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Neue Länder Als der Osten neu geordnet wurde

Am 22. Juli 1990 beschloss die Volkskammer das Ländereinführungsgesetz. Es war ein rasanter und weitreichender Umbau.

Von Steffen Honig 23.07.2020, 01:01

Magdeburg l „Eins, zwei oder drei ...“, so klang es in den 70er und 80er Jahren lustig in der TV-Kindershow von Michael Schanze. Die territoriale Neugliederung des DDR-Gebietes 1990 war zwar eine ernste Veranstaltung, hatte aber einiges von einem Länderquiz: Wie viele dürfen es denn sein: zwei, drei, vier oder mehr? In der öffentlichen Debatte wurden die diversen Modelle hin und her gekegelt.

Zu sammeln, zu bündeln hatte sie Manfred Preiß, damals Minister für Regionale und Kommunale Angelegenheiten in der letzten DDR-Regierung unter Lothar de Maizière. Zwei Ziele hätte sein Ministerium gehabt, sagt der in Magdeburg lebende Liberaldemokrat: Eine Kommunanalverfassung zu erarbeiten, die am 17. Mai stand, und ein „Länderwiedereinführungsgesetz“ als Voraussetzung für die Wiedervereining zu schaffen. Preiß: „Dafür mussten wir föderal werden.“

Es habe sich zwar immer mehr herausgeschält, dass nur fünf Länder denkbar waren, aber: „Die Vorschläge reichten von zwei bis zu elf Ländern.“ Wäschekörbeweise Post von beflissenen Heimatforschern und eingefleischten Lokalpatrioten sei im Minsterium eingegangen. „Wir wurden mit Petitionen überhäuft. Und alles war historisch begründet.“

Besondere Problemzonen waren die Lausitz und Vorpommern, erinnert sich Preiß. Der Ex-Minister sagt: „Im Lausitzer Bergbaurevier rund um Schwarze Pumpe wurde um jedes Dorf gerungen. Entweder wollten die Leute nach Brandenburg oder nach Sachsen.“

Die Vorpommern wiederum hätten am liebsten kurz vor Rostock eine Grenze gezogen und zwischen Fischland und Usedom ein eigenes Bundesland eröffnet. Heikel auch deshalb, weil da mitschwang, dass es ja ein heute polnisches Hinterpommern gibt, was unerwünschte Vereinigungsgelüste hätte wecken können.

Auch die zahlreichen Preußen-Anhänger hofften vergeblich auf ein neues Bundesland dieses Namens. Es galt das fort, was der Alliierte Kontrollrat am 25. Februar 1947 beschlossen hatte: „Der Staat Preußen, seine Zentralregierung und alle nachgeordneten Behörden werden hiermit aufgelöst.“ Das war der Willen der Kriegssieger. Und der blieb auch 1990 unangetastet, um das Projekt deutsche Wiedervereinigung nicht zu gefährden.

Preiß und seine Leute hatten zwischen Wünschen und Möglichkeiten auszugleichen. Bei einer sinkenden Mitarbeiterzahl. Die Leute verließen sein Ministerium durchaus nicht freiwillig: Die Personallücken wurden von den einsetzenden Prüfungen auf eine Mitarbeit im Ministerium für Staatssicherheit gerissen. Preiß war neu im Ost-Berliner Apparat. Der Sicherheitsingenieur hatte Ende der 1980er Jahre beim LDPD-Bezirksvorstand in Magdeburg gearbeitet und war vom Bezirkschef Peter Moreth als Staatssekrtär für den Bereich Territorialplanung in der Modrow-Regierung gewonnen worden. „Nicht jeder, der bei der Wende aktiv war, hatte kommunale Erfahrungen, ich schon.“ Nach den Wahlen vom 18. März stieg er zum Minister auf.

Die Maßgabe und gleichzeitig größte Schwierigkeit bei der Neuordnung des Landes erklärt Preiß so: „Wir hatten den Willen der nun freien DDR-Bürger zu berücksichtigen.“ Dieser Willen war eben nicht eindeutig und musste freiheitlich in geordnete Bahnen gelenkt werden.

Berater aus Westdeutschland hätten immer wieder gewarnt, nicht die Fehler bei der dortigen Länderbildung nach dem Krieg zu wiederholen und Kleinstaaterei zu verhindern. Beispiel: der wirtschaftlich kaum lebensfähige Stadtstaat Bremen.

Beim der schließlich favorisierten Fünf-Länder-Variante sei Sachsen-Anhalt noch ein einfacher Fall gewesen, meint der Ex-Minister. Das Land schrumpfte zwar gegenüber der Zeit nach dem Krieg ein wenig, doch ging das ohne größere Verwerfungen ab – bis auf den Streit um die Landeshauptstadt.

Sachsen-Anhalt war mit seiner Selbstfindung ausgelastet. Die historisch gewachsenen Länder Sachsen und Thüringen gruben da schon geschichtliche Privilegien aus und nannten sich fortan Freistaat. Darin sieht Preiß wissend lächelnd eher Folklore als Nutzen.

Gern hätte Manfred Preiß damals „noch ein Jahr gehabt, um das, was wir beschlossen haben, auch umzusetzen. Aber der 3. Oktober als Datum der Wiedervereingung stand.“ Rückblickend findet Preiß den territorialen Neustart im Osten „weitestgehend gelungen“, einschließlich seines Heimatlandes. „Ökonomisch sinnvoll wären aber drei Länder gewesen – Nord, Mitte, Süd.“ Das war 1990 eine Illusion.