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Pflegebedarf Medizinischer Dienst kämpft mit Imageproblem

Jens Hennicke ist neuer Chef beim Medizinischen Dienst der Krankenkassen in Sachsen-Anhalt und will das Prüfer-Image verbessern.

Von Janette Beck 10.02.2019, 00:01

Magdeburg l Jens Hennicke war 20 Jahre Chef der Techniker-Krankenkasse Sachsen-Anhalt. Seit Jahresbeginn führt der 47-Jährige die Geschäfte beim Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK). Im Gespräch berichtet er über seine Prüfer-Rolle und nimmt Stellung zu Qualitätsprüfungen und Finanzen.

Bei Ihrer Amtseinführung im Rahmen des Neujahrsempfangs sprach Verwaltungsratschef Jürgen Müller davon, dass der MDK einen schlechten Ruf habe. Wie nehmen Sie das Problem wahr?
Jens Hennicke: Ich sehe das gar nicht so als Kritik, sondern würde eher sagen, der MDK hat ein Imageproblem. Das ist verständlich, denn bei uns dreht sich nun mal alles um die Bewilligung oder Ablehnung von medizinischen oder pflegerischen Leistungen. Bekommt jemand die Leistung, die er erwartet, ist alles bestens. Bekommt er sie nicht oder nicht im vollen Umfang, ist der Ärger oftmals groß. Als MDK geben wir Empfehlungen aus medizinischer oder pflegerischer Sicht an die Krankenkassen und diese entscheiden am Ende eigenständig.

Sie waren über 20 Jahre Chef einer Krankenkassen und wechselten zum 1. Januar die Seiten: Fühlen Sie sich wohl in der Rolle des Prüfers und Kontrolleurs oder fremdeln Sie noch ein bisschen damit?
Sagen wir mal so: Ich fühle mich als Geschäftsführer des MDK sehr wohl, aber ich sehe mich nicht in der Rolle des Prüfers oder Kontrolleurs. Ich betrachte den MDK als einen Dienstleister der gesetzlichen Krankenkassen. Wir erstellen unabhängige medizinische und pflegerische Gutachten, und das hat nicht zwingend etwas mit Kontrolle zu tun.

Aber bei Prüfungen der Pflegebedürftigkeit oder Abrechnungen von Krankenhäusern, da schauen die MDK-Gutachter schon ganz genau hin. Damit machen Sie sich sicher nicht nur Freunde.
Es mag sein, dass die Prüfungen als Überwachung oder strenge Kontrolle empfunden werden. Aber wir machen das ja nicht zum Selbstzweck, sondern wir haben dafür einen klaren, gesetzlichen Auftrag und durch unser Fachpersonal auch das erforderliche Know-how. Unsere Mitarbeiter machen ihren Job gut und schauen im Sinne der Solidargemeinschaft genau darauf, dass die Gelder der gesetzlich Versicherten einen sach- und bedarfsgerechten Einsatz finden.

Der MDK verteilt bei seinen Qualitätsprüfungen im ambulanten und stationären Pflegebereich Noten. Wie würden Sie den Status quo des MDK Sachsen-Anhalt benoten?
Oh, mit einer konkreten Zensur tue ich mich schwer. Aus fachlicher Sicht kann und will ich das nach so kurzer Zeit nicht beurteilen. Aber nach einer ersten Einschätzung würde ich sagen, wir stehen im Mittelfeld. Für die Herausforderungen der Zukunft sehe ich uns gut aufgestellt, aber es gibt natürlich noch Entwicklungspotenzial. Dabei möchte ich nicht zwingend nach mehr Personal rufen, sondern zuerst an der Effizienzschraube drehen, Abläufe optimieren und die Digitalisierung da vorantreiben, wo sie hilfreich ist und allen nutzt.

Lassen Sie uns über Zahlen reden und beginnen bei denen, die die Arbeit machen. Für wie viele Mitarbeiter tragen Sie die Verantwortung?
Für rund 350 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter trage ich die Verantwortung, wobei auch wir derzeit nicht alle Stellen besetzt haben. Der Fachkräftemangel macht auch um den MDK Sachsen-Anhalt keinen Bogen.

Wird nach Tarif bezahlt?
Ja, es gibt eine Tarifgemeinschaft aller Medizinischen Dienste in der Bundesrepublik. Dass es bei den Gehältern also keine Unterschiede zu anderen Bundesländern gibt, ist gut so und vernünftig. So gibt es keinen Wettbewerb untereinander und man jagt sich nicht gegenseitig die ohnehin rar gesäten Gutachter ab.

Da wir gerade beim Thema Geld sind, wie hoch ist das Jahresbudget des MDK?
Rund 30 Millionen Euro. Und um die Frage nach den Personalkosten vorwegzunehmen, der Anteil lag in den drei Geschäftsbereichen Medizin, Pflege und Service/Verwaltung bei zusammen rund 80 Prozent.

Wie genau erfolgt die Finanzierung des MDK?
Wir werden je zur Hälfte von den Krankenkassen und den Pflegekassen über eine Pro-Kopf-Umlage finanziert. Die Kassen bezahlen also für jedes Mitglied, das seinen Wohnsitz in Sachsen-Anhalt hat, einen Pauschalbetrag.

Von wie vielen gesetzlich krankenversicherten Mitgliedern insgesamt sprechen wir in Sachsen-Anhalt?
Von rund 1,6 Millionen.

Und wie hoch ist die Pro-Kopf-Umlage aktuell?
Da kann ich erstmal nur mit Zahlen aus dem Wirtschaftsjahr 2017 dienen: Hier lag die Umlage bei 16,29 Euro, geplant waren 14,94 Euro pro Kopf. Die Umlage steigt seit 2014 kontinuierlich an, was die Kassen zu Recht kritisch sehen. Aber der Anstieg lässt sich damit erklären, dass in Sachsen-Anhalt die Bevölkerung zum einen schrumpft. Im Vergleich zu 2017 haben wir 2018 beispielsweise 7000 zahlenden Mitglieder weniger gehabt. Zum anderen leben hier aber auch verhältnismäßig viele alte und damit multimorbide Menschen (gleichzeitig an verschiedenen Krankheiten leidend/ d. Red.)auch das schlägt sich in Mehrkosten nieder. Ziel muss es dennoch für die Zukunft sein, die Umlage stabil zu halten.

Ein weiterer Kritikpunkt am MDK ist der Zugriff auf Fremdgutachter. Wie sieht es damit aus?
Das Verhältnis interne MDK-Gutachter zu Fremdgutachter schwankt bei uns je nach Bereich zwischen 10 und 20 Prozent. Wie bereits erwähnt, leiden wir wie alle Branchen unter dem Fachkräftemangel und müssen uns der externen Gutachter bedienen. Wir wollen aber dahin kommen, dass die Arbeit zu 100 Prozent mit internen Mitarbeitern abgedeckt wird.

Aus Ihrem Jahresbericht geht hervor, dass in der Einzelfallbegutachtung der Pflege im Schnitt 326 Gutachten je Arbeitstag erledigt werden. Auf wie viel Hausbesuche kommt da die Pflegegutachter im Schnitt?
Auf vier bis fünf Gutachten pro Tag. Das Pensum ist happig, denn man muss berücksichtigen, dass neben der Vor- und Nachbearbeitungszeit von 45 Minuten bei uns aufgrund der ländlichen Region auch noch die zum Teil lange Fahrzeit dazukommt. Da bleibt oft nicht mehr als eine Stunde für einen Hausbesuch.

Reicht das denn aus, um den Grad der Pflegebedürftigkeit nach bestem Wissen und Gewissen zu prüfen?
Ich sehe da keinen Zeitdruck. Das ist ja das täglich Brot unserer qualifizierten Pflegefachkräfte. Sie sind so geschult und erfahren, dass sie relativ schnell erkennen, welchen Bedarf ein Versicherter hat. Sollte am Ende doch jemand mal nicht einverstanden sein, gibt es immer noch die Möglichkeit des Widerspruchs. Dann schaut sich ein zweiter Gutachter das Ganze noch einmal unvoreingenommen an.

Apropos Widerspruch: Mit Blick auf die Wirtschaftlichkeit der Kassen wird nicht jede Leistung vom MDK durchgewunken. Das sorgt für Unzufriedenheit. Wie hoch ist denn generell die Ablehnungsquote?
Das kann ich Ihnen nicht sagen.

Warum das denn?
Der Grund ist ganz einfach: Es gibt keine von den Kassen vorgegebene Quote, die wir zu erfüllen haben. Das würde ich grundsätzlich auch ablehnen, denn es würde die Unabhängigkeit unserer Gutachter zu Recht in Frage stellen. Wir haben den Anspruch, alle Aufträge, egal von welcher Kasse sie kommen, nach gesetzlich einheitlichen Richtlinien zu beurteilen und zu bewerten. Zum Thema Zufriedenheit kann ich aber eine interessante Zahl liefern.

Die da wäre?
Einer neutralen Umfrage zufolge sind 82 Prozent der pflegebedürftigen Menschen in Sachsen-Anhalt mit den Begutachtungen durch den MDK zufrieden. Das ist eine Quote, mit der ich leben kann. Was nicht heißen soll, dass wir uns nicht noch verbessern können.

Dennoch sieht sich der MDK in Deutschland immer wieder dem Verdacht der Abhängigkeit ausgesetzt. Frei nach dem Motto: Wes Brot ich ess, des Lied ich sing. Der Patientenbeauftragte der Bundesregierung spricht vom „verlängerten Arm der Krankenkasse“, der Berufsverband Deutscher Internisten von „Pseudo-Selbstverwaltung“. Starker Tobak.
Und beide Vorwürfe kann ich so nicht stehen lassen. Ich sehe die Neutralität und Unabhängigkeit durchaus gegeben. So wie ich schon gesagt habe, haben wir in unserer Selbstverwaltung neben dem Verwaltungsrat zusätzlich noch einen Beirat. Dieser schaut sehr genau, dass wir als MDK unsere medizinischen und pflegerischen Gutachten unabhängig erstellen. Und mal eine Gegenfrage: Wer soll es denn dann machen? Wenn es den MDK nicht geben würde, und jede Kasse würde ihre eigenen Gutachter auf dem freien Markt suchen und dann losschicken, wäre die bisherige Neutralität nicht gegeben.

Gesundheit und Pflege sind sehr sensible Bereiche, die früher oder später jeden angehen. Wie wollen und können Sie Ihrer Verantwortung gegenüber den betroffenen Menschen gerecht werden, wenn Sie am Tropf der Kranken- und Pflegekassen hängen?
Unsere Unabhängigkeit erklärt sich allein schon aus der Umlagefinanzierung. Sie verhindert eine direkte oder indirekte Einflussnahme durch einzelne Kassen, Leistungserbringer, Hersteller und nicht zuletzt der Politik. Es ist der Stolz unserer Gutachter, sich nicht reinreden zu lassen. Sie entscheiden einzig nach objektiven, medizinischen Kriterien und stellen sicher, dass die Leistungen der Kranken- und Pflegeversicherung allen Versicherten zu gleichen Bedingungen zugutekommen. Und aus eigener Erfahrung kann ich auch sagen: Die Kassen stehen untereinander im harten Wettbewerb und beäugen sich gegenseitig. Da wird schon ganz genau aufgepasst, dass keiner zu viel oder zu wenig bekommt.

Kommen wir zum Abschluss auf das Image zurück. Wie wollen Sie das als Geschäftsführer aufpolieren?
Indem vor allem unser Außenauftritt verbessert wird. Wir wollen den Patienten gegenüber noch freundlicher und positiver auftreten sowie und den Servicegedanken noch weiter in den Vordergrund stellen. Und um mehr Akzeptanz und Verständnis für unsere Arbeit zu bekommen, muss sie transparenter werden. Ich würde mir wünschen, dass junge Ärzte, Krankenschwestern und auch Pflegefachkräfte im Rahmen ihrer Ausbildung auch ein Praktikum beim MDK machen und einem Gutachter über die Schulter schauen. Da würde vielleicht die Erkenntnis reifen, dass wir eigentlich alle in einem Boot sitzen und alle wollen, dass die Versicherten gut versorgt sind.