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Manaslu in Nepal Erste Hallenserin auf einem Achttausender: traumhafte Aussicht und völlige Erschöpfung

Die Ärztin Katrin Oertel hat im vergangenen Jahr den 8.163 Meter hohen Manaslu in Nepal bestiegen – ohne Träger, ohne Guide, ohne Sauerstoff, nur in Begleitung eines Bergfreundes. Wie es dazu kam und was sie bei dieser Extremtour erlebt hat.

Von Martin Pelzl Aktualisiert: 06.01.2024, 14:40
Katrin Oertel während ihrer großen Expedition in Nepal auf einer Aussichtsstelle hinter dem Larkya-La-Pass
Katrin Oertel während ihrer großen Expedition in Nepal auf einer Aussichtsstelle hinter dem Larkya-La-Pass (Foto: Privat)

Halle/MZ - Fast im Verborgenen hat eine Hallenserin etwas geschafft, was vor ihr wohl keiner anderen gelungen ist: Katrin Oertel steht im vergangenen Jahr auf dem Gipfel des 8.163 Meter hohen Manaslu in Nepal. Nur wenige haben bislang von dieser großartigen Leistung erfahren.

„Ursprünglich wollte ich mit dem 8.027 Meter hohen Shisha Pangma in China – dem kleinsten aller Achttausender – oder dem 8.188 Meter hohen Cho Oyu direkt auf der Grenze von Nepal und China einen ganz anderen Berg besteigen. Es war allerdings unmöglich, an eine entsprechende Genehmigung durch chinesische Behörden heranzukommen“, berichtet die 42-Jährige.

Planwechsel. Nun sollte es also der Manaslu sein, einer von drei Achttausendern, die Nepal nicht mit einem anderen Land teilen muss. Oertel begann mit den Vorbereitungen für die für Ende September geplante Besteigung.

Ihr Kompagnon ist der Österreicher David Schuchter (33), den sie bei einem Eiskletterkurs in Süddeutschland kennengelernt hat. Als promovierte Hals-Nasen-Ohren-Fachärztin mit der Spezialausbildung Alpin- und Höhenmedizin unterstützt Katrin Oertel mehrmals im Jahr als Dozentin derartige Veranstaltungen, lehrt unter anderem Bergetechniken.

Ein wichtiger Teil ihrer Biografie ist das ehemalige Frieden-Gymnasium in Halle-Ammendorf, wo sie ihr Abitur abgelegt hat. Nach dem Medizinstudium an der Martin-Luther-Universität arbeitet sie eine Zeit lang auch im Klinikum Bergmannstrost der Saalestadt, später in Jena, in Süddeutschland und aktuell in Österreich.

Katrin Oertel unterwegs in Halle
Katrin Oertel unterwegs in Halle
(Foto: Martin Pelzl)

Doch zurück ins Himalaya-Gebirge: Sozusagen als Warm-up besteigt Katrin Oertel einige Wochen vor der Expedition zum Manaslu an der Grenze zwischen Tadschikistan und Kirgisistan im Pamir-Gebirge den Pik Saxonia (5.345 Meter), den Pik Leipzig (5.725 Meter) und den Pik Lenin (7.134 Meter) – nur in Begleitung eines russischen Bergfreundes sowie letzteren allein.

Solche „Alleingänge“ sind in Nepal nicht möglich. Es braucht eine Agentur, ein Permit (eine Genehmigung) und ein gebuchtes Servicepaket fürs Basecamp. „Das konnten wir leider nicht umgehen, obwohl wir alles bis auf das Permit nicht gebraucht hätten“, berichtet sie. All das habe pro Person rund 8.000 Euro gekostet. Und dies ist natürlich noch nicht das Ende der finanziellen Fahnenstange.

Unterwegs in der Monsunzeit

Da Expeditionskollege David wie geplant erst wenige Wochen später in der nepalesischen Hauptstadt Kathmandu eintrifft, begibt sich die hallesche Abenteurerin, die das „Kletter-Gen“ von ihren Eltern in die Wiege gelegt bekommen hat, in der abflauenden, aber immer noch beschwerlichen, weil die Wege zerstörenden Monsunzeit mit ihrem 110-Liter-Rucksack und circa 30 Kilogramm Ausrüstung schon einmal auf den landschaftlich tollen Manaslu-Trek. Von diesem aus ist das Basislager des Berges nach einem harten, knapp 2.000 Höhenmeter messenden Anstieg zu erreichen.

Ins Basecamp soll es aber erst später gehen, die Ausrüstung bleibt im Bergstädtchen Samagaon. „Der Weg dorthin ist von vielen kleinen, bunten Dörfern gesäumt“, erzählt die versierte Bergsteigerin. Überall habe sie freundliche Menschen getroffen. Zur besseren Akklimatisierung geht es für Katrin Oertel, die Mitglied in der Sektion Halle des Deutschen Alpenvereins ist, zunächst über den Larkya-La-Pass (5.106 Meter) und nach „aufrüttelnder Busfahrt“ zurück nach Kathmandu, wo Kompagnon David erwartet wird.

Der geplante schnelle Start zurück zum Manaslu verschiebt sich ein wenig – die zuständigen Beamten wollen für die Ausstellung der Permits die Reisepässe im Original sehen… Die beiden sind bedient, Katrin Oertel umso mehr, als sie erfährt, dass für die Minigruppe Küchen-, Essens- sowie Toilettenzelt und vieles andere aus ihrer Sicht Unnötige ins Basislager getragen wird. „Ich war echt sauer. Wir wollten doch einfach nur den Berg hoch laufen, sonst nix weiter“, sagt sie.

Wie auch immer: Endlich geht es los. Diesmal vom anderen, weil bis zum Basecamp kürzeren Ende des Manaslu-Treks. Mit phasenweise 37 Kilogramm auf dem Rücken nähert sich das Duo – erneut über den Larkya-La-Pass – dem Fuß des Berges, von wo aus das Gepäck in zwei anstrengenden Touren das Basislager erreichen soll.

Schockierender Anblick im Basislager

Dort wartet ein erster Schock: „Schier den Atem verschlug uns der Anblick der enormen Zeltstadt, die wir nach sechsstündigem Abplagen erreichten. Beide dachten wir, nie zuvor im Leben so etwas Hässliches gesehen zu haben“, fasst die Sachsen-Anhalterin ihre ersten Eindrücke zusammen.

Die mit Teppichen ausgelegten und mit bunten Kunstblümchen geschmückten Kuppelzelte anderer Agenturen in der Größe von Ballsälen ließen sie mehr als nur den Kopf schütteln. „Wir fanden es beide höchst abartig, stellten aber mit Erleichterung fest, dass unsere Agentur tatsächlich die am dezentesten herausgeputzte war, mit einem – relativ – kleinen Küchen- und einem Esszelt“, berichtet Katrin Oertel.

Die nächsten Tage werden hart, sehr hart. Auf und ab geht es zwischen den einzelnen Camps – zur Akklimatisierung und zum Transport von (Über-)Lebenswichtigem. Pläne, in welcher Abfolge die Camps angesteuert werden, ändern sich einige Male. „Das Schlimmste war eigentlich die Hitze tagsüber im Zelt. In Camp 3 auf etwa 6.900 Metern konnten wir uns vor dem geplanten Gipfelanstieg daher kaum erholen. Es ist einfach unmöglich, bei dieser Hitze zu schlafen, und dann auch noch mit jedes Mal einsetzender Schnappatmung“, so die Bergsteigerin aus der Leipziger Tieflandsbucht.

Das war es, was ich erleben wollte.

Katrin Oertel

Ein besonderes Erlebnis haben beide in Camp 4 (7.300 Meter). Da es dort zu stürmisch für weitere Aktivitäten ist, kuscheln sie sich zu einem schläfrigen Japaner in dessen für diese Verhältnisse geräumiges Zelt. Dem Asiaten ist – unter welchen Umständen auch immer – die Jacke abhanden gekommen. David hilft mit seiner „Zweitjacke“ aus – eine Win-win-Situation also.

Am Gipfeltag kommt das Duo erst gegen 8 Uhr in die Spur – ziemlich spät für einen Aufstieg. Das Wetter ist perfekt, die Sicht ist herrlich. „Wir waren ganz allein. Alle, die mit Sauerstoff aufgestiegen sind, waren entweder bereits oben oder ohne Gipfel umgekehrt“, so die Hallenserin.

Immer und immer mühsamer wird es. „David war vor mir. Die Stelle, die aussah wie der Gipfel, war es natürlich nicht – wie immer. Er meinte, es sei nur ein kleines Stück weiter. Als ich dort ankam, waren wir tatsächlich fast da. Auf 3.000 Metern wäre die folgende Strecke vielleicht eine Sache von fünf Minuten gewesen, aber da oben – mindestens noch eine halbe Stunde“, beschreibt sie.

Umarmungen und Torte

Auf dem Gipfel: traumhafte Aussicht und völlige Erschöpfung. „Das war es, was ich erleben wollte, was unten nie ging. Genauso hatte ich es mir vorgestellt. Es war schrecklich, aber eben das, was ich unbedingt erfahren wollte“, so die erste Hallenserin auf einem Achttausender. Es ist bereits 17 Uhr, beide müssen unbedingt hinunter. Noch eine Nacht in eisigen Höhen, dann ist das Basislager erreicht – es gibt Glückwunschtorte, herzliche Umarmungen, Mustang-Kaffee und Bier.

Pläne für die Zukunft? Gibt es einige, verraten wird aber noch nichts. Vielleicht kann Katrin Oertel schon bald neue spannende Geschichten aus der Welt der Berge erzählen. Und dann hat sie beim Wandern sicher auch wieder die Worte der Blues-Sängerin Janis Joplin auf den Lippen: „Freedom is just another word for nothin’ left to lose...“ – Freiheit ist nur ein anderer Begriff für ,Ich hab nichts mehr zu verlieren’.“