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Prozessauftakt Halle-Attentäter bereut nichts

Der spektakulärste Prozess in der Geschichte Sachsen-Anhalts hat am Magdeburger Landgericht begonnen.

Von Matthias Fricke 22.07.2020, 08:41

Magdeburg l Erst mit zwei Stunden Verspätung kann die Vorsitzende Richterin Ursula Mertens die Verhandlung beginnen. Die Kontrollen der Taschen am Eingang dauerten länger als geplant. Zuvor war der Angeklagte Stephan B. zuerst mit einem Hubschrauber und später mit einer Polizeieskorte mit bewaffneten Beamten von der JVA Burg nach Magdeburg gebracht worden.

Stephan B. wird unter massiver Bewachung in den Saal gebracht. Er zeigt dabei kaum eine Regung. Bekleidet ist er mit einer dicken schwarzen Jacke, obwohl es im Saal zeitweise sehr stickig ist.

Als Bundesanwalt Kai Lohse seine 16-seitige Anklage verliest, bleibt es ruhig. Die 43 Nebenkläger kennen wie die meisten Anwesenden die Vorwürfe. Der rechtsextreme Attentäter von Halle hatte seinen Angriff auf die Synagoge gefilmt. Das Ganze streamte er ins Internet. In seinem „Manifest“, das er kurz vor der Tat hochlud, hieß es unter anderem „Kill all jews“ (Tötet alle Juden). Die Bundesanwaltschaft wirft ihm insgesamt 13 Straftaten vor. Darunter die Morde an der 40-jährigen Jana L. und dem 20-jährigen Kevin S. Hinzu kommt der Mordversuch an 68 Menschen, darunter die 52 jüdischen Gläubigen in der Synagoge.

Vor allem die rassistischen und antisemitischen Motive des Angeklagten erschüttern besonders die anwesenden Nebenkläger. Bundesanwalt Kai Lohse sagt: „Es ist eine neue Dimension der Menschenverachtung, die durch diese Tat hier in Deutschland stattgefunden hat.“ Der Anschlag habe uns allen gegolten.

Was er meint, bestätigt der Halle-Attentäter selbst immer wieder in seiner mehrstündigen Aussage. Er schwadroniert Dinge wie: „Es wehrt sich ein weißer Mann, obwohl er weiß, dass er nicht gewinnen kann.“ Und: „Ich bin wütend darüber, dass jetzt die Feinde ins Land gelassen werden und niemand Widerstand leistet.“ Im Jahr 2015 habe für ihn „die Flüchtlingskrise den Cut ausgelöst“. Da entschloss er sich, nichts mehr für die Gesellschaft zu tun, „die von Negern und Muslimen durchsetzt ist.“

Die Vorsitzende Richterin unterbricht ihn immer wieder und verbittet sich entsprechende Begriffe. Außerdem fragt sie, warum er dann bei all seinem Hass auf Muslime eine jüdische Synagoge angegriffen habe. Stephan B. macht in seiner absurden Logik die Juden für die vermeintliche Eroberung Mitteleuropas durch die Flüchtlinge verantwortlich.

Vor fünf Jahren kaufte er nach seiner Aussage sein erstes Gewehr „zum Selbstschutz“. Später baute sich der Benndorfer Waffen mit einem 3-D-Drucker, die er dann auch für den Anschlag benutzte. Insgesamt waren es später acht Waffen und zahlreiche selbstgebaute Sprengmittel. Auch die Munition bastelte er sich selbst.

Sein Entschluss für den Angriff auf die Synagoge sei erst mit dem Terroranschlag von Christchurch in Neuseeland im März 2019 gekommen. Das war sein großes Vorbild, wie er sagt. Später meint er auch, „dass nicht die Tat wichtig war, sondern das Filmen.“ Damit wollte er denen imponieren, die wie er denken. Die Vorsitzende Richterin hakt nach: „Warum haben Sie sich dann keiner Gruppe angeschlossen?“ Stephan B. antwortet: „Aus Angst vor dem Verfassungsschutz.“

Doch warum hat er am Ende Jana L. erschossen? Bei dieser Frage bricht das erste Mal seine Stimme. „Das war eine Kurzschlussreaktion“, sagt der Angeklagte. Die Richterin hakt nach: „Und warum haben Sie dann auf die am Boden liegende Frau nochmal geschossen.“ Stephan B.: „Wenn man etwas angefangen hat, muss man es zu Ende bringen.“ Sein zweites Mordopfer, den 20-jährigen Kevin S. erschoss er, weil er bei ihm schwarze Haare erkannt haben will und ihn deshalb für einen Muslim hielt.

Am Ende des ersten Prozesstages bleiben die Opfer fassungslos über die zahlreichen menschenverachtenden Äußerungen zurück. Der Prozess wird heute mit der weiteren Befragung des Angeklagten und dem Sichten des Videomaterials fortgesetzt.