Autokino Mit Popcorn und Wärmflasche
In Zeiten von Coronafeiert das Autokino Wiederauferstehung. In Wernigerode gab es Popcorn, Bombast-Sound und beschlagenen Scheiben.
Wernigerode l Eine halbe Stunde vor Filmbeginn ist der Parkplatz hinter dem Fürstlichen Marstall in Wernigerode schon fast voll. Nur einen Steinwurf von Schloss Wernigerode entfernt, werden die Autos von Ordnern eingewiesen. 50 Fahrzeuge dürfen heute auf das Gelände. In einigen Wagen – die meisten mit Kennzeichen aus der Region – wird an den Autoradios genestelt. Auf der großen LED-Leinwand erscheint die Frequenz: 93,7.
Viele Besucher haben online die Snacks dazugebucht. Am Einlass gibt‘s den Kino-Proviant. Der Geruch von Popcorn wabert trotzdem nicht über den Platz, die meisten Fenster bleiben geschlossen. Einige suchen vor dem gut zwei Stunden dauernden Film noch schnell die Toilette auf, einige Gäste flitzen in letzter Sekunde zum Essenstand, über Nase und Mund sitzt eine Maske. „Ich freue mich, dass die Leute so diszipliniert sind“, sagt Andreas Adelsberger. Er ist eigentlich Chef der Wernigeröder Volkslichtspiele, jetzt ist er einer der Organisatoren des „vermutlich kleinsten Autokinos“ in Sachsen-Anhalt, wie er sagt. Alles ist gut vorbereitet für den ersten Testlauf, der Ticketverkauf lief ohne Probleme. Sollte später eines der Autos nicht mehr anspringen, hätte er vorsorglich sogar ein Starterkabel in petto.
Magdeburg, Stendal, Staßfurt oder Gardelegen - ein knappes Dutzend Autokinos nimmt in diesen Tagen und in den kommenden Wochen in Sachsen-Anhalt den Betrieb auf. Feelgood-Kino, Blockbuster und Kinderfilme sollen in den Autokinos die Besucher anlocken.
Für Besucher wie Georg und Anne Schwartze aus Osterwieck ist der Besuch eine Premiere. „Nein, im Autokino waren wir beide noch nicht“, verrät Georg Schwartze. Mit Getränken, Nachos und Popcorn ausgestattet, freuen sie sich schon auf „A Star Is Born“ , einen US-amerikanischen Musikfilm von 2018. In den Hauptrollen: Popstar Lady Gaga und Bradley Cooper.
Ein paar Reihen weiter wappnen sich Simon Jödecke und Esther Feistauer mit Decken und Wärmflasche. Von sommerlichen Temperaturen ist in diesen Tagen nichts zu spüren. Für den Fall, dass es bei ausgeschaltetem Motor zu kalt werden sollte, haben die Wernigeröder deshalb vorgesorgt.
Für Jödecke ist der Abend „eine schöne Abwechslung“ in diesen an Kultur raren Tagen. Nebenbei könne man das Kino in der schwierigen Zeit der Schließung etwas unterstützen. Auch Petra Brendel und Schwiegertochter Samantha haben Karten für die Autokino-Premiere ergattert. Samantha Brendel ist gespannt auf den Moment, in dem es dunkel wird: „Ich denke mal, die kommt erst die richtige Atmosphäre auf“, sagt sie.
Im Hellen und pünktlich um 20 Uhr geht es los. Einige haben die Seitenfenster mit Tüchern oder Decken abgehängt. Der Motor bleibt aus. Die Autos sind etwas versetzt geparkt, die Leinwand dürften alle gut sehen können.
In der ersten Musik-Sequenz des Films erklingt aus einigen Fahrzeugen Bombast-Sound. Könnte mit einer echtem Kino-Anlage mithalten. In den kommenden zwei Stunden lieben, streiten und singen sich die Darsteller durch den herzerweichenden Film. Bei einer Handvoll Autos beschlägt die Frontscheibe. Gegen halb zehn ist es endlich dunkel. „Der Film ist richtig klasse“, sagt eine Besucherin, die von der Toilette zurückkommt. Um kurz nach zehn beginnt der Abspann. Ein Happy-End gab es nicht. Die Ordner präparieren sich, um die Autos sicher vom Parkplatz zu leiten. In einem Fall gibt es es kleine Verwechslung zwischen Vorwärts- und Rückwärtsgang. Nichts Größeres passiert. Simon Jödecke und Esther Feistauer ist in den zwei Stunden kein bißchen kalt geworden. „Film war gut, der Klang im Auto war auch toll. Ein super Erlebnis“, sagt Jödecke. Andreas Adelsbergers Fazit: „Ein gelungener Abend.“ So kann es weitergehen. Das Starterkabel wurde nicht gebraucht. Das kleinste Autokino in Sachsen-Anhalt hat einen guten Start in eine etwas andere Kino-Saison hingelegt.