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Leseranwältin Wann ist ein Beitrag ausgewogen?

27.11.2023, 06:30
Leseranwältin Heike Groll
Leseranwältin Heike Groll VS

Ein Thema, bei dem wirklich alle zu einhundert Prozent derselben Meinung sind? Gibt es wahrscheinlich nicht. Darum ist es eine der Grundregeln der journalistischen Arbeit, ausgewogen zu berichten, beispielsweise Befürworter wie Gegner der aktuellen Haushaltspolitik gleichermaßen zu Wort kommen zu lassen. Ein breites Spektrum von Positionen und Argumenten zu kennen, erlaubt Leserinnen und Lesern, sich ein fundiertes eigenes Urteil bilden können.

Risiko „False Balance“

Ausgewogenheit im Journalismus ist also sinnvoll und notwendig – falsch angewendet kann sie riskant werden. Ein Beispiel macht das deutlich. Wissenschaftler sind sich weltweit in der überwältigenden Mehrheit einig, dass der Klimawandel real ist und der Mensch einen wesentlichen Anteil daran hat. Nur sehr wenige nehmen das Gegenteil an. Wenn nun in einem 100 Zeilen langen journalistischen Bericht diese beiden Positionen mit jeweils 50 Zeilen dargestellt werden, erscheinen beide völlig gleichwertig. Formale Gleichwertigkeit suggeriert gleiches inhaltliches Gewicht. Den tatsächlichen Stand der Forschung würde das jedoch in keiner Weise widerspiegeln, es wäre im Gegenteil eine arg verzerrte Darstellung. Medienleute sprechen hier von falscher Ausgewogenheit oder False Balance, so der englische Fachbegriff.

Sie ist deshalb so heikel, weil sie auch fragwürdigen Positionen hohe Aufmerksamkeit schafft und diese als vermeintlich legitime Alternative der Meinungsbildung anbietet. Regelrecht gefährlich wird sie, wenn auf diese Weise zum Beispiel menschenverachtende Ansichten transportiert werden, „weil es sie halt auch gibt“.

Auf den Unterschied kommt's an

Richtige Ausgewogenheit bedeutet letztlich, den Unterschied zu erkennen: Wann würde man helfen, sachlichen Unsinn zu transportieren? Und wann würde man eine Sichtweise unter den Tisch fallen lassen, weil sie einem nicht gefällt? Beides wäre schlechter Journalismus.