Mehr Beschwerden zu Polizeiarbeit: Weniger berechtigt
Seit zehn Jahren erfasst eine zentrale Stelle im Innenministerium Beschwerden gegen die Polizei. Die erreichten im Vorjahr einen Höchstwert. Während der Innenminister darin keinen Grund zur Sorge sieht, fordern die Grünen Konsequenzen.

Magdeburg (dpa/sa) - Die Sachsen-Anhalter beschweren sich häufiger über die Arbeit der Polizei. Das geht aus dem Jahresbericht der Zentralen Beschwerdestelle 2019 hervor, den das Innenministerium am Donnerstag veröffentlichte. Demnach bearbeitete die Beschwerdestelle im vorigen Jahr 807 Beschwerden über den Polizeibereich. Das waren 106 Beschwerden oder gut 13 Prozent mehr als im Vorjahr. Schon im Jahresbericht 2018 hatte die Zahl der Beanstandungen zugenommen, um knapp 14 Prozent im Vergleich zu 2017.
In den Beschwerden ging es um insgesamt 1193 Beschwerdeanlässe, das war laut Ministerium der höchste Wert der vergangenen sieben Jahre. Nur knapp jeder zehnte davon wurde jedoch als berechtigt eingestuft - die Berechtigungsquote von 9,97 Prozent war demnach die niedrigste der vergangenen sieben Jahre. Ob ein Anliegen berechtigt ist und weiter verfolgt werden soll, bewerten in der Beschwerdestelle unabhängige Juristen. Rund zwei Drittel der Anliegen waren laut Ministerium nach einer Bearbeitungszeit von einem Monat abgeschlossen, nach zwei Monaten waren es demnach 84 Prozent.
In Folge der Beschwerden wurden 2019 laut dem Bericht 20 Strafverfahren und ein Disziplinarverfahren eingeleitet. Disziplinarverfahren und zehn Strafverfahren davon wurden noch im selben Jahr abgeschlossen. Bei diesen Beschwerden ging es unter anderem um Körperverletzung im Amt, Beleidigung, Nötigung und Amtsanmaßung. Eine Straftat oder Verletzung der Dienstpflicht wurde demnach in keinem Fall festgestellt.
Als Beispiel für Beschwerden wegen Körperverletzung führt der Bericht einen Fall auf, bei dem ein betrunkener Autofahrer für die Entnahme einer Blutprobe nach mehrmaliger Belehrung fixiert wurde. In einem anderen Fall gab es eine Beschwerde, weil Handschellen bei der Verhaftung zu eng angelegt worden seien.
Seit Oktober 2017 nimmt die Beschwerdestelle im Innenministerium nicht nur Beanstandungen über die Polizei, sondern auch über die Verwaltung entgegen. Das geschah 2019 insgesamt 43 Mal. Sechs dieser Beschwerden wurden laut Bericht als berechtigt eingestuft.
Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) sieht in dem Höchstwert der Beschwerden keinen Anlass zur Sorge. "Man könnte meinen, dass die Rekordanzahl an Beschwerden eher ein Grund zur Besorgnis wäre", schreibt der Politiker im Vorwort des Berichts. "Nein, es überwiegt eindeutig die Anerkennung für das Vertrauen, dass die Bevölkerung mit ihrer regen Inanspruchnahme in die Beschwerdebearbeitung setzt", so der Innenminister.
Die Arbeit der Beschwerdestelle sei gut zehn Jahre nach ihrer Einrichtung "unverzichtbar" und habe bei ihm einen hohen Stellenwert, sagte Stahlknecht. "Menschen begehen Fehler. Menschen lernen aber auch aus Fehlern."
Die Grünen forderten angesichts der erneut gestiegenen Beschwerde-Zahlen, einen unabhängigen Polizeibeauftragten einzuführen. "Die hohe Zahl zeigt die Notwendigkeit einer Institution, an die sich Bürgerinnen und Bürger, aber auch Polizistinnen und Polizisten wenden können", teilte der Innen-Experte der Grünen-Fraktion im Landtag, Sebastian Striegel, mit.
Der Bericht zeige auch, "dass sich Bürgerinnen und Bürger eine wirklich unabhängige Stelle wünschen, an die sie sich wenden können", sagte Striegel. Ein unabhängiger Polizeibeauftragter mit eigenen Ermittlungskompetenzen könne das Vertrauen in die Polizei stärken. "Außerdem könnten Polizistinnen und Polizisten Missstände an diese Stelle melden, ohne negative Konsequenzen befürchten zu müssen." Viele andere europäische Länder hätten gute Erfahrungen damit gemacht.