Polizeischule Kampf gegen Erosion der Werte
Die Vorfälle an der Fachhochschule in Aschersleben reißen nicht ab. Drogen, Alkohol oder Schlägereien bringen sie zunehmend in Verruf.
Volksstimme: Ihre Fachhochschule ist in diesem Jahr immer wieder in die Schlagzeilen geraten. Welche Konsequenzen haben Sie daraus gezogen?
Rektor Frank Knöppler: Eines vorweg: Zu uns kommen Menschen aus den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereichen, meist nach der Berufs-, der Schulausbildung oder sogar der Bundeswehr. Sie sind alle noch lange keine fertigen Polizisten, nur weil sie eine Uniform anziehen. Sie werden erst sukzessive an unserere Wertevorstellungen, unser Leitbild und die Aufgaben herangeführt. Das geht natürlich damit einher, dass wir es in diesem Prozess auch mit Fehlverhalten zu tun haben. Von denen können wir uns entweder trennen, oder aber über dienstrechtliche Konsequenzen auf das Verhalten einwirken.
Wie meinen Sie das?
Ich will damit sagen, dass wir es auch mit jungen Menschen zu tun haben, die zunächst recht naive und verschwommene Vorstellungen vom Polizeiberuf haben. Das sind ja teilweise Kinder in Uniform. Wir sind allein jetzt hier für 130 Minderjährige verantwortlich. Die machen mitunter sicher auch mal ein Problem.
Und welche Maßnahmen haben Sie getroffen?
Zum Beispiel einen durchgeplanten Tagesablauf. Wir haben auch Elternabende für die Minderjährigen eingeführt. Da tauschen wir uns regelmäßig auch über Leistungsstände, Fehlverhalten und andere Dinge aus. Und wir haben jetzt auch ein Klassenleitersystem, so dass jede Ausbildungsgruppe einen Verantwortlichen hat, der auch die kleinen Probleme lösen kann. Er soll auch für alle persönlichen Probleme zur Verfügung stehen.
Gibt es da keine Probleme, wenn in den Klassen 16-Jährige neben einem 37-Jährigen auf der Schulbank sitzen?
Das schafft im Gegenteil eher Vorteile. Ich habe bemerkt, dass gerade die Erfahrenen auch Mitverantwortung wahrnehmen, ohne dass sie dazu aufgefordert wurden. Ein sehr gutes Beispiel dafür sind unsere ehemaligen Bundeswehrangehörigen, die in der Ausbildung eine ganz besondere Rolle einnehmen. Sie haben einen großen Erfahrungsschatz, den sie an die Jüngeren weitergeben können, gerade weil sie aus dem militarischen Bereich kommen. Vor allem bei Ordnung, Sauberkeit und Disziplin ist das sehr von Vorteil.
Über wie viel Bundeswehrsoldaten reden wir denn?
Es sind aktuell 17.
Was unternehmen Sie noch, um solche negativen Schlagzeilen zu verhindern?
Außerdem schalten wir in den ersten vier Wochen eine Einführungszeit vor, die ausschließlich der Wertevermittlung und dem Umgang mit sozialen Medien gewidmet ist. In der Einführungswoche gehen wir zum Beispiel auch gemeinsam wandern, um solche Dinge wie Teamgeist herauszubilden. Da nutzen wir den Bode-Wanderweg im Harz. Es müssen da auch Aufgaben unterwegs gemeinsam auf den 20 Kilometern gelöst werden, die etwas mit dem Polizeiberuf zu tun haben. Andererseits wollen wir auch einen Bezug zur Heimat aufbauen. Wir haben aber auch Problemfallkonferenzen eingeführt, die sich schon unterschwellig mit Fehlverhalten beschäftigen sollen. Das hat sich bewährt, weil wir da an einer ganz niedrigen Schwelle anfangen. Zum Beispiel, wenn jemand unpünktlich ist oder fehlt. Da beginnt die Erosion von Werten.
Und die krasseren Fälle, wie wollen Sie diesen künftig begegnen?
Sie können nach wie vor niemandem, der zu uns kommt, in den Kopf gucken. Egal wie der Eignungstest aussieht. Das heißt, es gibt nahezu ausschließlich im Freizeitbereich bestimmte Verhaltensweisen, die dazu führen, dass wir uns von den einen oder anderen trennen müssen.
Wie viele waren es bisher?
Wir haben im Jahr 2018 auflaufend 16 Entlassungsverfahren. Sieben sind bereits abgeschlossen. Dazu kommen aktuell 15 Disziplinarverfahren.
Das hört sich viel an ...
Man muss es auch darauf beziehen, dass wir zurzeit 1388 Polizeischüler haben. Und bei den Disziplinarverfahren sind ja auch Fehlverhalten dabei, die nicht unbedingt zu einer Entlassung führen. In diesen Fällen glauben wir, dass wir mit unserem Eingreifen noch Erfolg haben. Wir reden hier alsso prozentual von einem ganz geringen Teil der Anwärter, von denen wir uns trennen müssen.
Wie funktioniert das?
Wir erörtern jeden Einzelfall in unserem Beratungskollektiv der Fachhochschule. Das ist also keine Bauchentscheidung. Außerdem werden dabei auch die rechtlichen Voraussetzungen geprüft und vergleichbare Fälle herangezogen. Wir machen es uns also alles andere als leicht. Die jungen Leute sind immerhin noch in der Ausbildung bzw. im Studium. Sie sind auch noch nicht Teil der Landespolizei. Das sind sie erst nach einem erfolgreichen Abschluss. Wir haben den Erziehungsauftrag, die jungen Leute in die Polizei hineinzubringen. Da, wo es uns nicht gelingt, da trennen wir uns eben. Es gibt ja auch so schwere Verstöße, wie zum Beispiel bei den Drogendelikten, da hat man gar keine Wahl. Da muss man sich trennen.
Die Polizeischüler treten doch aber schon im Praktikum in Uniform auf. Da darf man schon entsprechende Verhaltensweisen erwarten ...
Das ist richtig. Sie treten in Uniform auf, sind aber eindeutig als Praktikanten identifizierbar. Ein Auszubildender hat auf dem Schulterstück keinen Stern und ein Student einen silbernen Balken. Hinzu kommt, sie dürfen nur unter Aufsicht und Anleitung polizeilich handeln. Das Praktikum ist Bestandteil der Ausbildung und des Studiengangs. Es soll in Echtsituationen die Handlungsfähigkeit der zukünftigen Polizisten dokumentieren und zwar so, dass ein Ausbilder das auch beurteilen kann. Sie repräsentieren in diesem Moment natürlich die Polizei und den Staat, sind aber natürlich erst Polizisten, wenn sie ihre Ausbildung abgeschlossen haben.
Reichen die Praktikumsbetreuer angesicht der Personalnot in den Polizeirevieren überhaupt aus?
Es ist eine riesige Aufgabe der Landespolizei, das sicherzustellen. Wir streben immerhin eine Eins-zu-eins-Betreuung an. Mit den erhöhten Einstellungszahlen ist damit die gesamte Polizei gefordert. Es war auch allen klar, dass gerade da nachgebessert werden muss. Seit 2016 haben wir deshalb auch immer mehr Praktikumsbetreuer fortgebildet und dafür extra Lehrgänge mit Zertifikat angeboten. Sie müssen die Standards unserer Ausbildung kennen.
Ist die Zahl ausreichend?
Sie ist im Moment so, dass wir die Praktika gewährleisten können. Wir würden uns natürlich mehr wünschen und stehen auch vor der Herausforderung, mit unserer neuen Ausbildungsrichtung Kriminalpolizei dort Praxisbetreuer für die Ausbildung fit zu machen. Da sind wir dabei, das nachzubessern. Das wird uns auch gelingen.
Kann man das Auswahlverfahren verfeinern, um eben die schwarzen Schafe gleich auszusortieren?
Das ist schon jetzt sehr intensiv. Wir haben eine Auswahlkommission, bei der es Gespräche gibt. Ein Instrument wäre jetzt nur noch eine Überprüfung im polizeilichen Informationssystem, um festzustellen, ob der Bewerber schon einmal polizeilich aufgefallen ist. Dazu fehlt aber noch die rechtliche Grundlage, die aktuell aber zum 1. Januar 2019 geschaffen wird.
Was heißt das?
Wir können diese Möglichkeit eben erst ab diesem Datum anwenden. Wir sind zwar jetzt schon bei der Auswahl der Einstellungskohorte 1. September 2019. Für sie wäre es meines Erachtens aber noch möglich, wenn das Auswahlverfahren noch nicht abgeschlossen ist. Es müssen ja alle gleichbehandelt werden.
Was versprechen Sie sich davon?
In Einzelfällen verspreche ich mir davon, dass man potenzielle schwarze Schafe entdeckt. Aber das ist natürlich kein Allheilmittel. Es ist ein weiterer Baustein, den ich für wertvoll halte. Das heißt, wir haben jetzt einen Deutschtest, einen psychologischen Eignungstest, einen Strukturintelligenztest und eine Auswahlkommission. Die jungen Leute müssen auch die medizinische Tauglichkeit haben. Das heißt, wenn da einer mit großen Pupillen auftaucht, kann schon eine Urinprobe wegen Drogenverdachts verlangt werden. Insgesamt wird also schon eine Menge getan.
Eine wichtige Frage ist, wie viele Polizeischüler am Ende im Land ankommen. Im Verkehrsrecht soll es ja reihenweise Durchfaller gegeben haben?
Das ist nicht anders als an jeder anderen Hochschule auch.Wenn man sich ansieht, wie viele sich einschreiben und am Ende davon übrig bleiben. Das spricht eher für eine hohe Qualität. Und die wird sich nicht den Einstellungszahlen beugen. Das ist für mich ganz wichtig. Natürlich gibt es in bestimmten Fächern höhere Durchfallquoten. Verkehrsrecht ist nun mal sehr komplex. Ich muss zugeben, dass einige leider erst wach werden, wenn sie durch die Prüfung gefallen sind.
Wie viele werden das Studium nicht schaffen?
Erfahrungsgemäß liegt die Zahl bei sechs bis acht Prozent. Dann kommen noch die anderen Abbrecher dazu, die zum Beispiel das Bundesland wechseln oder merken, dass der Beruf doch nichts für sie ist. Alles in allem muss man von zehn Prozent ausgehen, die in einem Jahrgang das Ziel nicht erreichen.
Wäre es denn nicht cleverer, wenn man die zehn Prozent vorzeitigen Abgangs bei der Einstellung gleich mit einberechnet hätte ...
Es steht mir nicht zu, politische Entscheidungen zu beurteilen. Allerdings bezweifle ich auch, ob wir angesichts der hohen Einstellungszahlen noch mehr Bewerber hätten generieren können. Wir hatten im vergangenen Jahr 700 Neueinstellungen, jetzt sind es 530. Nächstes Jahr werden es 500 sein. Das heißt, 2020 werden nicht alle der 700 Polizeianwärter zur Verfügung stehen. Wie viel es dann sind, kann ich nicht sagen. Ich würde mir deshalb aber schon wünschen, dass man eine Planungsgröße einkalkuliert, die den Schwund von Polizeianwärtern abfedert. Wir verlieren nun mal die Leute auch durch Weggang in andere Bundesländer, Aufgabe oder eben charakterlicher Nichteignung.
Auf einer Skala von eins bis zehn: Wie fit ist die Landespolizei nach Ihrer Meinung im Jahr 2020?
Die das Ziel erreichen, haben ein fundiertes Wissen und sind gut ausgebildet. Ich sehe die Landespolizei deutlich über Mittelwert mit Tendenz in Richtung 10. Es gibt aber sicher noch Potenzial in einer so großen Organisation. Wenn Sie mich also konkret fragen, dann liegt der Wert bei acht.