Leseranwältin Wie viel Leid sollte und darf man zeigen?

Krieg und Terror sind grausam; davon zeugen Reportagen, Filme und Bilder aus Israel, der Ukraine und anderen Regionen der Welt, die uns in diesen Wochen wieder in großer Zahl erreichen. Manche sind schon beim bloßen Anschauen unerträglich, auch sie können dennoch nur eine Ahnung vom Leid der betroffenen Menschen vermitteln. Der Umgang mit solchem Material stellt Kriegsreporterinnen und -reporter und ihre Redaktionen vor schwierige Entscheidungen: Ist es gerechtfertigt und zumutbar, Gewaltszenen und insbesondere deren Opfer in Videos und Fotos zu zeigen? Bei der Abwägung spielen mehrere Fragen eine Rolle; aus Ziffer 11 des Pressekodex, dem ethischen Regelwerk des Journalismus, leiten sich die wichtigsten ab: – Ist das jeweilige Bild wichtig, um das Ausmaß der Gewalt, die Tragweite des Geschehens zu dokumentieren? Das liegt im öffentlichen Interesse. – Oder geht es um reine Sensationsgier, zu deren Befriedigung abgebildete Opfer lediglich als Werkzeug missbraucht werden? Nicht zulässig. – Wie wirken Bilder auf die Opfer selbst und ihre Angehörigen? Wie insbesondere auch auf Kinder und Jugendliche? Wie auf Menschen, die in ihrem Leben womöglich selbst Krieg und Gewalt erfahren haben?
Ein weiterer Umstand erschwert die Entscheidung zusätzlich: Gerade aus Kriegsgebieten stehen oft nur Fotos und Filme der Kriegsparteien zur Verfügung. Redaktionen, die sie verwenden, müssen deutlich sagen, dass dies keine journalistisch unabhängigen Quellen sind. Und sich fragen: Spielt die Verbreitung solchen Materials vor allem den Verursachern der Gewalt in die Hände, oder überwiegt der Informationsanspruch der Öffentlichkeit? Im Zweifel ist größtmögliche Transparenz angebracht, so dass Zuschauer und Leser die Sichtweisen aller Beteiligten kennen und sich ihre eigene Meinung dazu bilden können.