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Prüfbericht Gutachteritis treibt seltsame Blüten

Der Landesrechnungshof hat in einer Prüfung zur Vergabe von Gutachten, Beratungen und Studien eine Vielzahl von Mängeln aufgedeckt.

Von Michael Bock 21.09.2016, 01:01

Magdeburg l Die Prüfer nahmen stichprobenartig 360 Gutachten, Studien und Beratungsleistungen mit einem Gesamtvolumen von 36,9 Millionen Euro zwischen 2010 und 2013 unter die Lupe. Auf 144 Seiten listen die obersten Kontrolleure etliche Defizite auf. Es geht um freihändige Vergaben, unzureichende Wirtschaftlichkeits-Untersuchungen, fehlende Erfolgskontrollen, schlampige Aktenführung. Beispiele aus dem Bericht:

Beschaffer brauchen Hilfe beim Beschaffen: Die Zentrale Beschaffungsstelle beim Landgericht Magdeburg schließt mit der Auftrags-Beratungsstelle Sachsen-Anhalt eine Vereinbarung ab. Diese soll bei Ausschreibungs-Verfahren helfen. Etwa bei der Beschaffung von Fotokopierern oder Gebäude-, Glas- und Fensterreinigung.

Unterlagen, die die Notwendigkeit belegen, gibt es nicht. Wirtschaftlichkeits-Untersuchung oder Erfolgskontrolle? Fehlanzeige. Der Rechnungshof urteilt: Für Tätigkeiten, die zum gewöhnlichen Tätigkeitsbereich einer zentralen Beschaffungsstelle gehören, bedarf es grundsätzlich keiner Beratung und Hilfe bei Vorbereitung und rechtssicherer Durchführung der Ausschreibungsverfahren.

Ebenfalls die Zentrale Beschaffungsstelle des Landgerichts vergibt ein Rechtsgutachten zur Möglichkeit einer außerordentlichen Kündigung eines Vertrages. Der damalige Leiter wie auch Vertreter des Justizministeriums sagen, der notwendige juristische Sachverstand sei im Geschäftsbereich nicht verfügbar gewesen.

Studie ohne Erkenntnisgewinn: Das Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt lässt eine Studie „Wertschöpfung des Gartenbauclusters in Sachsen-Anhalt“ erstellen. Nach Vorlage der Studie kommt das Ministerium unter anderem zu folgender Einschätzung: „Insofern bestätigt die Studie die hinlänglich bekannte Tatsache, dass der Gartenbau in Sachsen-Anhalt eine vergleichsweise geringe Bedeutung hat.“

Der Rechnungshof sagt, bereits zum Zeitpunkt der Beauftragung sei objektiv absehbar gewesen, „dass aufgrund nicht vorhandener statistischer Grundlagen für Sachsen-Anhalt kein zusätzlicher Erkenntnisgewinn zu erwarten war“.

„Begründete Besorgnis“: Das Ministerium für Arbeit und Soziales schließt einen Vertrag mit der Harz AG. Es geht um ein EU-Projekt „zur Stärkung der Zu- und Rückwanderung in der Pilotregion Harz“. Zur Bearbeitung und Betreuung wird befristet ein zusätzlicher Mitarbeiter eingestellt. Der aber war zuvor bei der Harz AG beschäftigt und hatte in dieser Funktion bereits dienstlich mit dem Fachreferat zu tun.

Das Ministerium sagt, es sei über den vorherigen Arbeitgeber informiert gewesen. Zudem habe der damalige Referatsleiter bei allen Verwaltungsvorgängen stets das Vier-Augen-Prinzip gewahrt. Der Rechnungshof sieht eine „begründete Besorgnis der Befangenheit“. Zumal eine lückenhafte Dokumentation „Zweifel an der unparteiischen Amtsausführung“ entstehen lasse.

Warum aber vergibt die Landesverwaltung überhaupt Aufgaben an Externe? Laut Rechnungshofbericht wird als Hauptgrund genannt, dass eigene Spezialkenntnisse und eigene Personalressourcen fehlen.

Tatsächlich hat Ex-Finanzminister Jens Bullerjahn (SPD) in den zurückliegenden Jahren Tausende Stellen im öffentlichen Dienst abgebaut. Im Parlament wird zunehmend Kritik laut, dass immer mehr Aufgaben ausgelagert und somit der Kontrolle des Landtags entzogen werden.

Die Betrachtung, ob eine Leistung besser im eigenen Haus als extern erbracht werden kann, erfolgte indes bei 247 der 360 vergebenen Gutachten, Studien und Beratungsleistungen nicht – das entspricht einem Anteil von 69 Prozent. Am höchsten war der Anteil im Innenministerium (86 Prozent). Die in der Landes-Haushaltsordnung vorgeschriebenen Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen gab es nur in vier von zehn Fällen (39 Prozent).

Große Mängel stellten die Prüfer auch bei den erforderlichen Erfolgskontrollen fest. Diese dienen dazu, festzustellen, ob und in welchem Ausmaß die angestrebten Ziele erreicht werden. Bei knapp zwei Drittel der Verträge (65 Prozent) wurden diese Erfolgskontrollen nicht durchgeführt.

Im Wirtschaftsministerium war der Anteil mit 88 Prozent besonders hoch. Dort gab es bei 49 von 56 Verträgen keine Erfolgskontrolle.

Der Rechnungshof sieht hier „deutlichen Handlungsbedarf“. Nach Auffassung der Kontrolleure muss dabei auch geprüft werden, ob die durch die Auftragsvergabe gewonnenen Erkenntnisse auch umgesetzt wurden. Weitere Ergebnisse aus dem Rechnungshofbericht:

In 165 Fällen (64 Prozent) hat die Verwaltung bei freihändigen Vergaben auf die Einholung von Vergleichsangeboten verzichtet. Damit wurden Leistungen mit einem Auftragsvolumen von rund 14 Millionen Euro ohne Wettbewerb vergeben. Das halten die Prüfer für „besonders kritikwürdig“.

Nach Auffassung des Rechnungshofes hat die Landesverwaltung „in erheblichem Maße insbesondere gegen den Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit sowie die Vergabegrundsätze verstoßen“.

In 99 Fällen (28 Prozent) hat die Verwaltung die Entscheidung über das Verfahren der Ausschreibung nicht schriftlich dokumentiert. Und das, obwohl die Landesregierung eindeutige Festlegungen zu Dokumentationspflichten getroffen hat.

So ist zum Beispiel eine nachvollziehbare Kostenermittlung schriftlich zu dokumentieren. Die Entscheidung muss zudem begründet werden.

Nach Recherchen der Prüfer existieren im Bereich des Ministeriums für Justiz und Gleichstellung „zum Teil erhebliche Dokumentationslücken“. Auch im Finanzministerium stellten die Kontrolleure „gravierende Verstöße gegen die Maßgaben zum Abschluss von Beraterverträgen“ fest.

Einen großen Komplex widmet der Rechnungshof einem 6,3-Millionen-Euro-Vertrag des Landes mit der Investitionsbank (IB). Wirtschaftsminister Jörg Felgner (SPD) hatte diesen 2013 am Parlament vorbei unterzeichnet. Damals war er noch Finanzstaatsekretär. Die Prüfer urteilen so: „Die Vertragsgestaltung als Rahmenvertrag führt dazu, dass die IB im Rahmen von Unterbeauftragungen Studien und Gutachten für das Finanzministerium in Auftrag gab und damit der Beschluss des Landtages zur Vorlagepflicht von Beraterverträgen, Studien und Gutachten ab einem Auftragswert über 20 000 Euro umgangen wird.“

Die IB vergab so einen 4,4-Millionen-Euro-Auftrag an das hallesche Wirtschaftsinstitut ISW. Die Aktenlage legt den Verdacht nahe, dass im Finanzministerium von Anfang an geplant war, das ISW mit dem Millionenauftrag zu versorgen. Nach Auffassung der Prüfer kam es im Ausschreibungsverfahren, welches das ISW dann auch gewann, zu „vergaberechtlichen Verstößen“. Die Rede ist von einem „unzulässigen Eignungskriterium“ und einer intransparenten Vergabedokumentation.

Nach den Volksstimme-Enthüllungen der zurückliegenden Monate hat der Finanzausschuss des Landtags den Rechnungshof gebeten, auch die ab 2014 bis jetzt geschlossenen Beraterverträge, Studien und Gutachten zu prüfen.