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Prozessauftakt Halberstädter gesteht Kindesmissbrauch

Zum Prozessauftakt am Landgericht Magdeburg hat ein 62-jähriger Halberstädter den sexuellen Missbrauch an zwei Kindern gestanden.

03.01.2020, 12:38

Magdeburg l Mit zusammengepressten Handflächen sitzt Rüdiger S. auf der Anklagebank am Landgericht Magdeburg. Roter Kopf, starrer Blick. Staatsanwältin Katharina Schirmer verliest gerade die Anklageschrift. In insgesamt sechs Fällen wird dem 62-Jährigen sexueller Missbrauch vorgeworfen. Zwischen August und Oktober 2017 soll er mit einem Kind Oralverkehr und andere sexuelle Handlungen durchgeführt haben. Die Vorsitzende Richterin an der 2. Jugendschutzkammer, Anne-Marie Seydell, ergänzt die Anklageschrift noch um einen weiteren Fall. Wieder ein elfjähriger Junge. "Dem habe ich aber nur in die Hose gefasst", wird Rüdiger S. wenige Minuten später sagen.

Es ist Teil eines umfassenden Geständnisses, das der 62-Jährige ablegt. "Ich gebe alles zu", platzt es aus ihm heraus. Den Elfjährigen, der die Lernförderschule in Halberstadt besuchte und am Nachmittag in einer AWO-Tagesgruppe betreut wurde, habe er durch die Mutter kennengelernt. Die hätte bei ihm Zeitung ausgetragen, oft war auch ihr Sohn dabei. Außerdem hätte das Opfer zusammen mit einem "Kumpel" öfter mal am Bratwurst-Stand, wo S. arbeitete, vorbeigeschaut. Den "Kumpel" des Opfers kannte er schon länger, gab ihm immer mal wieder Geld. "Für was?", will Seydell wissen. "Nur so, wirklich, da lief nichts", sagt S.

 

Beim Opfer war das anders. "Jetzt reden Sie mal Tacheless", fordert Richterin Seydell irgendwann. Immer wieder stockt S., verstrickt sich in Widersprüche. Irgendwann sagt er, dass alles mit pornographischen Magazinen anfing in seiner Wohnung. Dann wurde daraus mehr. S. hat sein Opfer mit Geld gelockt. Der Junge wusste, dass er Geld bekommt, wenn er sexuelle Handlungen mit dem 62-Jährigen durchführt. Beträge zwischen vier und zehn Euro hat S. jedes Mal gezahlt. Sechsmal soll es passiert sein.

 

Die erste Zeugin in dem Prozess ist eine 33-jährige Halberstädterin, deren Tochter mit dem Opfer befreundet war. "Ich habe mich irgendwann gewundert, woher die beiden immer das Geld für Süßigkeiten hatten, aber mir erstmal nichts weiter dabei gedacht." Irgendwann fängt die Tochter selber an zu reden, erzählt von dem erwachsenen Freund, der dem Jungen immer Geld gibt. Die Mutter wird hellhörig und informiert die Leiterin der AWO-Tagesgruppe. Auch die 64-Jährige ist an diesem Freitag als Zeugin geladen. Sie erzählt von einem Jungen, der aus zerrüttelten Familienverhältnissen stammt, Lernschwierigkeiten besaß, aber irgendwie "immer durchs Leben gekommen ist". Oft hätte der Junge in der Rathaus-Passage Zeit verbracht, viele Ladenbesitzer kannten ihn.

Als die Sozialpädagogin den Jungen im Oktober 2017 mit dem Verdacht konfrontiert, reagiert der ängstlich. "Er war ganz aufgelöst, aber irgendwann hatte er einen so großen Redefluss, dass wir ihn erst einmal aus der Tagesgruppe rausnehmen mussten, weil er immer wieder nafing, von dem Mann zu erzählen", berichtet die Zeugin. "Wir mussten die anderen Kinder schützen." Die 64-jährige Sozialpädagogin erstattet Anzeige bei der Polizei, bringt das Kind zu einem Arzt. Eine Trauma-Pädagogin betreut den Jungen. Der Junge entwickelt panische Angst, seinem Peiniger noch einmal zu begegnen. Bei einem Ausflug ins Freibad sieht der Junge den Täter. "Er hatte Angst, wollte sich nicht mehr umziehen, die Erzieher mussten vor der Kabine Wache stehen."

Während die Zeugin das Bild eines kleinen, fürs Leben geschädigten Jungen zeichnet, sitzt S. auf der Anklagebank ohne seine Miene auch nur einmal zu verändern. Der 62-Jährige, der mit neun Geschwistern groß geworden ist und selbst nur vier Schulklassen besucht hat, ist in der Vergangenheit bereits straffällig geworden. Sowohl 1995 als auch 1999 wurde er wegen sexuellen Missbrauchs an einem Kind verurteilt. Beim ersten Mal zu einem Jahr Freiheitsstrafe, beim zweiten Mal zu einem Jahr und drei Monaten Freiheitsstrafe - beide Male auf Bewährung.

Am 13. Januar wird der Prozess fortgesetzt. Dann werden auch ein Arzt, der das Opfer untersucht hatte, sowie eine Vernehmungsbeamtin als Zeugen auftreten.