Ostdeutsche sehen sich und Muslime ähnlich benachteiligt
Ostdeutsche und muslimische Migranten erleben in Deutschland ähnliche Ausgrenzung. So zumindest heißt es in einer neuen Studie. Kann das zu mehr gegenseitigem Verständnis führen?

Berlin (dpa) - Ostdeutsche sehen sich und Muslime laut einer neuen Studie als "Bürger zweiter Klasse". Menschen in Ostdeutschland fühlten sich auf ähnliche Weise "unten platziert", sagte die Wissenschaftlerin Naika Foroutan bei der Vorstellung der Studie des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung am Dienstag in Berlin. Fast jeder zweite Ostdeutsche meinte demnach, dass Muslime und Ostdeutsche deutlich mehr leisten müssten als Westdeutsche, um das Gleiche zu erreichen. Trotzdem werteten auch Ostdeutsche Muslime ab.
Von Seiten der Mehrheitsgesellschaft würden beide Gruppen ähnlich stigmatisiert: Westdeutsche werfen laut Analyse den Minderheiten vor, sich als Opfer zu betrachten, nicht im heutigen Deutschland angekommen zu sein oder sich nicht ausreichend von Extremismus zu distanzieren.
Die Benachteiligung von Muslimen werde von Westdeutschen durchaus gesehen. So stimmten rund 36 Prozent der westdeutschen Befragten der Aussage zu, dass Muslime wie Bürger zweiter Klasse behandelt würden.
Die Sicht auf Ostdeutsche sei aber eine andere: Obwohl mehrere Studien deren Nachteile in vielen Lebensbereichen belegten, würden Westdeutsche dies nicht genügend anerkennen, sagte Foroutan zu ihrer Untersuchung. Nur rund 18 Prozent sahen Ostdeutsche als Bürger zweiter Klasse. "Sie ignorieren damit die Wunden der Wiedervereinigung", hieß es in der Studie.
Für die Analyse mit dem Titel "Konkurrenz um Anerkennung" wurden über 7200 Menschen in West- und Ostdeutschland in Telefoninterviews befragt. Die Zahl der befragten Muslime war nicht repräsentativ.
Laut den Forschern um Foroutan führt die Erfahrung der Abwertung nicht unweigerlich zu mehr Solidarität mit anderen Gruppen, die Ausgrenzung erfahren. Im Gegenteil: Menschen in Ost- aber auch in Westdeutschland fühlten sich vom möglichen Aufstieg von Muslimen bedroht. Ein Großteil der Menschen wolle Muslime nicht in Führungspositionen sehen.
Auch beim Thema Bildung spreche die gefühlte Bedrohung aus den Antworten: Der Aussage "Wir müssen aufpassen, dass die Bildungserfolge von Muslimen nicht zu Lasten der Bildungschancen der Restbevölkerung gehen" stimmten in Ostdeutschland 40 und in Westdeutschland 33 Prozent der Befragten zu.
Hier könne man sich fragen, ob die aktuell angespannte Situation mit einem symbolischen Kampf um den zweiten Platz in der Gesellschaft zu erklären sei, sagte Foroutan.
Positiv sahen die Forscher die Zustimmung zu Quoten, um Nachteile auszugleichen. Als überraschender Befund wurde gesehen, dass jeweils knapp ein Drittel der Befragten eine Migrantenquote bejahen würde.
Aus der Studie ergeben sich noch weitere Fragen, wie die Forscher erklärten. Es bleibe etwa zu untersuchen, ob die Ergebnisse der Studie zum Teil mit Demokratieunkenntnis zu erklären seien.
Sachsen-Anhalts Sozialministerin Petra Grimm-Benne (SPD) kritisierte, dass Migranten wie auch Ostdeutsche in der Kritik an ihrer Benachteiligung nicht ernst genommen würden. Stattdessen degradiere man sie zu "Jammerossis oder Opfern".
Für die Linke sagte Parteichefin Katja Kipping, es sei an der Zeit, jahrzehntelange Abwertung und Nichtanerkennung auf allen Ebenen zu beseitigen. Herablassend auf andere zu blicken, wie es laut der Studie Westdeutsche tun, verstärke eher ein Gefühl der Abwehr. Für Veränderungen brauche es strategische Allianzen.