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Hitzefrei-Erfinder Für eine gesunde „Schuljugend“

Die Hitzefrei-Regelung geht auf das Ende des 19. Jahrhunderts zurück. Auf den Weg gebracht hat sie der Quedlinburger Robert Bosse.

Von Massimo Rogacki 04.08.2021, 02:15
Hitzefrei wird in Deutschland nicht einheitlich gehandhabt. Als Robert Bosse die Regelung 1892 auf den Weg brachte, hatte er eine Verbesserung der Situation in den Schulen im Sinn.
Hitzefrei wird in Deutschland nicht einheitlich gehandhabt. Als Robert Bosse die Regelung 1892 auf den Weg brachte, hatte er eine Verbesserung der Situation in den Schulen im Sinn. Foto: dpa

Magdeburg/Quedlinburg - Etwas mau ist er ja bisher, der Sommer. Allzu viele Gelegenheiten, die Schüler in Sachsen-Anhalt ins Hitzefrei zu schicken, gab es in diesem Jahr noch nicht. Die Regel: Wenn die Temperatur in einem „repräsentativen“ Unterrichtsraum bereits um 11 Uhr auf die Marke von 26 Grad Celsius klettert, ist früher Feierabend oder verkürzte Stunden winken.

Das ist auch an der Bosseschule der Fall. Die Sekundarschule in Quedlinburg hat im Gegensatz zu anderen Schulen aber noch eine ganz besondere Verbindung zum Hitzefrei. Ob Schüler auf ihrem Weg ins Freibad dem Namensgeber der Schule huldigen, ist unbekannt. Sicher ist: Der Quedlinburger Robert Bosse hat in seiner Funktion als preußischer Kultusminister 1892 den entsprechenden Erlass unterzeichnet. Demnach sei der Ausfall des „nachmittaglichen Unterrichtes“ anzuordnen, wenn das „hunderttheilige Thermometer um 10 Uhr vormittags und im Schatten 25 Grad zeigt“.

Julius Robert Bosse (1832-1901).
Julius Robert Bosse (1832-1901).
Foto: Wikimedia Commons

Bosse mahnte, dass in diesem Fall beim Aufenthalt in der Schule und auf dem Schulweg eine „ungünstige Rückwirkung auf den Gesundheitszustand der Schuljugend zu befürchten“ sei.

Griffel und Schiefertafel

Die Zustände in den Schulen seien zum Ende des 19. Jahrhunderts mit den heutigen kaum vergleichbar gewesen, sagt Michael Stöneberg. Er ist Kurator der Dauerausstellung Schulgeschichte im Kulturhistorischen Museum Magdeburg. In einem nachempfundenen Klassenzimmer lässt sich dort zwischen Holzbänken, Griffel und Schiefertafel der Schule wie zu Kaisers Zeiten nachspüren.

„Die Klassen waren zum Ende des 19. Jahrhunderts noch größer, in Volksschulen wurden mehrere Jahrgänge in einem Klassenzimmer unterrichtet. Das war regelrechtes Multitasking für die Lehrer“, sagt Stöneberg. Ein Zuckerschlecken für die Schüler war der Unterricht allerdings auch nicht.

Schule sei in dieser Zeit kaum vom Kindswohl her gedacht worden, sagt Stöneberg. Die Schulbänke standen in Reih und Glied, wer im Frontalunterricht unangenehm auffiel, bekam es mit dem Rohrstock zu tun.

„Gediegene Schulbildung“

„Aus den Jungen sollten später Soldaten werden, die Mädchen sollten heiraten und den Haushalt führen“, sagt der Kurator. In dieser Zeit einen Erlass für Hitzefrei durchzusetzen – sehr fortschrittlich, meint Stöneberg.

Geboren wurde Hitzefrei-Erfinder Julius Robert Bosse am 12. Juli 1832 in Quedlinburg. Sein Vater Julius Bosse hatte eine eigene Branntweinbrennerei – ein in dieser Zeit „blühender Industriezweig“, heißt es im „Heimatborn“, einer Beilage des Quedlinburger Kreisblatts. Dem „begabten und eifrigen Sohne“ wollte der Unternehmer eine „gediegene Schulbildung“ ermöglichen.

Zunächst wird Bosse junior privat in Latein unterrichtet, er besucht das Gymnasium in Quedlinburg, studiert Jura in Heidelberg, Halle und Berlin, tritt zwischenzeitlich in die Armee ein.

Nach Abschluss der ersten juristischen Prüfung erhält er eine Anstellung am Kreisgericht Quedlinburg, es folgen Richtertätigkeiten in Ermsleben und Halberstadt.

Gegen die Prügelstrafe

Später schlägt er die Verwaltungslaufbahn ein. 1878 die Berufung ins preußische Staatsministerium. Er wirkt an den ersten Arbeiterversicherungsgesetzen Otto von Bismarcks mit. Von 1892 bis 1899 ist er Kultusminister. Und nicht nur die Hitzefrei-Regelung ist sein Verdienst. Der Quedlinburger initiierte zudem den Erlass zum Verbot der Prügelstrafe an den Schulen. Darüber hinaus hatte er wesentlichen Anteil daran, dass die Arbeit von Lehrern und Pfarrern besser vergütet wurde.

Nach dem Ende seiner Laufbahn verlegte sich Bosse aufs Schreiben. Er notierte unter anderem Jugenderinnerungen aus seiner Heimatstadt. Quedlinburg war ihm wichtig. Er werde seiner „Vaterstadt mit dankbarer Treue zugetan bleiben bis ins Grab“, schrieb Bosse an seinem letzten Wohnsitz in Berlin. Am 31. Juli 1901 stirbt Robert Bosse im Alter von 69 Jahren.

In Berlin begraben

Sein Grab liegt auf auf dem Alten St.-Matthäus-Kirchhof Berlin. Ein Rundgang über den Friedhof im Berliner Stadtteil Schöneberg lohnt sich. Neben Bosse finden sich dort die Grabstätten bedeutender Künstler, Musiker, Wissenschaftler sowie erfolgreicher Unternehmer des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Etwa die der Brüder Grimm und des Mediziners Rudolf Virchow.

In Quedlinburg erinnert heute noch eine Gedenktafel am Geburtshaus Bosses an den berühmten Sohn der Stadt. 1897 war er dort noch einmal zu Besuch, besichtigt Schulen in Quedlinburg. Bereits 1895 war Bosse zum Ehrenbürger ernannt worden.

Seit 1906 existieren zudem eine Bossestraße und der Bosseplatz. Nicht zu vergessen die Bosseschule. 1905 erhielt sie erstmalig den Namen des früheren preußischen Kultusministers. Nach dem Ende der Sommerferien Anfang September dürften für die Schüler die Chancen auf Hitzefrei jahreszeitlich bedingt schlecht stehen. Eine bevorzugte Behandlung ist ebenso wenig zu erwarten – trotz des besonderen Namensgebers Robert Bosse.

Geburtshaus in Quedlinburg. Der ?Vaterstadt? wolle er immmer ?mit dankbarer Treue zugetan? bleiben, so Bosse.
Geburtshaus in Quedlinburg. Der ?Vaterstadt? wolle er immmer ?mit dankbarer Treue zugetan? bleiben, so Bosse.
Foto: A. Löser, 07/2021
Eine Gedenktafel am Geburtshaus in der heutigen Welterbestadt erinnert an den einstigen preußischen Kultusminister.
Eine Gedenktafel am Geburtshaus in der heutigen Welterbestadt erinnert an den einstigen preußischen Kultusminister.
Foto: Uta Müller