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Ärztemangel Poliklinik-Modell rettet Praxen

In Sachsen-Anhalt haben sich in den vergangenen 13 Jahren Medizinische Versorgungszentren (MVZ) etabliert. Sie helfen, Lücken zu schließen.

Von Steffen Honig 07.08.2017, 01:01

Dingelstedt l Gerlinde Löpke verleiht ihrer Erleichterung lautstark Ausdruck: „Schön, dass hier endlich wieder geöffnet ist!“ Die Patientin aus Eilsdorf hatte in Dingelstedt bis zum Oktober 2016 ihren Stammarzt. Dieser gab die Praxis im vorigen Herbst auf, die Leute verloren ihren gewohnten Arzt und die Angestellten Roswitha Daniel und Angelika Schneider ihren Arbeitsplatz.

Jetzt sitzen die beiden wieder hinter dem Tresen, holen Patientenakten und reichen Rezepte aus: Aus der Hausarztpraxis wurde zum 31. Juli 2017 ein Medizinisches Versorgungszentrum. Träger ist das MVZ Sachsen-Anhalt, eine Tochtergesellschaft der Helios-Kliniken in Burg und Vogelsang bei Gommern.

Dingelstedt hat seinen Hausarzt wieder. Genau genommen sind es zwei: Roland Hiersemann (31) und Martin Köhler (37). Im Unterschied zum Einzelkämpfer mit eigener Praxis arbeiten die fachärztlich ausgebildeten Internisten die eine Hälfte ihrer Arbeitszeit in der Helios-Klinik in Neindorf, die andere als Angestellte im MVZ „Am Huy“. Der 37-jährige Köhler sieht darin den Vorteil, „mal was anderes zu sehen als nur das Krankenhaus“. In Dingel­stedt habe er die Möglichkeit, sich im ambulanten Bereich auszuprobieren, ohne das Risiko einer eigenen Praxis mit all ihren Kosten eingehen zu müssen.

Zwei Ärzte sind die Mindestzahl für ein MVZ, es gibt unter den knapp 70 in Sachsen-Anhalt aber auch weit größere. Mehrere Ärzte praktizieren unter einem Dach. In der Regel sind sie auf verschiedenen Fachgebieten tätig. Aus Krankenkassen-Sicht bringen die Versorgungszentren spefizischen Nutzen. Sprecher Sascha Kirmeß von der AOK-Sachsen-Anhalt findet vorteilhaft, dass dort angestellte Ärzte ein festes Gehalt und feste Arbeitzeiten haben. „Das könnte insbesondere Berufsanfänger im Land halten.“ Kirmeß: „Wir befürworten sowohl niedergelassene Ärzte als auch MVZ, sofern die Qualität der Versorgung stimmt.“

Michael Lange ist einer von drei Geschäftsführern des MVZ Sachsen-Anhalt, das rund 20.000 Euro in die Wiedereröffnung der Praxis gesteckt hat. Elf unbesetzte Hausarztstellen habe es in der Region gegeben. „Wir haben uns für Dingelstedt beworben, um die Versorgung zu sichern“, erklärt Lange.

Das ist sicher ein Beweggrund, aber die Verbindung von Arzt und Krankenhaus trägt auch dazu bei, die teuren Betten dort zu füllen. Das bestreitet Geschäftsführer Lange nicht, betont aber, dass sich die ärztliche Versorgung im ländlichen Raum verbessere. Das stimmt – siehe Dingelstedt – partiell. Doch Burkhard John, Vorstandschef der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen-Anhalt, verweist darauf, dass 83 Prozent der MVZ in Sachsen-Anhalt in Städten mit mehr als 20.000 Einwohnern angesiedelt sind. In Gemeinden mit einer Einwohnerzahl von unten 5000 seien es nur drei Prozent – weil in den dünn besiedelten Gebieten die Krankenhäuser als Haupträger fehlten. „Das Versorgungsproblem im ländlichen Raum ist damit nicht zu lösen“, meint John.

Dennoch hätten die Versorgungszentren „mit ihrem den Polikliniken sehr ähnlichen Prinzip“ seit 2004 einen festen Platz in der Versorgungslandschaft gefunden,so der Kassenärzte-Chef. Einzelpraxen, Gemeinschaftspraxen und MVZ stünden gleichberechtigt nebeneinander. Auch wenn der Trend zum angestellten Arzt zunehme, sei bei der Zahl der MVZ „eine gewisse Sättigung erreicht“, glaubt John.