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Oldtimerfans Ein ganz besonderes Laster

Die Chefs der Spedition Gerloff von Schwanebeck pflegen ein ganz besonderes schwergewichtiges Hobby: Sie sammeln alte Nutzfahrzeuge.

Von Dennis Lotzmann 03.07.2018, 01:01

Schwanebeck l Sein absoluter Liebling? Klaus-Peter Gerloff muss nicht den Bruchteil einer Sekunde nachdenken: Der IFA-H 6 sei für ihn einfach der Schönste. Der Schönste unter all den Lastern, die der 57 Jahre alte Chef der Spedition Gerloff in den vergangenen Jahren zusammengetragen und mit Liebe und Hingabe restauriert hat.

Der in den 1950er Jahren gebaute Lkw brilliere mit schöner Optik. „Und er war der einzige große Lastkraftwagen, der nach dem Krieg in der jungen DDR gebaut wurde“, erinnert Gerloff an ein Alleinstellungsmerkmal. Eines, das der H 6 – abgeleitet von der ursprünglichen Fahrzeugschmiede „Horch“ und sechs Tonnen Nutzlast – behalten sollte, weil die Produktion großer Laster später innerhalb der Osteuropa-Kooperation der damals sozialistischen Staaten in andere Länder wechselte.

In der Sammlung von Klaus-Peter Gerloff und Sohnemann Thomas ist der H 6 ein Brillant, allerdings nur einer von vielen. Führt das Gerloff‘sche Geschäftsführer-Duo durch die Hallen, geht Fans das Herz auf. Angefangen beim guten alten Ikarus-Reisebus vom Typ 55, der ob seiner Form den Spitznamen Zigarre verpasst bekam, über modernere Ikarus-Ausführungen aus Ungarn bis hin zum Skoda-Bus vom Typ RTO 706 mit dem bulligen Motorblock zwischen Fahrer und Beifahrer. Dort mal als Kind auf dem Beifahrer-Sitz mitfahren zu dürfen, ist eine unauslöschliche Erinnerung auf Lebenszeit.

So war es auch bei Klaus-Peter Gerloff. Er war Anfang der 1970er Jahre noch ein Steppke, als der Staat den Privatbetrieb seines Vaters Heinz mit einer Offerte überraschte: Ob Interesse an einem Lkw vom Typ W 50 bestehe – nagelneu und direkt aus dem Fahrzeugwerk Ludwigsfelde?

In Zeiten mit Mangelware und staatlich reglementierten Zuteilungen sei dies eine wahnsinnige Offerte gewesen, aber finanziell ein harter Brocken für die kleine Privatspedition von Heinz und Brigitte Gerloff. „Am Ende hat es aber geklappt – die Bank hat ihnen 36.000 DDR-Mark geliehen“, erinnert sich ihr Sohn.

Dass dieser Kauf rund drei Jahrzehnte später mal zur Initialzündung für Klaus-Peter Gerloffs Hobby werden sollte, ahnte damals freilich niemand. Als das 50-jährige Bestehen der Spedition im Jahr 2001 näher rückte, erinnerte sich Gerloff des ausgedienten W 50. Er erweckte den Lkw nicht nur zu neuem Leben und rollte in der früheren speditionstypischen olympiablauen Gerloff-Lackierung zum Fest vor, sondern leckte – salopp formuliert – damit richtig Blut.

Seither sammelt er querbeet durch Epochen und nationaler Herkunft Fahrzeuge. Zupasskommen dem studierten Verkehrsingenieur dabei nicht nur beste Kontakte in die Oldtimer-Szene. Die nach der Wende deutlich expandierte Spedition mit aktuell rund 270 Mitarbeitern und 150 großen Sattelzügen bietet auch logistisch perfekte Rahmenbedingungen: Große Hallen, in denen die Brillanten auf ihre nächste Ausfahrt warten, und Werkstätten, in denen der Sammler nach Herzenslust schrauben und in riesigen Regalen Ersatzteile bunkern kann.

Wobei aus dem Singular längst Plural geworden ist. Spätestens seit 2012 teilt auch Gerloffs Sohn Thomas die PS-starke Leidenschaft. Der heute 29-Jährige steht zusammen mit seinem Vater an der Spitze der Spedition. Beide gehen für die Oldtimer voll auf und agieren Hand in Hand mit dem Team der firmeneigenen Lkw-Werkstatt.

Schwere Laster machen heute den Löwenanteil im historischen Fundus aus. Die Palette reicht von besagtem DDR-Allzweck-Laster W 50 und dessen in den 1980er Jahren entwickelten Nachfolger L 60 über viele weitaus ältere Modelle bis hin zu schweren Lkw aus Skandinavien, mit denen in der DDR einst Transitwaren im internationalen Verkehr bugsiert wurden. Sie alle kamen mehr oder minder heruntergeritten nach Schwanebeck und wurden mit viel Liebe zum Detail wieder aufgearbeitet. Wenn man so will, wurden die stumpf gewordenen Diamanten wieder zu altem Glanz geschliffen.

Ein solcher Brillant steht gerade in der Werkstatt. Ein Scania L 110 – ein Sattelschlepper aus Schweden. „Den habe ich teilrestauriert übernehmen können“, berichtet Gerloff senior. Vor drei Wochen sei es auf Jungfernfahrt gegangen – zum Oldtimertreffen in Hartmannsdorf bei Chemnitz. Jene Touren sind bislang quasi das einzige Vergnügen, das sich die Gerloffs mit ihren Oldies gönnen. Dabei starten sie europaweit durch. Für die Auswahl, welcher Brillant dann an den Start geht, hat das Duo ein ganz spezielles Kriterium. „Wenn wir Richtung westliche Bundesländer oder Westeuropa starten, nehmen wir mit Vorliebe ein Ostblock-Fahrzeug, und analog andersherum“, verrät Junior-Chef Thomas Gerloff. Und es seien nicht immer die ganz schweren Brummis, bei denen dann am Zündschlüssel gedreht wird. Zum Fuhrpark gehören auch zahlreiche Pkw und Zweiräder.

Eigentlich hat das Sammler-Duo längst alles im Fundus, um in Schwanebeck ein Oldtimer-Museum zu etablieren. Nachgedacht, verrät Klaus-Peter Gerloff, habe er darüber durchaus. „Im Moment ist das mit meinem Job als Speditions-Geschäftsführer zeitlich allerdings nicht vereinbar“, sagt er, ergänzt jedoch sogleich: „Noch nicht – man sollte ja bekanntlich niemals nie sagen.“ Im Moment richten die beiden agilen Sammler ihren Fokus eher darauf, weitere Oldtimer an Land zu ziehen und ihren Bestand zu erweitern.

Apropos Fundus: Manch Sammler trägt historische Fahrzeuge zusammen, um damit passende Requisiten zu Filmproduktionen beizusteuern. Solche Gelegenheiten hatten auch die Gerloffs schon. Beispielsweise 2006, als ein Fernsehsender einen Doku-Streifen über die Katastrophe im ukrainischen Atommeiler Tschernobyl drehte, die sich 20 Jahre zuvor ereignet hatte. Genauer: Über die radioaktiv kontaminierten Lkw, die damals von Osten kommend nicht in die BRD einreisen durften und vor dem Grenzübergang Marienborn aufwändig gesäubert werden mussten. Im Dokumentarfilm wurde ein tschechischer Lkw vom Typ Liaz S 100 aus Gerloffs Fundus geschrubbt.

Ein Lkw aus genau dieser Epoche wird übrigens gerade restauriert: Ein Volvo, der für die DDR-Spedition Deutrans („Deutsch-Russische Transport-Aktiengesellschaft“) unterwegs war. In orangefarbener Lackierung und mit den bekannten Planen in Orange. Weil Deutrans damals auch im Kraftverkehr Halberstadt angesiedelt war, „ist das zugleich ein Stück Erinnerung“, berichtet der Senior-Chef. Warum ist klar: Nach seinem Studium sammelte er dort in den 1980er Jahren erste Berufserfahrungen, um dann 1988 in die elterliche Spedition zu wechseln.

Auch beim Deutrans-Laster ziehen Vater und Sohn zusammen mit dem Werkstatt-Team an einem Strang. Dass er Sohnemann Thomas das PS-Gen vererbt hat, freut Vater Klaus-Peter natürlich besonders. „Das ist schon ein ganz tolles Hobby – und zu zweit ist es natürlich doppelt schön.“

Sohn Thomas folgt übrigens nicht nur hier den Spuren seines Vaters. Auch er hat Verkehrsingenieurswesen studiert und ist 2012 in die Firma eingestiegen. Offiziell, denn dabei sei er weitaus länger, verrät der 29-Jährige mit Augenzwinkern: „Eigentlich seit 29 Jahren, weil man schon als Kind hier voll integriert war.“ Das Feuer für Pferdestärken lodert heute stärker als je zuvor. Soll heißen: Mit den Gerloffs ist weiter zu rechnen – als Spedition und vielleicht irgendwann mal als Museum.