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Prozess in Dessau Weißenfelser betrügt Kliniken um 45.000 Euro - Welche Rolle Gregor Gysi dabei spielt

Er kam als hochrangiger Wissenschaftler, Doktor und Privatpatient. So erschlich sich der Weißenfelser Volker M. wohl zahlreiche Klinikaufenthalte. Selbst Gregor Gysi spielte in seinem mutmaßlichen Lügenkonstrukt eine Rolle.

Von Julius Lukas Aktualisiert: 15.11.2022, 16:22
Der mutmaßliche Betrüger Volker M. wird zu Verhandlungsbeginn am Dienstag mit dem Rollstuhl in den Gerichtssaal in Dessau gebracht.
Der mutmaßliche Betrüger Volker M. wird zu Verhandlungsbeginn am Dienstag mit dem Rollstuhl in den Gerichtssaal in Dessau gebracht. (Foto: Julius Lukas)

Halle/MZ - Bei Gregor Gysi muss sogar der Anwalt des Angeklagten lächeln. „Der ist ein paar Jahre älter als ich“, meint Jörg Filipski. Gysi, Anwalt, Bundestagsabgeordneter und einer der bekanntesten Politiker der Linkspartei, sollte auch schon einmal Anwalt von Filipskis Mandant Volker M. gewesen sein.

Das zumindest behauptete der 69-jährige Angeklagte aus Weißenfels (Burgenlandkreis) gegenüber Karoline S. „Er zeigte uns sogar einen Brief, in dem stand, dass Gysi sein Anwalt ist“, erzählt die Lehrerin aus Berlin vor Gericht. Von Volker M. wollte sie 2019 dessen Haus in Berlin-Köpenick kaufen. Dafür zahlte sie 5.000 Euro an. In dem Haus lebt sie bis heute nicht. Es gibt das Haus wahrscheinlich nicht einmal. Die 5.000 Euro haben Karoline S. und ihr Mann auch nie wiedergesehen. Gregor Gysi war auch nie der Anwalt von Volker M.

45.000 Euro Schaden

Karoline S. ist Opfer eines mutmaßlichen Betrügers geworden. Dieser Überzeugung ist zumindest die Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau. Der vorgespielte Hausverkauf ist dabei nur eine von zahlreichen mutmaßlichen Hochstapeleien des Volker M., die gut auch in einen Hollywoodfilm passen würden. Geschädigt wurden dabei nicht nur die Berlinerin und ihr Mann, sondern mehrere Kliniken, andere Patienten, ein Autoverleih sowie ein Ferienwohnungsvermieter. Der gesamte Schaden: etwa 45.000 Euro.

Derjenige, der am besten zu den Vorwürfen etwas sagen könnte, kam beim Prozessauftakt am Dienstag im Rollstuhl ins Gericht. Wie sein Anwalt zu Beginn der Verhandlung sagte, habe Volker M. im August eine „schwerer Erkrankung“ gehabt, in dessen Folge er eine Amnesie – also einen Gedächtnisverlust – erlitt. Außerdem hätten Ärzte eine beginnende Demenz diagnostiziert. „Der Wille ist bei ihm zwar da, aber es wird nichts Vernünftiges dabei rauskommen“, so Filipski. Deswegen habe er seinem Mandanten von einer Aussage abgeraten.

Entsprechend muss auf das vertraut werden, was Staatsanwalt Sven Köhler sowie die Zeugen, die am Dienstag gehört wurden, berichteten. Demnach habe sich Volker M., der derzeit wohl wohnungslos und zudem bereits mehrfach vorbestraft ist, zahlreiche Klinikaufenthalte unter Vortäuschung falscher Tatsachen erschlichen. Bei der Aufnahme habe er immer angegeben, er sei Wissenschaftler, habe einen Doktortitel und sei Privatpatient. Die folgenden Behandlungen bezahlte er in den meisten Fällen nicht. Bei der Elbe-Saale Klinik in Barby (Salzlandkreis) kamen so 5.200 Euro Schaden zusammen, bei einer Klinik in Zwickau (Sachsen) 3.400 Euro, beim Eisenmoorbad Bad Schmiedeberg (Landkreis Wittenberg) waren es 5.900 Euro. Festgenommen wurde Volker M. dann im Juni dieses Jahres - auch in einer Klinik, diesmal in Wittenberg, wo er schon einige Tage logierte. Schaden: über 10.000 Euro.

„Der ist einfach eiskalt“

Vor Ort zeigte sich der Angeklagte laut einer Pflegerin stets als sehr „gebrechlich und hilfebedürftig, aber auch redselig“. Um sich herum soll Volker M. ein Lügenkonstrukt gestrickt haben, in dem er mal Ingenieur war, mal Professor an der Humboldt-Universität Berlin und mal Meeresbiologe in Rostock. Oft soll er behauptet haben, am Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde tätig zu sein. Auf das Institut ließ er jedenfalls Rechnungen schreiben. „Bei uns ist und war nie ein Volker M. tätig“, sagte eine Verwaltungsmitarbeiterin der Forschungseinrichtung am Dienstag vor Gericht. Die Pflegerin meinte: „Der ist einfach eiskalt“.

Wohl um seine Aussagen glaubwürdiger zu machen, bastelte sich Volker M. mutmaßlich nicht nur das Anwaltsschreiben von Gregor Gysi zusammen, sondern auch allerhand Visitenkarten, Broschüren und Urkunden. Auch im Kontakt sei er sehr souverän aufgetreten, wie ein Autoverleiher aus Perleberg (Brandenburg) vor Gericht angab. Ihm habe Volker M. erzählt, das Auto mehrere Tage für einen Forschungsaufenthalt an der Ostsee zu brauchen. „Das klang alles sehr gut und er war sehr nett und sehr vertrauenswürdig“, sagte der Verleiher. Sein Auto tauchte erst Monate später wieder auf - auf einem Parkplatz in der Nähe von Leipzig.

Zu spät hinterfragt

Auf die Idee, im Leibniz-Institut anzurufen, kam der Verleiher erst zu spät. Auch Karoline S., die Lehrerin aus Berlin, merkte die Unstimmigkeiten nicht rechtzeitig. Am Tag, nachdem sie sich mit Volker M. in einer Klinik getroffen und ihm die 5.000 Euro in bar übergeben hatte, sollten sie und ihr Mann zum Bundestag kommen. Von dort, so sagte es der Angeklagte, würden sie zusammen mit Gregor Gysi zur Hausbesichtigung fahren. „Gregor Gysi war sogar in seinem Büro, seine Assistentin sagte uns dann aber, dass er keinen Volker M. kenne“, erzählt die Lehrerin. „Uns wurde klar, wie dumm wir waren und dass wir so im Glücksrausch wegen des Hauses waren, dass wir das alles gar nicht hinterfragt haben.“

Das Urteil wird im Dezember erwartet. Und Volker M. ist mittlerweile wieder in einer Klinik. Allerdings lebt er dort nicht so opulent wie einst als Privatpatient. Derzeit befindet er sich im Haftkrankenhaus in Leipzig.