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Medizin Organe aus einem Magdeburger Labor

Forscher der Uniklinik Magdeburg züchten Gewebe für Medikamententests. Ein Verfahren, wodurch Tierversuche reduziert werden können.

Von Uwe Seidenfaden 23.04.2018, 11:21

Magdeburg l Akuter Husten ist oft ein Zeichen für eine Erkältung oder eine Grippe. Manchmal steckt dahinter aber auch ein Keuchhusten, von Medizinern Pertussis genannt. Dieser kann zu einem besonders für Säuglinge und Kleinkinder lebensbedrohlichen Krupp-Syndrom führen. Dabei handelt es sich um entzündliche Schleimhautschwellungen in der Luftröhre und im Bereich des Kehlkopfes, die zu schwerer Luftnot führen können.

Trotz angebotener Schutzimpfungen ist in den vergangenen Jahren die Zahl kleiner und großer Patienten mit Keuchhusten in Deutschland gestiegen. Die Infektionskrankheit gilt als hochansteckend. Ausgelöst wird der Keuchhusten durch ein Bakterium namens Bordetella pertussis. Es wurde bereits zu Beginn des 20.Jahrhunderts von dem belgischen Arzt namens Jules Baptiste Bordet entdeckt, der 1919 mit dem Nobelpreis geehrt wurde.

Die Entwicklung neuer Medikamente, die zielgerichtet gegen diesen Krankheitserreger wirken, bereitet Forschern Probleme. „Der Grund dafür ist, dass sich Bordetella pertussis nicht im Labor anzüchten und kultivieren lässt“, sagt Professor Thorsten Walles, Chefarzt der Abteilung Thoraxchirurgie an der Universitätsklinik fü̈r Herz- und Thoraxchirurgie Magdeburg und Leiter einer Forschergruppe, die sich mit der Gewebezüchtung – dem sogenannten Tissue Engineering – beschäftigt.

In der Öffentlichkeit wird das Tissue Engineering meist im Zusammenhang mit dem Ziel des Ersatzes für zerstörtes Gewebe und von Organen diskutiert. Beispielhaft sind Hauttransplantate, Gelenkknorpelersatz und biologische Herzklappen. Eine Zukunftsvision ist es, künftig auch aus vielen unterschiedlichen Zellen aufgebaute Organe wie das Herz, die Leber oder die Nieren im Labor zu erschaffen, um damit die fehlende Zahl von Spenderorganen auszugleichen. Doch bis zur funktionstüchtigen menschlichen Lunge, die im Labor gezüchtet wurde, ist die Medizin trotz rasanter Fortschritte noch viele Jahre entfernt, meint der Experte. Professor Walles beschäftigt sich seit mehr als einem Jahrzehnt mit dem Thema und sieht einen weiteren, kurzfristig schneller zu realisierenden Nutzen des Tissue Engineerings.

„Wir konnten zeigen, dass gezüchtetes menschliches Gewebe sich zur Testung von Wirkstoffen bei der Entwicklung neuer Medikamente eignet“, erklärt der Mediziner. Das allgemeine Prinzip der Gewebezüchtung im Labor ist auf den ersten Blick einfach: In der Klinik entnehmen die Ärzte Patienten mit deren Zustimmung im Rahmen von Routineoperationen kleine Gewebestückchen und lösen daraus Zellen heraus und vermehren diese. Die Zellen werden dann z.B. auf ein Gerüst aus einem porösen, biologisch abbaufähigen Proteingewebe aufgebracht und mit Nährflüssigkeiten versorgt. Dank dieser Stützstruktur kann das Gewebe – so ähnlich wie eine Rangpflanze an einem Klettergerüst – räumlich wachsen.

Das besondere Know-how der Forscher ist es, die optimalen Wachstumsbedingungen, z.B. durch Zugabe geeigneter Substanzen, zu finden. Außerdem muss das Gewebe während der Anzucht in Bioreaktoren absolut keimfrei gehalten werden. „Wir können gezüchtetes, menschliches Gewebe mehrere Wochen lang am Leben halten und daran standardisiert die Wirkungen von Medikamenten-Kandidaten testen“, so Professor Walles. Wie gut diese Methode zur Testung von pharmakologischen Wirkstoffen ist, konnten die Forscher zusammen mit Wissenschaftlern der Universität Würzburg an dem bislang schlecht zu kultivierenden Pertussis-Bakterium nachweisen.

Da eine Medikamentenentwicklung die Möglichkeiten einer Universität übersteigt, sind die Forscher auf eine Kooperation mit Pharmaunternehmen angewiesen. Die Arbeitsgruppe um Professor Walles sucht unterdessen nach Wegen, die Technik der Gewebezucht weiter zu optimieren. Dabei wurden auch schon Kontakte zu anderen Partnern in der Region geknüpft.

Thorsten Walles sieht in den Forschungen auch einen Beitrag zur weiteren Senkung von Tierversuchen. „Die Ergebnisse aus vielen Tierversuchen sind nicht in die Medizin übertragbar. Die Unterschiede zwischen Menschen und Tieren sind einfach zu groß. Die Verwendung menschlichen Gewebes, das unter Laborbedingungen gezüchtet wurde, ermöglicht standardisierbare Medikamententests“, hebt der Forscher den Nutzen hervor. Durch Tests an verschiedenen Gewebearten können sogar unterschiedliche, unerwünschte Nebenwirkungen analysiert werden. Das Tissue Engineering wird Tierversuche vielleicht nicht ganz ersetzen können, aber zur Reduzierung beitragen, ist der Wissenschaftler überzeugt.