Land gedenkt des Mauerbaus vor 50 Jahren Ministerpräsident Haseloff warnt vor einer Schlussstrich-Mentalität
Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) hat 50 Jahre nach dem Bau der Berliner Mauer vor einer Schlussstrich-Mentalität gewarnt. Keine Gesellschaft und kein Staat könnten ohne Gedächtnis und Erinnerung leben, sagte er gestern.
Magdeburg. Die Berliner Mauer sei keine abstrakte Geschichte und keine ferne Epoche, sondern vielmehr ein Sinnbild für die Gefahren des Totalitarismus, sagte der Regierungschef. Diese würden der Gesellschaft auch zukünftig drohen: "Wir müssen wachsam bleiben." Haseloff betonte, der Mauerbau habe den Unrechtscharakter der DDR unterstrichen. So hätten zur Wirklichkeit der DDR auch Menschenrechtsverletzungen, Schießbefehl und Minenfelder gehört. Haseloff: "Die Mauer hat Leben vernichtet und Lebensentwürfe zerstört. Das darf nicht vergessen werden. Es gibt auch eine moralische Zeitzeugenschaft."
In der Nacht zum 13. August 1961 hatte das DDR-Regime in Berlin mit dem Bau einer Mauer begonnen, um den Flüchtlingsstrom nach Westdeutschland zu stoppen.
Sachsen-Anhalt erinnert heute um 11 Uhr mit einer öffentlichen Gedenkfeier am Grenzdenkmal in Hötensleben (Landkreis Börde) an den Mauerbau. Erwartet werden Ministerpräsident Haseloff sowie Landtagspräsident Detlef Gürth und dessen niedersächsischer Amtskollege Hermann Dinkla (beide CDU) sowie Kultusminister Stephan Dorgerloh (SPD).
Heute Nachmittag gedenken Haseloff und sein niedersächsischer Amtskollege David McAllister (CDU) zudem in Helmstedt des Mauerbaus.
In Berlin wird mit einer zentralen Gedenkveranstaltung in der Bernauer Straße an den Beginn des Mauerbaus erinnert. Dort werden Bundespräsident Christian Wulff und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) erwartet.
Landesweit wehen die Fahnen heute auf halbmast. Das Innenministerium hat Trauerbeflaggung für alle Behörden und Dienststellen des Landes angeordnet. Eine solche Weisung des Bundesinnenministeriums gilt auch für die Bundesbehörden.
Der CDU-Fraktionsvorsitzende im sachsen-anhaltischen Landtag, André Schröder, sagte gestern: "Die Mauer war und ist ein in grausamer Art und Weise prägender Bestandteil unserer jüngeren deutschen Geschichte." Der Unrechtsstaat DDR dürfe nicht vergessen werden. Das Thema ,DDR und SED-Diktatur’ müsse mahnend in den Köpfen verbleiben "und als Teil unserer Geschichte im Schulunterricht eine noch stärkere Berücksichtigung finden", fügte Schröder hinzu.
Die SPD-Fraktionsvorsitzende im Landtag, Katrin Budde, erklärte: "Das Regime der DDR betrachtete die offene Grenze zu Westberlin als ein Risiko für den Erhalt der kommunistischen Diktatur. Wer bis dahin noch Illusionen über diese Diktatur hatte, wurde nun eines Besseren belehrt." Für die Sozialdemokratie sei der Jahrestag Mahnung, in ihrem Bestreben nach Freiheit und Selbstbestimmung der Menschen nicht nachzulassen und das Erbe Willy Brandts zu pflegen.
Nach Auffassung des Landesvorsitzenden der Linken, Matthias Höhn, bekräftigte der Mauerbau die Entscheidung, "ein sozialistisches Deutschland auch als repressives Grenz- und Überwachungssystem erhalten zu wollen". Die Abschottung nach außen und die "innere Sicherheit" der DDR hätten in konkreter Verbindung zueinander gestanden, sagte Höhn. "Die Kriminalisierung des Grenzübertritts war verbunden mit der Bespitzelung, der Gesinnungsschnüffelei und den Denkverboten des Alltags. Innerhalb des Repressionssystems der DDR gingen dem Realsozialismus die Menschen verloren, die die Mauer doch eigentlich halten sollte."
Johannes Rink, Bundesvorsitzender der Vereinigung der Opfer des Stalinismus (VOS), sagte: "Die Toten an Mauer und Stacheldraht und das Schicksal der über Jahrzehnte getrennten Familien müssen auch künftig mahnende Verpflichtung für alle Demokraten sein." Gerade junge Menschen würden kaum etwas über die DDR wissen, beklagte er. "Diesem Bildungsnotstand muss wirksamer entgegengetreten werden."
Die mitteldeutsche Bischöfin Ilse Junkermann wies auf unterschiedliche Sichtweisen der deutschen Teilung in Ost und West hin. Bei dem Gedenken heute dominiere der westliche Gedanke, dass mit dem Mauerfall 1989 die Freiheit und damit das westliche Prinzip gesiegt habe, sagte sie dem epd. Eine andere Frage sei aber daneben, was für ein Gedenkbedürfnis die Menschen aus dem Osten hätten.
Viele Menschen aus dem Osten würden die Erinnerung an dieses Trauma des Eingesperrtseins und die Aussichtslosigkeit, über seine Wege nicht selbst bestimmen zu können, noch immer nicht aushalten. Sie würden auch fragen, warum sie sich dem noch einmal mit einem speziellen Gedenken stellen sollten, sagte Junkermann.
Bei der Gestaltung von Gedenktagen wie zum Mauerbau sollte deshalb die Klarheit darüber, was gut und was schlecht gewesen sei, abgelöst werden von der Frage, wie die Menschen auf beiden Seiten in Abschattierungen von gut und schlecht gelebt hätten und dass es unterschiedliche Anpassungsgrade auch im Westen gab und gebe.
Zwar bestehe dabei der große Unterschied in der Diktatur mit massiven Einschränkungen und der Verwehrung von Grundrechten. Aber wie Menschen sich darin bewegen und wie sie mit einer Diktatur umgehen, damit sie überhaupt funktionieren kann, müsse in der Aufarbeitung stärker zur Sprache kommen, betonte die Bischöfin.