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CDU Eine Volkspartei sucht ihren Kurs

Angesichts schwindender Mehrheiten der Mitte ringt die CDU um den Umgang mit AfD und Linken - ein Besuch an der Basis in Magdeburg.

Von Alexander Walter 04.03.2020, 00:01

Magdeburg l Klaus-Dieter Theise erinnert sich noch gern an den Beginn der 90er Jahre. Damals – unter der Kohlregierung – war die CDU noch seine Partei, sagt er. Die deutsche Einheit, die Aufbruchstimmung, die konservativen Werte, „das war eine super Zeit“, erzählt der aus Lübeck stammende Unternehmer. Damals kam Theise auch nach Magdeburg, arbeitete erst fürs Wirtschaftsministerium und gründete bald eine Firma. Heute, 30 Jahre später allerdings, erkennt Theise seine Partei manchmal kaum wieder. „Ich würde als junger Mensch wohl nicht mehr in die CDU eintreten“, sagt der 63-Jährige.

Und doch ist Theise geblieben – in der Union und in Magdeburg. An diesem Abend sitzt er mit rund zehn anderen Christdemokraten im Restaurant „Al Gaucho“ im Magdeburger Stadtteil Sudenburg. Wie jeden Monat trifft sich der Ortsverband hier in einem Nebenraum der Gaststätte, um zu besprechen, was die Mitglieder bewegt – vor Ort und in der Bundespolitik.

Auf der Tagesordnung stehen diesmal zuerst Sicherheit, Sauberkeit und Ordnung im Quartier. Dass jüngst ein 51-Jähriger auf der Halberstädter Straße von einem Unbekannten so schwer zusammengeschlagen wurde, dass er kurz darauf starb, mache ihn betroffen, sagt Theise.

Von den eigens eingeladenen Mitarbeitern der Stadtverwaltung erwarte er Lösungen, sagt der 63-Jährige. Man dürfe das Thema Sicherheit nicht den Rechten überlassen. „Die AfD spielt doch mit unseren Ängsten.“

Tatsächlich haben die Stadtmitarbeiter Neues zu verkünden. Sie berichten vom Pilotprojekt einer Stadtwache für Magdeburg, das die Straßen künftig sicherer machen soll.

Für Theise und seine Mitstreiter ist das ein Schritt in die richtige Richtung. Viel stärker brennt den Christdemokraten aber ein anderes Thema unter den Nägeln: Wie soll es weitergehen mit ihrer CDU, die zuletzt von Wahlniederlage zu Wahlniederlage schlitterte? Wer soll die Partei nach Annegret Kramp-Karrenbauer führen? Aber vor allem: Mit wem soll sie in Parlamenten künftig Koalitionen bilden dürfen?

„Die Ministerpräsidenten-Wahl in Thüringen war formal völlig demokratisch, alle die dort saßen, waren demokratisch gewählt.“

Nach der Wahl des Thüringer Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich Anfang Februar mit Stimmen von FDP, CDU und AfD ist vor allem der letzte Punkt für die Landesverbände im Osten zur Gretchenfrage geworden. Sind die eingezogenen Brandmauern nach links und rechts dauerhaft zu halten? Kann die CDU die Zusammenarbeit mit AfD und Linke auch dann ausschließen, wenn die Ränder zusammen mehr als 50 Prozent der Stimmen halten?

Die Beschlusslage der Bundespartei lässt auch einen Monat nach dem Thüringer Polit-Beben keine Zweifel offen. Ob Norbert Röttgen, Paul Ziemiak oder Friedrich Merz – kaum eine Woche vergeht, in der Vertreter der Bundes-CDU die Vorgaben nicht gebetsmühlenartig wiederholen: Keine Zusammenarbeit mit der in Teilen rechtsextremen AfD, keine Zusammenarbeit aber auch mit der Linken als Nachfolgepartei der SED.

Erst vergangene Woche bekräftigte der als Partei-Vize neben Armin Laschet gehandelte Jens Spahn in Stendal die Position erneut: AfD und Linke seien nicht gleichzusetzen. Eine Kooperation falle – wenn auch aus unterschiedlichen Gründen – dennoch mit beiden Parteien aus.

Michael Hoffmann, Vorsitzender des Unions-Ortsverbands Sudenburg, gehört zu jenen, die diese Brandmauer nicht in Zweifel ziehen. „Natürlich haben wir ein Dilemma im Osten. Aber der Parteitagsbeschluss, weder mit Linken noch mit Rechtsextremisten zusammenzuarbeiten ist bindend“, sagt er im „Al Gaucho“.

Hält er die Kooperation mit einer pragmatischen Linken, wie sie Thüringens Bodo Ramelow verkörpert, nicht für denkbar? Für Hoffmann kommt gerade sie selbst in Zeiten schrumpfender Mehrheiten der Mitte nicht infrage: 1994 habe er, damals noch als SPD-Mitglied, der ersten von der PDS tolerierten rot-grünen Landesregierung in Sachsen-Anhalt zugestimmt, sagt er. Aber auch: „Das war eine falsche Entscheidung. Die SED ist die Partei, die die Maueropfer zu verantworten hat. Ich selbst war Stasi-Opfer. Einer linken Regierung würde ich meine Stimme heute nicht mehr geben.“

„Was gar nicht geht, ist, mit Leuten zusammenzuarbeiten, die den Nationalsozialismus und die Verbrechen des Dritten Reiches relativieren.“

Andere nicken. Der 59-jährige Hoffmann ist in der Union in Sachsen-Anhalt nicht irgendwer. Er leitet den Magdeburger Stadtrat, ist zugleich Vorstand im CDU-Landeswirtschaftsrat. Sein Wort hat Gewicht, gerade auch hier am monatlichen Stammtisch des Ortsverbands. Auch Unternehmer Klaus-Dieter Theise „hat Sorge“ vor linken Mehrheiten, wie er sagt. „Was haben wir damals unter der rot-grünen Minderheitsregierung in Sachsen-Anhalt durchgemacht“, sagt er. Also keine Öffnung nach links. Doch wie hält es die Basis mit der mindestens in Teilen rechtsextremen AfD nach dem Politbeben in Thüringen?

Fabian Herrmann, ein junger Mann von 33 Jahren, meint: „Die Ministerpräsidenten-Wahl in Thüringen war formal völlig demokratisch, alle, die dort saßen, waren demokratisch gewählt. Ja, es war ein politischer Paukenschlag und eine dumme Sache. Aber es war demokratisch.“

Auch Klaus-Dieter Theise mag sich nicht alle Verhandlungsoptionen nach rechts verbauen: „Ich habe keine Berührungsängste mit Menschen, die die AfD gewählt haben“, sagt er. „Wir müssen mit allen Parteien reden können, die nicht vom Verfassungsschutz beobachtet werden.“

Das lässt Deutungsspielraum offen. Im Moment wäre auch die AfD damit im Rennen, die Partei ist bisher nur Prüffall. Nur der als völkisch geltende Flügel und die Jugendorganisation Junge Alternative stehen als Verdachtsfälle stärker im Fokus.

Jörg Lauber, ein älterer Herr mahnt, doch bitte zu trennen: „Viele, die früher in der CDU waren, sind in die AfD gewechselt“, sagt er. Es führe deshalb kein Weg daran vorbei, sich mit den Positionen der Partei inhaltlich auseinanderzusetzen. „Was aber gar nicht geht, ist, mit Leuten zusammenzuarbeiten, die den Nationalsozialismus und die Verbrechen des Dritten Reiches relativieren.“

„Mit solchen Leuten darf man sich nicht in eine Koalition begeben“, betont Lauber. Die Wahl des Thüringer Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich mit Stimmen von CDU, FDP und AfD sei deshalb ein schwerer Fehler gewesen. Keine Koalition also – weder mit Linken noch mit der AfD?

Wie aber künftig noch regieren, wenn mit den gewünschten Partnern der Mitte keine Mehrheiten mehr zustande kommen, die politischen Ränder aber gleichzeitig tabu sind? Spätestens bei der Landtagswahl 2021 könnte sich diese Frage auch in Sachsen-Anhalt stellen.

Für Michael Hoffmann kann die Antwort nur lauten, dass die Union selbst wieder stärker werden muss. „Wir müssen mit eigenen Themen und Personen die Leute erreichen, so dass wir die Menschen zurückholen“, sagt der 59-Jährige. Dazu müsse man aufhören, „eine abgehobene, ideologische Politik zu betreiben – ein Wink mit dem Zaunpfahl vor allem in Richtung Grüne.

Hoffmann nennt ein Beispiel: Zu schnell und gleichzeitig aus verlässlichen Energieträgern wie Kohle und Atom aussteigen zu wollen, könne nicht funktionieren. „Das spüren die Leute und quittieren das bei der Wahl.“ Und, ja: Auch die Flüchtlingspolitik von Kanzlerin Angela Merkel 2015 sei ein Fehler gewesen.

Mit wem die Union wieder an Profil gewinnen könnte, davon hat Hoffmann indes genaue Vorstellungen: „Mein Kandidat ist Friedrich Merz, ich pusche ihn seit Jahren“, sagt er. Dazu trage auch bei, dass Merz – ganz wie er – im Wirtschaftsrat der Union aktiv sei, sagt er. Klaus-Dieter Theise gibt Hoffmann Recht: Merz könnte mit Gegenspielern wie Putin und Trump auf Augenhöhe verhandeln, sagt er. Angela Merkel indes habe viel fürs Land getan. „Jetzt ist es aber auch mal gut.“

Kommt das Corona-Virus nicht dazwischen – was passieren könnte – werden heute erneut alle Augen auf die CDU in Thüringen schauen. Gegen den ausdrücklichen Willen der Bundes-CDU will die Partei in Erfurt einen Deal zur Unterstützung einer vorübergehenden rot-rot-grünen Regierung mittragen. Werden also CDU-Abgeordnete heute für den Linken Ramelow stimmen?

Nicht, wenn es nach Michael Hoffmann geht: Er hielte eine Variante für die beste, die Junge-Union-Chef Tilman Kuban ins Spiel gebracht hat: „Die CDU sollte den Plenarsaal bei der MP-Wahl verlassen“, sagt Hoffmann. „Das ist nicht die demokratischste Variante, aber sie stünde im Einklang mit den geltenden Parteitagsbeschlüssen.“