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Bürgerarbeiter in Sachsen-Anhalt gehen in ihrem Job auf / Sonderprogramm soll Ende 2014 auslaufen "Froh, diese Chance bekommen zu haben"

Von Torsten Scheer, Oliver Schlicht und Nadja Bergling 12.02.2013, 01:16

Bei der Bürgerarbeit ist das Ende in Sicht. Im nächsten Jahr soll das Sonderprogramm auslaufen. Betroffen sind tausende Stellen nicht nur in Sachsen-Anhalt.

Magdeburg l Ende nach einer langen Zeit. Die Bürgerarbeit war 2006 in Sachsen-Anhalt unter Federführung des damaligen Wirtschaftsministers und heutigen Ministerpräsidenten Reiner Haseloff (CDU) entwickelt und in fünf Modellregionen in Bad Schmiedeberg (Landkreis Wittenberg), Barleben (Börde), Gerbstedt und Kelbra (beide Mansfeld-Südharz) sowie in Hecklingen (Salzlandkreis) gestartet worden. Vor drei Jahren wurde es bundesweit ausgeweitet. Nun soll Ende 2014 Schluss sein.

Das Konzept der Bürgerarbeit wurde speziell für Langzeitarbeitslose entwickelt, die seit Jahren keinen Job mehr haben und deren Chancen am normalen Arbeitsmarkt nahezu aussichtslos sind. Bürgerarbeiter leisten gemeinnützige Arbeit. Die öffentliche Hand und der Europäische Sozialfonds ESF bezahlen Jobs in Vereinen, Gemeinden oder Vereinen, die von normalen Unternehmen nicht angeboten werden.

Sie geben beispielsweise Essen aus, begleiten ältere Menschen zum Arzt oder zum Amt, unterstützen den Platzwart im Sportverein oder pflegen in der Gemeinde den Naturlehrpfad. Bei einer Wochenarbeitszeit von maximal 30 Stunden verdient der Bürgerarbeiter etwa 900 Euro brutto im Monat.

Bundesweit gibt es etwa 29000 Bürgerarbeiter, in Sachsen-Anhalt sind es rund 4900. Unter ihnen ist Marlies Hildebrandt. Seit dem 1. Juli 2011 gehört die 61-Jährige zum Team der Bürgerarbeiter auf der Wasserburg in Egeln. "Ich bin froh, dass ich diese Chance bekommen habe. Meine Arbeit macht mir großen Spaß, und ich habe bereits Dinge erfahren und entdeckt, die ich so noch nie gehört habe", schwärmt die Egelnerin von der Bürgerarbeit. Marlies Hildebrandt arbeitet an Kinderbüchern, bringt den kleinen Lesern ihre Heimat näher. Sie berichtet aus dem Mittelalter und zeigt auch auf, wie man früher auf dem Land gelebt und gearbeitet hat.

In Havelberg ist man traurig über das nahende Ende der Bürgerarbeit. 200 Frauen und Männer helfen hier im kulturellen Bereich oder im Hort, betreuen etwa Ausstellungen oder basteln mit den Knirpsen. "Für viele ist Bürgerarbeit eine Frage des Selbstwertgefühls", weiß Iris Warnstedt, Geschäftsstellenleiterin des Jobcenters Stendal in Havelberg, aus langjähriger Erfahrung und unzähligen Gesprächen mit Bürgerarbeitern. "Wir wären sehr glücklich, wenn das Programm verlängert werden würde." Auf jeden Fall will man in Havelberg versuchen, jetzige Bürgerarbeiter in die 2015 in der Havelregion stattfindende Bundesgartenschau einzubeziehen, unter welcher Bezeichnung auch immer.

In Magdeburg gehören bei der Beschäftigungsgesellschaft AQB Bürgerarbeiter zum festen Stamm. "Knapp 20 Mitarbeiter kümmern sich hier beim Möbel-Haushaltsservice jeden Tag und die Reparatur und den Transport von Möbeln für Bedürftige", erzählt Manuela Vach, Chefin der Möbel-Werkstatt.

729 Euro bekommen die Bürgerarbeiter monatlich ausgezahlt, berichten sie. Einer von ihnen ist Detlef Wobbe. Der schwergewichtige Handwerker sitzt am Arbeitstisch und schraubt Lattenrostteile zusammen. "Wobby", wie ihn die Kollegen rufen, war schon Anlagenfahrer, Maurer und Koch.

Landesarbeitsagentur bedauert zeitliche Befristung

Nachdem er arbeitslos wurde, fand er im Herbst 2011 bei der AQB einen Drei-Jahres-Job als Bürgerarbeiter. Die Arbeit geht ihm schnell von der Hand. "Häufig ist nur mal ein Bein abgebrochen oder ein Scharnier kaputt", erzählt er. Kollegin Angela Teichmann pflichtet ihm bei: "Das sind richtig top Möbel, die hier zum Teil abgeliefert werden. Für den Sperrmüll ist das viel zu schade."

Drei Lkw fahren täglich durch Magdeburg und holen ausrangierte Möbel bei Spendern ab. Sozial Bedürftige können sie dann im Möbellager preiswert erwerben. 10 bis 15 Kunden kommen täglich. Ohne die fleißigen Bürgerarbeiter wäre die Arbeit so qualifiziert wohl kaum möglich.

Die Landesarbeitsagentur in Halle bedauert das Auslaufen der Bürgerarbeit. "Öffentlich geförderte Beschäftigung ist eine Alternative zur Arbeitslosigkeit", sagte deren Chef Kay Senius. Deshalb sei es bedauerlich, dass die Bürgerarbeit nur als zeitlich befristetes Projekt aufgelegt worden sei. "Bedauerlich ist auch, dass es nicht gelungen ist, die entsprechenden Rahmenbedingungen zur optimalen Umsetzung des Programmes zu schaffen."

"Unabhängig von der Bürgerarbeit müssen und werden wir uns um Langzeitarbeitslose kümmern", sagte der Sprecher des Arbeitsministeriums, Holger Paech. Er verwies auf das Programm "Familien stärken". Damit soll erreicht werden, dass es in jeder Familie mindestens einen Verdiener gibt. Seite 5