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Notbetreuung Die Kapazitätsgrenzen sind erreicht

Die Zahl der Anträge auf Notbetreuung ist stark gestiegen. Im Sozialministerium wird deshalb an Änderungen gearbeitet.

Von Martin Weigle 25.04.2020, 01:04

Magdeburg/Blankenburg l Die Notbetreuung von Kindern in Kindergärten, Krippen und Horteinrichtungen zu organisieren, wird schwieriger. Seit Inkrafttreten der aktuellen Verordnung zur Eindämmung des Coronavirus am 20. April hat sich die Zahl der Anträge für Notbetreuung von Kindern etwa verdoppelt.

„Seit Montag bekommen wir jeden Tag etwa 50 Anträge", sagt Cornelia Kurowski, Geschäftsführerin der Volkssolidarität, Kinder-, Jugend- und Familienwerk gGmbH Sachsen-Anhalt. Die Volkssolidarität unterhält als Träger 28 Einrichtungen Kinderbetreuung in sechs Landkreisen von Sachsen-Anhalt, sowie der Stadt Magdeburg.

„Wir sind schon jetzt an der Kapazitätsgrenze und teilweise sogar darüber hinaus", berichtet sie. So darf sie bei Einhaltung der Vorgaben bereits in zwei Landkreisen keine weiteren Kinder mehr aufnehmen. Entweder sind nicht genügend Räume vorhanden oder es fehlt an pädagogischem Personal. „Wir dürfen nur 5 Kinder in einem Raum betreuen, und jede dieser Kleingruppen benötigt eine Erzieherin oder Erzieher, da sind uns ganz schnell die Hände gebunden", erklärt Kurowski die Problematik.

So ist die Zahl der Kinder in Notbetreuung in den letzten vier Wochen stark gestiegen. Am 26. März waren noch 53 Kinder in den Krippen, 120 in den Kindertagesstätten und 52 in Hortbetreuung. Bei den Krippenkindern hat sich diese Zahl auf 145 fast verdreifacht und bei den Kindergartenkindern mehr als verdoppelt auf 287. Die Zahl der Hortkinder stieg auf 81.

Eine weitere Schwierigkeit sieht sie in dem nicht endenden Eingang von Anträgen auf Notbetreuung. So habe man bei der Volkssolidarität, die in normalen Zeiten rund 3200 Kinder in ihren Einrichtungen betreut, eine Kollegin nur zur Bearbeitung von Anträgen abgestellt. Trotzdem ist die Bearbeitungszeit auf etwa zwei Tage angewachsen.

Problematisch sei auch, dass bei der wöchentlichen Abfrage der Belegungszahlen in den Einrichtungen nur die tatsächlich anwesenden Kinder gezählt werden. „Das ist irreführend, weil ja an Donnerstagen, wenn die Zahlen ans Ministerium übermittelt werden, ja nicht immer alle Kinder da sind", erklärt Kurowski. Einige Kinder seien nur an bestimmten Tagen und nicht die ganze Zeit in Betreuung.

„Außerdem wird uns durch die Auslegung der Prüfung das Leben schwer gemacht", berichtet die Geschäftsführerin weiter. So würden nicht in allen Landkreisen die gleichen Maßstäbe bei den Antragsprüfungen angelegt. In manchen Landkreisen werde nicht geprüft, ob eine Betreuung des Kindes, zum Beispiel durch einen zweiten Elternteil, möglich ist. Auf diese Weise werden etwa 90 Prozent der eingehenden Anträge auf Notbetreuung genehmigt.

Diese Zahlen hält auch Nicole Anger, Referentin Frühkindliche Bildung und Jugendhilfe beim Paritätischen Wohlfahrtsverband Sachsen-Anhalt, für problematisch. „Mancherorts haben sich die Zahlen sogar verdreifacht, das ist keine Notbetreuung mehr", sagt sie. Vielmehr handele es sich um Betreuung von Kindern systemrelevanter Eltern.

„Dass es so über uns hereinbricht, habe ich schon nach der Pressekonferenz der Landesregierung am 16. April geahnt, weil kurze Zeit später die Telefone bei uns heiß liefen", berichtet Anger. So sei es dann auch bereits am darauf folgenden Montag zu skurrilen Szenen an einigen Türen von Kindergärten gekommen. „Da stand dann ein Elternteil, in der einen Hand einen Zettel vom Arbeitgeber und der anderen ein Kind und wollte das Kind zur Notbetreuung abgeben."

Auf diese Weise könne es mit der Notbetreuung nicht weitergehen, wagt Anger einen Blick in die nähere Zukunft. Es stünden derzeit nur rund 60 Prozent der pädagogischen Fachkräfte zur Verfügung, da die Träger der Betreuungseinrichtungen auch auf ihre Angestellten achten müssten. „Einige unserer Erzieherinnen gehören vom Alter oder aufgrund von Vorerkrankungen zur Risikogruppe, die können wir nicht mit der Kinderbetreuung beauftragen." Des Weiteren verringere sich der Personalstand auch durch normale Krankmeldungen von Angestellten.

„Bei uns gelten drei Stufen, zuerst kommt das Kindeswohl, dann das Wohl unserer Angestellten und danach dann das Wohl der Eltern", erklärt Anger. Ihre größte Sorge ist, dass sich Erzieher mit dem Coronavirus bei der Arbeit infizieren und daraufhin die komplette Einrichtung geschlossen und die Belegschaft unter Quarantäne gestellt wird. „Davon hat niemand etwas", sagt sie.

Auch in der Harzstadt Blankenburg ist die Situation bei einem Träger von Kindertagesstätten angespannt, Peggy Angerstein, Leiterin einer Kita des Gemeinnützigen Vereins für Sozialeinrichtungen (GVS) berichtet, dass in zwei von fünf Kindergärten die Kapazitätsgrenzen bereits erreicht seien. „Dabei haben noch nicht einmal alle die einen Anspruch haben, einen Antrag gestellt. Auch beim GVS haben sich die Zahlen der Kinder in Notbetreuung nahezu verdoppelt.

Doch nur in drei der fünf Kindergärten sind räumliche und personelle Voraussetzungen so, dass auch genug Platz für alle Kinder Anspruchsberechtigter Eltern ist. „Wenn die Verordnung weiter so durchgesetzt werden soll, schaffen wir es nicht, da wir einfach nicht genug Räume und Erzieherinnen haben", erklärt Angerstein.

Bisher laufe es gut, da sich viele Eltern vorher informieren, ob sie Anspruch auf Notbetreuung haben. Außerdem gebe es einige, die aus Vorsicht und zum Schutz der Familie keine Anträge stellen.

Helfen würde es den Kindertagesstätten, wenn die Verordnung nicht weiter aufgeweicht würde und nicht noch mehr Berufe als systemrelevant anerkannt würden, sagt Nicole Anger. „Wenn es bei den Vorgaben der Verordnung keinen Interpretationsmöglichkeiten gebe, könnte man manchen Eltern auch einfacher erklären, warum bei ihnen kein Anspruch auf Notbetreuung besteht", ergänzt sie.

Cornelia Kurowski wünscht sich, dass wieder zu einer Prüfung von beiden Elternteilen, wie in der Vorgängerverordnung zurückgekommen wird. Da ansonsten die Abstandsregeln in den Kitas nicht einzuhalten sind. „Das ist aufgrund der Natur der Kinder sowieso schon schwierig."

Beim Landessozialministerium wird an den entstandenen Problemen gearbeitet. Personelle Unterstützung der Betreuungseinrichtungen oder weitere Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen, ist derzeit aber nicht geplant. Landesweit wurde lediglich eine Durchschnittsbelegung von zwölf Prozent in den Kitas ermittelt und dies sei von den Einrichtungen noch gut zu bewältigen, wie das Sozialministerium am Freitagabend mitteilte.

 Es gibt keine Pläne, bei der Antragsprüfung wieder beide Elternteile in den Prüfprozess einzubeziehen. Änderungen sollen aber am Betreuungsschlüssel vorgenommen werden. Wie viele Kinder dann in einer Gruppe sein und von einer Person betreut werden, wurde vom Ministerium noch nicht mitgeteilt.

Es blieb auch unklar, wie bei einer Vergrößerung der Gruppen die geltenden Abstandsregeln eingehalten werden sollen. Es wurde auf eine in Arbeit befindliche Novelle des Erlasses verwiesen. Welche Änderungen genau am Erlass vorgenommen werden sei noch in der Abstimmung im Ministerium, wurde von dort am Freitag mitgeteilt. Der überarbeitete Erlass soll aber in Kürze veröffentlicht werden.