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Volksstimme-Interview mit Karola Wille, der neuen Intendantin des Mitteldeutschen Rundfunks MDR-Chefin: "Wir sind besser als unser Image"

19.11.2011, 04:21

Karola Wille ist die einzige Ostdeutsche an der Spitze einer ARD-Anstalt. Winfried Borchert sprach mit ihr über das MDR-Programm und darüber, wie der Sender dem Skandalsumpf entkommen will.

Volksstimme: Frau Wille, die Berichte über Skandale im MDR reißen nicht ab. Eine interne Untersuchungskommission hat eine Reihe von groben finanziellen Verfehlungen festgestellt. Kann man angesichts dessen noch von Einzelfällen reden oder haben wir es hier nicht vielmehr mit systematischen Unregelmäßigkeiten zu tun?

Karola Wille: Ich kann Ihre Interpretation des Berichts der Untersuchungskommission nicht bestätigen. Der Bericht wurde im Verwaltungsrat erörtert und die Untersuchungen werden fortgeführt. Als eine erste Konsequenz aus dem Bericht habe ich in der Intendanz eine temporäre Stabsstelle eingerichtet, von der aus die Aktivitäten zur Aufklärung noch offener Fragen und zur Verbesserung des internen Kontrollsystems zentral gesteuert werden. Ich bitte um Verständnis, wenn ich vor Abschluss der Untersuchungen dazu keine Einschätzung abgeben kann.

Volksstimme: Inwiefern hat eine womöglich allzu verständnisvolle Haltung von MDR-Führungskräften solche Verfehlungen begünstigt?

Wille: Inwieweit es zu Verfehlungen gekommen ist, ist Gegenstand der Untersuchungen. Dazu kann ich wie gerade dargelegt zum jetzigen Zeitpunkt noch nichts sagen.

Volksstimme: Sie haben als Reaktion auf die Skandale eine neue Führungs- und Unternehmenskultur sowie Transparenz und Offenheit angekündigt. Woher nehmen Sie die Erwartung, dass sich damit derartige Unregelmäßigkeiten vermeiden lassen?

Karola Wille: Wir hatten bereits vor fünf Jahren nach dem Fall Mohren verschiedene Compliance-Instrumente dagegen eingeführt, unter anderem einen Anti-Korruptionsbeauftragten, eine Ombudsfrau und strengere Regularien. Wir mussten aber feststellen, dass über eine ganze Weile hinweg wieder Vorgänge stattgefunden haben, bei denen letztlich sogar der Verdacht auf kriminelle Handlungen besteht. Man fragt sich, warum ist das nicht früher bekannt geworden. Offensichtlich sind Regularien das eine, Dinge in den Köpfen zu verankern aber das andere. Untersuchungen zeigen, dass dabei die Kultur in einem Unternehmen eine entscheidende Rolle spielt. Also den grundsätzlichen Respekt vor Regelungen und eine Sensibilität für Unregelmäßigkeiten.

Volksstimme: Sie haben erklärt, dass in den Fällen, in denen Sie als juristische Direktorin informiert waren, auch gehandelt haben. Nicht alle der brisanten Informationen sind also bis zu Ihnen gelangt. Wie können Sie sicherstellen, dass dies als Intendantin in Zukunft anders sein wird?

"48 Millionen Euro sind auch für den MDR viel Geld. Eine solche Einsparung wird man spüren"

Wille: Wir haben im Haus das Direktionsrecht. Das heißt, jeder Direktor verantwortet seine Direktion. Im Fall Foht war es so, dass ich eine ungewöhnliche Klagesache auf den Tisch bekommen hatte, die ich hinterfragt habe. Damit ist diese ganze Geschichte ins Rollen gekommen.

Als Intendantin ist es mir wichtig, ein Signal ins Haus zu geben: Wir sind ein sauberes Haus, wir dulden so etwas nicht. Wir haben Instanzen, an die man sich wenden kann: den Anti-Korruptionsbeauftragten, die Führungskräfte, die Revision und die Personalräte. Und jeder Mitarbeiter kann sich auch an mich wenden.

Volksstimme: Es gibt aktuell Verdachtsmomente, dass Mitarbeiter des MDR oder mit dem Sender verbundene Leute ihr Insiderwissen genutzt haben sollen, um sich an Immobilienfonds zu beteiligen, die wiederum die Landesfunkhäuser des MDR finanziert haben. Was ist dran an dieser Sache?

Wille: Für mich ist das bisher eine Behauptung, ich kenne diesen Sachverhalt nicht. Wenn es konkrete Hinweise gibt, werden wir dem nachgehen.

Volksstimme: Noch einmal zu Transparenz und Offenheit. Wann folgt der MDR dem Beispiel des Rundfunks Berlin Brandenburg und legt nicht nur das Gehalt der Intendantin, sondern seiner gesamten Führungskräfte offen, und gehören für Sie auch die außertariflichen Verträge der Moderatoren dazu?

Wille: Überwiegend sind Intendantengehälter der ARD-Anstalten transparent. Was die übrigen Gehälter betrifft, so gilt bei uns eine andere Rechtslage als beim RBB. Deshalb muss ich darüber mit meinen Kollegen sprechen, das muss zudem auch in den Aufsichtsgremien diskutiert werden. Grundsätzlich geht es um Gebührengelder, deshalb können wir uns der Diskussion darüber auch nicht verschließen.

Volksstimme: Der MDR muss bis Ende 2016 ein Defizit von 48 Millionen Euro ausgleichen. Das klingt nach viel, macht aber kaum zwei Prozent der Gebührengelder des Senders aus. Ist das für den MDR tatsächlich ein Problem?

Wille: 48 Millionen Euro sind auch für den MDR viel Geld. Eine solche Einsparung wird man spüren. Wir können nicht so weitermachen wie bisher.

Volksstimme: Wo wollen Sie Kosten einsparen?

Wille: Wir werden uns die einzelnen Kostenbereiche und Ausgabenpositionen genau anschauen. In einem härter werdenden Wettbewerb werden wir uns auf Schwerpunkte konzentrieren müssen, wobei es unser Ziel ist, wieder stärker jüngeres Publikum für uns zu gewinnen. Zugleich werden wir Strukturen und Prozesse prüfen. Zum Beispiel ist die redaktionsübergreifende Arbeit mit dem neuen trimedialen Newsdesk eine wichtige Weichenstellung, um künftig mit den Ressourcen viel schonender umzugehen.

Volksstimme: Heißt das, auch Mitarbeiterstellen abzubauen?

Wille: Dazu würde ich mich jetzt noch nicht äußern wollen.

Volksstimme: Halten Sie es grundsätzlich für besser, ehe man an Programm oder Personal spart, neue Einnahmequellen zu erschließen, etwa durch eine bessere Vermarktung von Filmrechten oder die erheblichen Summen für die Sportrechte der ARD zu hinterfragen?

Wille: Das ist keine Frage des entweder oder. Man muss neben grundsätzlicher Sparsamkeit in der Tat darüber nachdenken, wie kann man aus kommerzieller Tätigkeit mehr Erträge erzielen und so gebührenentlastend wirken. Das geschieht bereits jetzt durch die Unternehmen der DREFA-Gruppe, ist aber noch ausbaufähig. Die Sportrechte sind eine programmliche Entscheidung des ARD-Verbunds.

Volksstimme: Passt es noch in die Zeit, wenn der MDR einerseits Gebührenrückgänge verkraften muss, weil die Bevölkerungszahl in seinem Sendegebiet schrumpft und immer mehr Menschen wegen sozialer Probleme von der Gebührenzahlung befreit sind, andererseits mit den Gebühren über die Sportrechte Millionengehälter der Bundesliga-Fußballer mitbezahlt werden?

Wille: Das kann man hinterfragen. Andererseits ist es so, dass Millionen Menschen Sportereignisse gern schauen, sich z. B. für Fußball interessieren. Solche programmlichen Entscheidungen sind auch in Zukunft gemeinsam in der ARD zu treffen.

Volksstimme: Das MDR-Fernsehen ist in den vergangenen Jahren dadurch aufgefallen, dass man viel Wert auf Unterhaltung gelegt hat, aber das journalistische Profil immer weiter verloren gegangen ist. Ein Indiz dafür sind ganze vier Tagesthemen-Kommentare durch den MDR im Jahr 2010, das ist Negativ-Rekord.

"Ich sehe es als Vorteil, hier groß geworden zu sein, die Menschen und die Region zu kennen"

Wille: Ich finde nicht, dass dem MDR das journalistische Profil verloren gegangen ist und würde das auch nicht an der Anzahl der Tagesthemen-Kommentare festmachen. Ich möchte aber dazu beitragen, dass unser Sendegebiet und das, was hier unser Leben bestimmt, im Ersten Deutschen Fernsehen stärker als bisher reflektiert werden.

Volksstimme: Sie sind die einzige Intendantin mit einer ostdeutschen Biografie. Inwieweit können Ihnen Ihre Erfahrungen im neuen Amt nützlich sein, inwiefern möglicherweise schaden?

Wille: Ich sehe es schon als einen Vorteil an, hier groß geworden zu sein, die Menschen und die Region zu kennen und die tiefgreifenden Veränderungen hier erlebt zu haben.

Volksstimme: In Ihren ersten Statements haben Sie angekündigt, dem MDR wieder stärkeres Gewicht unter den Medien zu geben. Wie wollen Sie das erreichen?

Wille: Wir haben eine wichtige demokratische Aufgabe. Wir sind ein ganz wichtiger Faktor der Meinungsbildung. Deswegen ist es auch unsere Aufgabe, die Menschen für Themen zu interessieren, für politische, für wirtschaftliche, für kulturelle Themen, den gesellschaftlichen Diskurs zu befördern. Wir brauchen mündige Bürger, die wissen, worüber sie sprechen.

Volksstimme: Auch eine kritische Begleitung der politisch handelnden Akteure im Sendegebiet?

Wille: Das ist auch unsere Aufgabe, ganz klar.

Volksstimme: Inwieweit können die Mitarbeiter eines Senders tatsächlich politische Vorgänge kritisch und unabhängig begleiten, in dessen Verwaltungsrat eine Partei, die CDU, fünf von sieben Sitzen bestimmt, also sehr dominant ist?

Wille: Unabhängig und kritisch, wie Sie gesagt haben. Ein Verwaltungsrat greift nicht in das Programm ein. Als der Verwaltungsrat mich zur Intendantin vorgeschlagen hat, war das sicher keine parteipolitisch geprägte Entscheidung.

Volksstimme: ... im zweiten Anlauf ...

Wille: ... ja, es gab immerhin einen zweiten Anlauf.

Volksstimme: Andere ARD-Anstalten glänzen mit politischen Recherche- oder Satiremagazinen wie Monitor, Report oder Extra3. Ist so etwas beim MDR in naher Zukunft ebenfalls zu erwarten?

Wille: Jetzt haben Sie unsere erfolgreichen Rechercheformate wie "Fakt" und "Escher" gar nicht mit erwähnt. Trotzdem: Über Programmfragen werde ich mit unserem Fernsehdirektor und mit den Funkhausdirektoren intensiv diskutieren.

Volksstimme: Der MDR verfügt mit Figaro über ein anspruchsvolles Radioprogramm, auch MDRInfo sowie die Landesprogramme werden von Hörern geschätzt. Ebenso gibt es im MDR-Fernsehen mit ARTour, Barbarossa und Exakt gut gemachte Sendungen. Warum wird der MDR dennoch das Image des Schunkelsenders nicht los?

Wille: Das ist eine schwierige Frage. Wir werden das analysieren müssen. In der Tat sind wir besser als unser Image. Zumindest als unser Image, wie es in der Presse reflektiert wird. Die Frage ist, ob dieses Image beim Publikum ebenso gesehen wird. Niveau und Quote schließen sich nicht aus. Gerade Figaro beweist dies ja mit Niveau und seinem sehr weiten Hörerkreis.