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Organspende Klares Ja zur Widerspruchslösung

Top-Sportler fordern eine Debatte zur Organspende. Politiker aus Sachsen-Anhalt unterstützen diese Initiative.

Von Janette Beck 23.11.2018, 00:01

Magdeburg l Hartwig Gauder kann sein Glück immer noch nicht fassen: Seit einem halben Jahr ist der 64-jährige Olympiasieger Opa. Eigentlich nichts Besonderes könnte man meinen. Doch für den einstigen Weltklasse-Athleten aus Thüringen ist es ein „großes Wunder“. Eines, das er nur durch ein geschenktes Herz erleben darf. „Meinen kleinen Enkel Leonas aufwachsen sehen zu können, ist ein Riesengeschenk. Ein unglaublich schönes Gefühl, verbunden mit unendlicher Dankbarkeit“, sagt der Ex-Weltklasseathlet, der nach einer bakteriellen Infektion seit 1997 mit einem Spenderherzen lebt, der Volksstimme.

In seinem zweiten Leben engagiert sich Gauder unter anderem in der Deutschen Stiftung für Organtransplantation und im Verein „Sportler für Organspende“ (VSO). Jüngste Initiative des Weltmeisters im 50-Kilometer-Gehen ist ein offener Brief des VSO an die Bundestagsabgeordneten, die derzeit das Thema Organspende diskutieren. Diese soll in Deutschland auf neue Füße gestellt werden.Die Botschaft an den Bundestag, unterschrieben von so prominenten Sportlern wie Franziska van Almsick, Timo Boll, Henry Maske, Felix Neureuther, Karl-Heinz Rummenigge und Matthias Steiner, lautet: „Stoppen Sie den Tod auf der Warteliste! PRO Widerspruchslösung.“ Hintergrund der Initiative von Gauder & Co. ist die dramatisch sinkende Zahl von Spendern: Nur 797 Menschen stellten 2017 nach ihrem Tod ein oder mehrere Organe als Spender zur Verfügung – so wenig wie seit 20 Jahren nicht mehr. Zugleich warten mehr als 10.000 schwer kranke Menschen hierzulande auf eine lebensrettende Niere, Lunge oder ein Herz. Gauder: „Inzwischen stirbt alle acht Stunden in Deutschland ein Mensch, der auf einer Warteliste steht. Die Wartezeiten liegen bei sechs bis sieben Jahren. Deshalb geht unser Aufruf an die Politik, das Sterben auf der Warteliste zu beenden.“

Bei dem CDU-Abgeordneten Tino Sorge, Mitglied im Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages, rennen die Sportler mit ihrer Forderung offene Türen ein. „Wir müssen aktiv werden und die positive Einstellung zum Thema Organspende in Deutschland in eine tatsächliche Spendenbereitschaft umsetzen und Leben retten“, so der Jurist. Er persönlich unterstütze den jüngsten Vorstoß von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), die gesellschaftliche und politische Debatte über das Thema Organspende anzustoßen. Bis Mitte 2019 soll der Bundestag zu einer Entscheidung kommen. Aktuell arbeitet der 43-jährige Magdeburger, der wie Spahn die sogenannte doppelte Widerspruchslösung präferiert (siehe Infokasten), an einem dementsprechenden Gruppenantrag. Sorge: „Entsprechend dem Entwurfstext wird der Antrag vorsehen, dass auch enge Angehörige, Verwandte etc. der Spende widersprechen können, sofern sie glaubhaft machen können, dass der Tote einen Widerspruchswillen hatte.“ Derzeit gilt in Deutschland noch die Entscheidungslösung: Heißt, nur wer seinen Willen beispielsweise im Organspendeausweis dokumentiert hat, kommt für eine potenzielle Spende in Frage.

Auch Sachsen-Anhalts Sozialministerin Petra Grimm-Benne gehört zu den Befürwortern der Widerspruchslösung: „Es fehlen Organspender. Dabei lehnt die Mehrzahl der Menschen Organspende nicht ab, sie entscheidet sich aber eben nicht aktiv, als Spender zur Verfügung zu stehen.“ Aus Rücksicht auf weltanschauliche oder andere persönliche Vorbehalte könne ihrer Ansicht nach nicht generell zur Organspende verpflichtet werden, so Grimm-Benne. Die Widerspruchslösung sei ein guter Kompromiss zwischen der grundsätzlichen Verpflichtung zur Organspende und der Berücksichtigung von individuellen Vorbehalten. „Wird Widerspruch eingelegt, ist eine Organspende tabu.“

Die Gegner der Widerspruchslösung sehen indes die Unantastbarkeit der menschlichen Würde, die über den Hirn- oder Organtod hinausreicht, in Gefahr. Theologe Peter Dabrock, Vorsitzender des Deutschen Ethikrates, spricht von einem „tiefen Eingriff in das Selbstverfügungsrecht über den eigenen Körper“. Das Schweigen würde als eine Zustimmung ausgelegt, die Organspende quasi zur Pflicht. Hartwig Gauder negiert die Gegenargumente nicht. „Mir ist eine kontroverse Debatte lieber als keine.“ Denn, dass das Thema in die Öffentlichkeit geholt wurde, zeigt bereits Wirkung: Gestern vermeldete die Deutsche Stiftung Organtransplantation, dass die Zahl der Organspender erstmals wieder gestiegen ist. Bis Mitte November wurden 832 Spender registriert – mehr als im gesamten Vorjahr. Für Gauder ist das die zweite Jubel-Nachricht des Jahres 2018.