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Prognose Sachsen-Anhalt vor den Wahlen

Mehr als eine Millionen Sachsen-Anhalter sind Ende zu Europa- und Kommunalwahlen aufgerufen - Wie Forscher das Ereignis einschätzen.

08.04.2019, 23:01

Magdeburg (dpa) l Ende Mai ist Superwahltag in Sachsen-Anhalt: Neben den Wahlen zum Europäischen Parlament stehen am 26. Mai Kommunalwahlen an. Das heißt: In allen elf Landkreisen werden neue Kreistage gewählt, in den kreisfreien Städten Magdeburg, Halle und Dessau-Roßlau neue Stadträte. In allen mehr als 100 Gemeinden im Land wird der Gemeinderat neu bestimmt, dazu werden in fast 1000 Ortschaften Ortschaftsräte und Ortsvorsteher gewählt. 15 Parteien sind für die Wahl zugelassen, dazu kommen etliche Wahlbündnisse, die nicht auf einer Parteiliste kandidieren.

Experten gehen davon aus, dass sich deutlich mehr Menschen als bei den vergangenen Kommunal- und Europawahlen beteiligen könnten. Vor fünf Jahren war nicht einmal jeder Zweite zur Wahl gegangen. "Wir haben eine Polarisierung in der Politik", sagt der Magdeburger Politikwissenschaftler Wolfgang Renzsch. "Das ist gut für die Wahlbeteiligung." Aus Sicht von Everhard Holtmann von der Universität Halle könnten sich vor allem europapolitische Debatten auswirken. "Die unsäglichen Vorgänge um den Brexit könnten zu einem Politisierungseffekt führen."

Die Bedeutung von Kommunalwahlen werde häufig von den Menschen unterschätzt. "Die Kommunalwahl ist die Wahl, bei der die Bürger den meisten Einfluss haben", sagt Renzsch. "Trotzdem halten die Leute nationale Wahlen für wichtiger." Das sei eigentlich unverständlich. Holtmann weißt darauf hin, dass der direkte Kontakt zu den politischen Entscheidungsträgern auf kommunaler Ebene für die Menschen viel größer ist.

Beide Forscher sind überzeugt: Es wird zu erheblichen Verschiebungen der politischen Kräfte kommen, im Europäischen Parlament genauso wie in den Kommunalvertretungen in Sachsen-Anhalt. "Wir werden die Verschiebung im Parteiensystem, die sich bei den letzten Wahlen gezeigt hat, auch bei den Kommunal- und Europawahlen erleben", sagt Holtmann.

Das betrifft vor allem die AfD. Bei den Kommunalwahlen vor fünf Jahren existierte die Partei gerade ein Jahr, mehr als Einzelvertreter hat sie in Sachsen-Anhalts Kommunalparlamenten bislang nicht zu bieten. Landeschef Martin Reichardt gab für den 26. Mai das Ziel aus, die Partei in der Fläche zu verankern. Holtmann rechnet damit, dass die AfD in alle elf Kreistage einzieht. In der Fläche habe die Partei aber wie viele andere auch ein Strukturproblem - es fehlten Mitglieder, um in jeder Gemeinde eine Liste aufstellen zu können.

Kommunalwahlen folgten dabei häufig eigenen Gesetzen. Der Erfolg hänge auch von glaubwürdigen, erfahrenen Kandidaten ab. "Der Persönlichkeitsfaktor spielt eine große Rolle", sagt Holtmann. Doch natürlich gelte auch: völlig abgekoppelt von der bundespolitischen Großwetterlage sind sie nicht. Holtmann rechnet deshalb damit, dass die Grünen zumindest ein wenig von ihrem Umfragehoch im Bund und guten Ergebnissen bei den jüngsten Landtagswahlen profitieren – in den Städten mehr als auf dem Land. "Die Grünen sind eine Großstadtpartei".

Schwieriger dürfte es aus Holtmanns Sicht die FDP haben, auch wenn sie mit dem aus Halle stammenden ehemaligen Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher auf große Traditionen im Land verweisen kann. "Der Genscher-Faktor ist höchstens eine historische Größe", meint Holtmann.

Wie bei der Landtags- und Bundestagswahl war bei der Kommunalwahl vor fünf Jahren die CDU mit Abstand stärkste Partei. Holtmann und Renzsch rechnen nicht damit, dass sich daran etwas ändert. "Die CDU ist stärker als andere vernetzt mit den kommunalen Vereinsstrukturen", begründet Renzsch diese Einschätzung. "Sie hat das beste Graswurzelwerk bei der Bevölkerung." Gegen eine solche langjährig aufgebaute Verankerung in der Fläche kämen andere Parteien kaum an.

Allerdings dürfte die Partei, wie auch die bei der vergangenen Wahl zweit- und drittplatzierten Linke und SPD, die Konkurrenz durch die AfD zu spüren bekommen. "Alle etablierten Parteien haben bei den letzten Wahlen an die AfD verloren. Es gibt keinen Anhaltspunkt, dass sich das grundsätzlich ändert", sagt Holtmann.

Traditionell sind bei Kommunalwahlen aber auch Wahlbündnisse und -gruppen jenseits der klassischen Parteien von Bedeutung. "Parteifreie Gruppierungen spielen geraden in kleinen Gemeinden eine Schlüsselrolle", sagt Holtmann. Sie profitierten davon, dass die etablierten Parteien es nicht schafften, in jeder kleinen Gemeinde eine Liste aufzustellen. Auch auf den Listen vieler Parteien spielen parteilose Kandidaten eine beachtliche Rolle. Beispiel CDU: Mehr als ein Drittel der insgesamt rund 4400 Bewerber haben nicht das Parteibuch der Christdemokraten.