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Leseranwältin Wenn es im Karneval derb zur Sache geht

12.02.2024, 14:45
Leseranwältin Heike Groll
Leseranwältin Heike Groll VS

Wenn heute der Rosenmontagszug durch Köln rollt, rollt Bundeskanzler Olaf Scholz mit – als Figur auf einem Karnevalswagen in Gestalt eines riesigen Faultiers. Ein Foto dieses Motivs war schon vorab zu sehen, so auf der „Pusteblume“-Seite der Volksstimme am 31. Januar. Nichts dagegen, die Politik und ihre Vertreter zu kritisieren, finden Leserinnen und Leser. Aber in dieser Form ausgerechnet auf der Kinderseite? „Wollen wir so den Kindern Maßstäbe im Umgang mit Menschen vermitteln?“, fragt beispielsweise einer. Eine andere merkt an: „Hängen bleibt doch wahrscheinlich, der Bundeskanzler ist faul, macht nix und schon gar nichts richtig. Ironie und Satire zu verstehen muss man lernen.“

Die Leser haben recht. Es steht außer Frage, dass man das Foto grundsätzlich veröffentlichen darf. Der Motivwagen zieht schließlich gut sichtbar in aller Öffentlichkeit vor vielen tausend Menschen vorbei. Das Bild wäre auf einer anderen Seite aber besser aufgehoben gewesen.

Im Karneval geht es mitunter derb zur Sache. Erwachsene wissen das, und egal, wie ge- oder misslungen sie einen Scherz finden: Sie können in der Regel Ironie, Satire, Übertreibung als solche einordnen. Kinder hingegen sind meist noch nicht in der Lage, Doppelsinn zu erkennen und zu verstehen. Was sie sehen, ist für sie 1:1 Realität. Daraus ergibt sich, dass bei ihnen im konkreten Fall der Eindruck entstehen kann, Politiker lägen wirklich und überwiegend auf der faulen Haut. Solche Fälle gibt es natürlich, bei allen anderen Berufsgruppen übrigens auch. In der Verallgemeinerung ist es jedoch ein überzogenes Vorurteil.

Bei aller inhaltlich berechtigten und zulässigen Kritik: Wer weiß, wie viel Zeit politische Arbeit im Stadtrat, im Bundestag oder im EU-Parlament kostet, und dass etwa Spitzenpolitiker kaum ein freies Wochenende, dafür nicht selten 16- bis 18-Stunden-Tage haben, der kann ihnen Faulheit gewiss nicht vorwerfen. Das hätte man entweder im Begleittext zum Bild auf der Kinderseite deutlich erklären oder auf das Foto an dieser Stelle verzichten müssen.