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Präsident Uwe Runge Zu viele Aufträge für zu wenige Handwerker

Uwe Runge, Präsident des Handwerkstages Sachsen-Anhalt, spricht über die Meisterpflicht, schlechtes Image und aussterbende Gewerke.

Von Massimo Rogacki 09.04.2019, 01:01

Herr Runge, bekommen Sie als Präsident des Handwerkstages derzeit schneller einen Handwerkertermin als der Otto Normalverbraucher?

Nein (lacht.) Nicht unbedingt. Aber Sie haben recht. Das ist ein Problem. Sie müssen die Situation allerdings einordnen. Beispiel Fachärzte: Da bekommen Sie auch nicht sofort einen Termin. Über den Mangel an Handwerkern wird nur mehr geredet. Eines garantiere ich: Wir wollen arbeiten. Es gibt schlichtweg zu viele Aufträge für zu wenige Handwerker.

Heißt das, dass der Klempner mir auch in einigen Jahren erst einen Termin in zwei Wochen anbieten kann?

Schwierig zu prognostizieren. Auch wenn die Konjunktur eine Delle bekommt – ich denke, es könnte noch eine Weile schwierig bleiben. Unser Problem: Wir verlieren immer mehr Leute im Handwerk und können die nicht adäquat ersetzen. Ob wir in erforderlichem Maße Nachwuchs für die Handwerksberufe begeistern können - das bleibt abzuwarten.

Sie sprechen das Nachwuchsproblem an. Woran hapert es?

Wir müssen bessere politische Rahmenbedingungen schaffen. Nehmen Sie das Beispiel Azubi-Ticket. Andere Bundesländer haben es. Warum klappt es nicht, das Ticket bei uns einzuführen? Die Ausbildung im Handwerk könnte attraktiver werden. Um gleich beim Thema zu bleiben: Berufsschule. Ich kann doch keinem Azubi erklären, dass er nicht die 15 Kilometer entfernte Schule in der Nähe seines Wohnortes ansteuern darf, sondern er dafür 60 Kilometer fahren muss. Das ist doch eine Zumutung. Das sind Themen, bei denen wir mit dem Handwerkstag etwas erreichen wollen.

Hat das Handwerk vielleicht auch ein Imageproblem?

Definitiv. Uns würde es weiterbringen, wenn die Bandbreite der Berufe und die Faszination Handwerk in der Öffentlichkeit positiver rüberkommen würde. Wir rennen nicht alle schmutzig auf dem Bau rum. Handwerk ist mehr. Es gibt gute Perspektiven in Aus- und Weiterbildung. Wer Lust darauf hat, kann nebenher das Abi machen, dann einen Betrieb gründen und sehr gut verdienen.

Die meisten Handwerksberufe dürften zudem krisensicher sein. Lässt sich das nicht noch besser vermitteln?

Wir brauchen ein Umdenken in der Schule. Als ich zur Schule gegangen bis, gingen die vier besten ins Gymnasium. Mir kann doch keiner erzählen, dass heute ganze Klassenzüge so klug sind, dass sie ins Gymnasium wandern. Der Landtag ist gegen die bindende Schullaufbahnempfehlung. Wenn alle Eltern frei entscheiden können, verwässert das aber meiner Meinung nach das Abitur. Und wer einmal im Gymnasium sitzt, denkt kaum noch daran, Bäcker, Maler oder Schlosser zu werden.

Würden Sie heute wieder Maler werden wollen?

Ganz klare Antwort: Ja. Mein Vater war Maler und auch schon mein Opa. Der hat immer gesagt: Maler – das ist der schönste Beruf der Welt. Auch wenn es abgedroschen klingt. Der Beruf kann einfach schöne Dinge.

Wollen die jüngeren Generationen noch so hart und lange arbeiten?

Klar, die Familie und die richtige Balance zwischen Freizeit und Beruf werden wichtiger. Im Handwerk einen Betrieb zu führen – das heißt, dass man bestimmte Dinge zurückstellen muss. Frühmorgens der Erste und abends der Letzte sein. Das muss man schon wollen. Es werden sich aber mit moderner Technik in Zukunft viele Abläufe effizienter gestalten lassen.

Sie arbeiten in einem Familienbetrieb. Vater und Großvater waren schon Maler. Sind Ihre Töchter an der Betriebsnachfolge interessiert?

Nein. Meine ältere Tochter ist gerade Lehrerin geworden. Und unsere jüngste Tochter wird ab Herbst Medizin studieren. Da muss ich mir wohl etwas anderes überlegen (lächelt.)

In Sachsen-Anhalt wird in den nächsten zehn bis 15 Jahren ein großer Teil der Handwerksbetriebe einen Nachfolger benötigen.

Das ist richtig. Vom Gesetzgeber gibt es zu viele Hürden, die abschreckend wirken. Kündigungsschutz, Abfindungen, Fristen. Stellen Sie sich einen 25-Jährigen mit Meisterprüfung vor. Der will einen Betrieb und die Mitarbeiter übernehmen. Angenommen, es kommt mal zum Krach und einer der Mitarbeiter soll drei Jahre nach der Betriebsgründung ausscheiden. Vorher war er schon 17 Jahre da. Für diese Zeit muss er eine Abfindung erhalten. Das kann einen Betrieb in sehr große Schwierigkeiten bringen. Hier ist auf jeden Fall eine politische Debatte nötig, um Hürden bei der Betriebsübernahme zu minimieren.

Wie wichtig ist die Meisterpflicht?

Sehr wichtig. Die Meisterpflicht für einige Berufe zu lockern, war für mich der falsche Schritt. Über Jahrhunderte hat sich unser System mit Meister, Geselle und Lehrling sehr gut bewährt. Handwerk muss überliefert werden, sonst sterben einzelne Zweige aus. Wichtig ist vor allem der Erhalt der Anlage A der Handwerksordnung. Da wurden in der Vergangenheit Fehler gemacht.

Nennen Sie bitte ein Beispiel.

In vielen Gewerken hat die Qualität nachgelassen. Denken Sie mal an den Beruf des Fliesenlegers. Da findet man doch kaum noch einen, der etwas draufhat, weil sich jeder selbstständig machen kann. Für drei Quadratmeter Fliesenspiegel reicht das noch. Doch lassen Sie sich mal eine ordentliche unterwohnte Terrasse vom Fliesenlager machen – da kann viel schiefgehen. Bei komplexeren Projekten trennt sich schnell die Spreu vom Weizen. Es ist wichtig, dass wir nicht nur zurückrudern, sondern den Erhalt der Meisterpflicht in Deutschland wieder voranbringen. Und wenn das mit der Meistergründungsprämie und Meisterprämie unterstützt wird, finden wir das gut.

Wie groß sind ihre Einflussmöglichkeiten mit dem Handwerkstag?

Der Handwerkstag ist für die Politik ja ein wichtiger Ansprechpartner. Unsere Interessen formulieren wir mit Nachdruck. Leider ist es häufig so: Wer am lautesten schreit, der wird am ehesten gehört. Fundiert sind die Forderungen nicht immer.

Woran denken Sie?

Wenn Sie bei VW schauen, was Lobbyarbeit bewirken kann. Nach dem Abgasskandal verkauft der Konzern mehr Autos denn je. Bei uns wäre das ein Gewährleistungsschaden. Wenn ich in meinem Betrieb ein Ding nach dem anderen in den Sand setze, dann würde ich nicht zu diesen Umsatzzahlen zurückkehren. Stellen Sie sich vor, ich verkaufe einem Privatkunden eine teure Tapete. Die Rolle 90 Euro. Ein Jahr später gehe ich hin und sage. Sorry, in dem Tapetenträger ist ein Stoff, der schädlich ist. Wir reißen die Tapete runter und ich biete eine neue Tapete für 120 Euro an. Die Kunden würden mich doch vom Acker jagen.

Wir können daran anschließen. Haben Sie im Betrieb Diesel-Fahrzeuge?

Klar, ausschließlich. Ein riesiges Problem. Bundesverkehrsminister Scheuer spricht in jedem zweiten Satz davon, dass er auf Flottenerneuerung setzt. Für mich würde das bedeuten, dass ich 200 bis 250.000 Euro in die Hand nehmen müsste. Wo sollen die denn in einem kleinen Malerbetrieb herkommen? Da helfen mir dann auch keine großartigen Kredite mehr. Für einen Handwerker muss ein Auto möglichst lang funktionieren, es ist ein Gebrauchsgegenstand. So sehen wir das. Für uns gibt es noch keine erstnstzunehmende Alternative zum Diesel.

Also schauen Sie mit Argusaugen, wie es weitergeht.

Klar. Und das ist auch Politik. Der Sinn des Handwerkstages ist, dass wir unsere Meinung vertreten. Es muss doch jemanden geben, der Herrn Scheuer mal sagt, was Sache ist. Soll sich der Minister doch mal eine Fahrzeug-Flotte kaufen. Dann merkt er auch, was das kostet. Genauso dreist finde ich, wenn sich Ex-VW-Chef Matthias Müller im vergangenen Januar hinstellt und sagt, er sei dafür, dass die Umweltzonen härter kontrolliert werden. Das spottet doch jeder Beschreibung.

Sind Elektroautos bald eine Alternative für Handwerksbetriebe?

Im Moment eher noch nicht. Meine Leute haben tagsüber keine Zeit, beim Laden zwei Stunden untätig neben der Steckdose zu stehen.

Wie wird sich das Handwerk im Zuge der Digitalisierung verändern? Wagen Sie einen Ausblick!

Der Maler wird die Tapete in zehn Jahren noch immer mit zwei Händen an die Wand kleben. Einen Tapezierroboter wird es so schnell nicht geben (lacht.) Ansonsten, ganz klar, da wird sich einiges verändern. Angebotserstellung wird in allen Gewerken immer einfacher und anschaulicher. Smartphone und Tablet sind ja schon jetzt allgegenwärtig. Wir müssen uns den Entwicklungen stellen und offen für alles sein. Abläufe werden komplexer. Gewerke werden sich immer mehr vernetzen. Aber die Politik muss auch handeln. Wir brauchen überall schnelles Internet. Wie absurd ist es denn, dass Länder, denen wir uns wirtschaftlich überlegen wähnen, eine bessere flächendeckende Versorgung mit Breitband haben. Das ist wie bei der Entbürokratisierung. Versprochen wird viel, aber umgesetzt wenig.

Wünschen Sie sich mitunter die analogen Zeiten zurück?

Mitunter schon, ja. Ich bin nicht sicher, ob etwa Daten in einer Cloud langfristig sicher sind. Ein Stück Papier ist meiner Meinung nach verlässlicher. Das soll sich jetzt nicht zukunftskritisch anhören, aber die Digitalisierung hat auch Grenzen und überfordert viele Menschen.

Welche Handwerksberufe werden aussterben?

All jene, die von der Industrie überholt werden. Beispiel Bäcker: Wir beide könnten uns jetzt an den Ofen stellen und fertige Rohlinge aufbacken. Und der Kunde kauft das. Dabei ist doch so ein handgemachtes Brot aus Sauerteig etwas ganz Feines. Ansonsten: Korbmacher, Maßschneider. Einige sind ja bereits auf der Strecke geblieben. Oder der gute alte Schuster. Wo finden Sie den noch? Da kommt dann wieder die Wegwerf-Mentalität vieler Menschen zum Tragen. Nach dem Motto: Ach, die Schuhe sind so billig, kaufe ich mir einfach neue.

Also mehr Nachhaltigkeit?

Der Nachhaltigkeitsgedanke muss in die Köpfe der Menschen. Dann wird sich der Stellenwert des Handwerks verbessern. Und Schüler würden wieder Anreize bekommen, zu sagen: Handwerk, da hätte ich Lust drauf. Apropos: Wenn es um die Berufswahl geht, sage ich immer gern: Werde lieber ein guter Handwerker als ein schlechter Banker. Bei uns sind Massenentlassungen ausgeschlossen.