"Nichts zu melden": Parteien wollen jetzt bei Jugend punkten
Bei den Europa- und Kommunalwahlen in Sachsen-Anhalt haben besonders Union und SPD Federn gelassen. In der Aufarbeitung stehen junge Wählergruppen im Fokus. Über künftige Ausrichtungen wollen auch die Nachwuchsorganisationen mitbestimmen. Finden ihre Ideen Gehör?
Magdeburg (dpa) - Seit Monaten gehen die Jugendlichen von "Fridays for Future" auf die Straße, doch erst ein Wahlergebnis verschafft ihnen Gehör bei den Parteispitzen. So sehen es zumindest die Vertreter selbst: Die Kommunal- und Europawahl zeige, "dass die Leute keinen Bock mehr auf die Politik von CDU und SPD haben", sagte Peter von Lampe, Sprecher der Klimademos in Halle, der Deutschen Presse-Agentur. Das gute Abschneiden der Grünen in Sachsen-Anhalt und auf Bundesebene belege, dass die Abstimmung eine "Klimawahl" gewesen sei. Auch die Wahlgewinner sieht er in der Pflicht: Die Grünen müssten nun Taten folgen lassen, sagte von Lampe.
Auch die großen Parteien CDU und SPD haben sich Nachsitzen in Sachen Klimapolitik verordnet. So gab sich Regierungschef Reiner Haseloff (CDU) am Montagmorgen zerknirscht: "Wir müssen uns der Klimapolitik auch neu stellen", sagte er dem Sender MDR Aktuell. "Wir müssen nicht nur rüberbringen, dass wir nicht nur den Kohleausstieg machen, sondern dass wir mit dem vielen Geld, das wir herausverhandelt haben, auch Alternativen im grünen Bereich schaffen."
Woher rührt diese Nachdenklichkeit? CDU und SPD, aber auch die Linke, mussten einen Wahlsonntag mit herben Verlusten hinnehmen. Sowohl bei der Abstimmung für das Europaparlament als auch bei den Wahlen der kommunalen Vertretern stand ein dickes Minus. Große Gewinnerin: die grüne Partei.
Vor allem bei den 18- bis 34-Jährigen konnte sie überzeugen, wie aus einer Analyse von Infratest dimap für die ARD hervorgeht. Ein Fingerzeig für diesen Sieg war bereits die simulierte Abstimmung für Jugendliche, die sogenannte U18-Wahl, vor wenigen Wochen.
Bundesweit waren die Grünen dabei vorn - auch auf dem für die Partei eher schwierigen Pflaster Sachsen-Anhalt gab es ein ähnliches Bild: Mit 16,28 Prozent gewann sie vor AfD (12,8 Prozent), CDU (12,26 Prozent) und SPD (11,51 Prozent). Ob sich dieses Bild bei den realen EU- und Kommunalwahlen wiederholt hat, wissen die Statistiker für Sachsen-Anhalt erst in einigen Wochen, wie eine Sprecherin sagte. Derzeit werten sie die Ergebnisse nach Altersgruppen noch aus.
Franca Meye, Landesvorsitzende der Jusos Sachsen-Anhalt, sah die Gründe für die Wahlschlappe der SPD im Land wie im Bund bei fehlenden jungen Themen wie Klimaschutz und Urheberrecht. "Wir sind bei den Jungwählern gar nicht angekommen." Die Partei müsse nun andere Ansätze finden und neue Gesichter nach vorne lassen. "Ich wünsche mir, dass wir mehr Mut haben, junge Menschen ranzulassen." Bei der Europawahl musste die SPD die größten Verluste aller Parteien einstecken.
"Die Leute wollen den Klimaschutz", sagte Michelle Angeli von der Grünen Jugend. ""Fridays for Future" scheint zu ziehen." In Sachsen-Anhalt erreichten die Grünen mit 9,2 Prozent bei der Europawahl das beste Ergebnis bei einer landesweiten Wahl überhaupt. Bundesweit kletterten sie erstmals auf Rang zwei, ebenfalls mit einem Rekordergebnis bei einer bundesweiten Abstimmung.
Die CDU hat es nicht geschafft zu vermitteln, dass sie auch für Klimaschutz stehe, konstatierte die Chefin der Jungen Union, Anna Kreye. In der Diskussion um die Klimademos sei es ihrer Partei vordergründig um die Schulpflicht gegangen. "Vielleicht hätte man doch auch auf die Forderungen von "Fridays for Future" eingehen sollen", sagte Kreye.
Dass die CDU eine klare Strategie in Sachen Umwelt- und Klimaschutz braucht, sieht auch Parteichef und Innenminister Holger Stahlknecht so. Zudem will er seinem Landesverband eine Verjüngungskur verordnen, sowohl beim handelnden Personal als auch bei den Themen. "Das Land muss moderner werden und wir müssen das auch." Als Beispiele nannte er neben Klima auch eine stärkere Förderung der Start-Up-Kultur.
Ein klares Profil bei jungen Themen will auch SPD-Landeschef Burkhard Lischka bei seinen Genossen sehen. Schnellstmöglich müsse sich die Partei bei Zukunftsthemen wie Klima, Bildung und Vereinbarkeit von Familie und Beruf "auf die Höhe der Zeit bringen". Das sei entscheidend, um die Jugend überhaupt erst wieder zu erreichen: "In dieser Wählergruppe haben wir rein gar nichts zu melden, wie die CDU auch nicht", so Lischka.
Der Politikwissenschaftler Benjamin Höhne von der Uni Halle teilt diese Beobachtung: "Ich glaube, man hat aber tatsächlich ein wenig die Situation unterschätzt, dass die "Fridays for Future"-Bewegung und auch die Klimapolitik generell Themen sind, die so bei den großen Parteien nicht abgebildet werden." Bisher sei der Blick auf die Jugend gerade für CDU und SPD aber auch nicht so entscheidend gewesen. In einer alternden Gesellschaft liege das Augenmerk vieler Parteien strategisch auf den älteren Generationen. Ob der Wahlabend das grundsätzlich geändert hat? Das bleibe abzuwarten, so Höhne.
Informationen der Landeswahlleitung zu den Kommunalwahlen 2019
Informationen der Landeswahlleitung zur Europawahl 2019
Ergebnis der Kommunalwahlen 2014
Veröffentlichung der aktuellen Wahlergebnisse beim Statistischen Landesamt