auch umzusetzen. Auf diese Weise sind nicht nur interne Werkstatt-Texte in die „Leichte Sprache“ übersetzt worden, sondern bereits Anleitungen für andere Werkstätten sowie die interne Zeitung des Cecilienstiftes. „Ich finde das eine sehr gute Methode“, so Sarah Müller. „So haben wir die Prüfer immer gleich bei uns sitzen“, sagt die Diakonie-Mitarbeiterin.

Studiert hat sie nicht etwa Sprachwissenschaft, sie ist gelernte Ergotherapeutin. Seit dem ersten November ist sie in der Diakonie angestellt und arbeitet sich gemeinsam mit ihren Kollegen Klaus Rose und Janine Sawilla in das Thema ein. Ihr Zertifikat für „Leichte Sprache“ möchte sie im nächsten Monat noch machen. „Es ist sicher gut, es auch zertifiziert zu haben“, sagt die Therapeutin. Aber die Übersetzung funktioniere auch so. Vor allem in den Situationen, in denen Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen im Alltag auf Behörden stoßen, sei eine Übersetzung in einfache Sprache wichtig, so der Behindertenbeauftragte Adrian Maeverot. Gerade juristische Fachtermini sind bereits für Menschen ohne geistige Beeinträchtigung nicht einfach zu verstehen. Eine Erklärung wäre nötig. Komplett in leichte Sprache übersetzen ließen sich diese aber nicht, so Maerevoet, da es sich um eine Fachsprache handle.

„Aber es würde ja bereits genügen, einen Anhang hinzuzufügen, in dem in einfacher Sprache erklärt wird, was eigentlich zu tun ist“, sagt der Behindertenbeauftragte. Auch Sarah Müller sagt, dass es gerade bei Behördenschreiben nicht nur Menschen mit Behinderung sind, die sich freuen, wenn etwas einfach erklärt ist. „Da wären wir doch alle froh, wenn es noch ein Beiblatt gebe, oder?“ Juristische Schreiben durch Texte in „Leichter Sprache“ zu ersetzen, hält sie aber auch nicht für möglich. „Die wären sicher falsch.“ Aber Texte in leichter Sprache als Zusatz, das würde schon in Richtung „Selbstständigkeit“ führen. Im Moment bekommen Cindys Eltern ihre Post und lesen die Briefe für sie. Wünschen würde sie sich schon, die Briefe einfach selbst lesen zu können.

Auch anderen Betroffenen zufolge können nicht nur Menschen mit Behinderung von „Leichter Sprache“ profitieren. Cordula Schürmann, Prüferin bei der Bundesvereinigung Lebenshilfe, sieht das in einem Ratgeber für „Leichte Sprache“ ganz ähnlich: „Nicht nur Menschen mit Lernschwierigkeiten brauchen ,Leichte Sprache‘. Auch Menschen, die nicht so gut lesen können, ältere Menschen, Menschen, für die Deutsch nicht ihre Mutter-sprache ist.“

Auf dieses Argument reagieren zumindest Behörden bereits im Internet. Und auch Printprodukte werden mittlerweile in „Leichter Sprache“ gedruckt. Die Wochenzeitung „Das Parlament“ hat es mit einer Beilage in „Leichter Sprache“ versucht. Die Tageszeitung „taz“ hat auf Ihrer Internetseite die Kategorie „taz-leicht“ Texte zu Politik, Sport, Umwelt und Kultur in „leichte Sprache“ übersetzt.Nicht jeder hat Verständnis für diese Form der Barrierefreiheit.

In der Tageszeitung „Die Welt“ hatte die Journalistin Susanne Gascke sich wiederholt kritisch zum Konzept von Texten in „Leichter Sprache“ geäußert. Sie sehe keine Zielgruppe, die politisch interessiert sei, und trotzdem Texte in einer – wie sie es bezeichnet – „dummen Sprache“ ausdrückt. Auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung stellt die Frage, ob man nicht eher die Lese-Kompetenz stärken sollte, als komplexe Nachrichten zu vereinfachen?

Gegen solche Vorurteile wehrt sich Maerevoet vehement. „Es ist keine Sprache für Dumme. Es geht darum, Menschen einzubeziehen. Dinge, die auch sie betreffen, wie zum Beispiel Politik, für sie erfahrbar zu machen.“ Auch Cindy versteht das Argument überhaupt nicht: „Natürlich wollen wir auch wissen, was in der Zeitung steht. Man will doch wissen, was los ist! Und wir übersetzen ja auch Texte für ältere Leute, die das auch wissen wollen“.

Eine Wunschvorstellung von Cindy wäre es schon, wenn in den nächsten Jahren auch Texte, die nicht speziell dafür geschrieben wurden, in einfacher Sprache verfügbar wären. „Zu hoffen wäre es jedenfalls. Schließlich können davon alle profitieren“, so Sarah Müller.

Dass die „Leichte Sprache“ auch flächendeckend als Form der Barrierefreiheit durchgesetzt wird, hapert noch an den Ressourcen, so Maeveroet. Sie leugnet aber nicht, dass in den vergangenen Jahren schon Fortschritte erreicht wurden. Um so etwas mit jedem Behörden-Schriftstück durchzuführen, fehlten allerdings Ressourcen und Personal.

Um einen Text in einfache Sprache zu übersetzen, ist zunächst jemand vonnöten, der die Grundlagen dieser gelernt hat. Zudem benötige die Person juristischen Sachverstand. Zusätzlich braucht man eine Person, die die Texte auf Verständlichkeit durchliest. Er ist der Meinung, dass es generell Texte gibt, die sich nicht in „Leichte Sprache“ übersetzen lassen.

Ein Beispiel stellt dabei das Grundgesetz dar. Warum? „Das Grundgesetz ist, wie es ist. Das ist eine juristische Fachsprache, die bestimmte Termini beinhaltet.“ Er plädiert deshalb vielmehr dafür, Amtsbescheide etwa in der Fachsprache zuzuschicken, und dann einen Anhang in leichter Sprache hinzuzufügen. Doch selbst hiervor mangelt es im Moment an den Ressourcen.

Man brauche dafür einen Juristen, einen Betroffenen als Prüfer und einen Übersetzer. Sechs bis acht Stunden sitzen auch Cindy und ihr Team an einem Artikel. Deshalb sind Sprachbüros auch oft kommerzielle Anbieter. Wünschen würde sich auch Maeveroet mehr „Leichte Sprache“ im Alltag. Denn: „Jeder hat das Recht, Fragen und Antworten zu bekommen. Wir würden außerordentlich verarmen, wenn wir das nicht hinbekämen.“