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Landwirtschaft XXL-Glasbau: Hightech-Gewächshaus in der Börde versorgt den Osten mit 40.000 Gurken täglich

In einem riesigen Gewächshaus in Osterweddingen werden täglich bis zu 40.000 Gurken geerntet und Millionen Kräutertöpfe gezüchtet. Firmenchef Ulrich Wagner zeigt, wie die Zukunft der Landwirtschaft aussehen könnte.

Von Steffen Höhne 22.06.2022, 10:11
Mehr als drei Millionen Kräutertöpfchen werden in Osterweddingen pro Jahr gezüchtet und dann an Supermärkte geliefert.
Mehr als drei Millionen Kräutertöpfchen werden in Osterweddingen pro Jahr gezüchtet und dann an Supermärkte geliefert. Foto: Andreas Stedtler

Osterweddingen/MZ - Jos Houwen geht an schier endlosen Gurken-Reihen vorbei. Die Pflanzen ranken sich meterhoch an Leinen bis unter das Glasdach. Die daran hängenden Salatgurken sind groß und grün. „Alle zwei Tage können wir je Pflanze eine Gurke ernten“, erklärt der Niederländer. In der Spitze seien es täglich fast 40.000 Stück, die an Supermärkte geliefert werden. In einer anderen Halle stehen tausende Kräutertöpfchen. Das schnelle und verlässliche Wachstum ist programmiert: Houwen leitet ein riesiges Hightech-Gewächshaus in Osterweddingen vor den Toren Magdeburgs, das dem Unternehmen Wimex gehört. Dessen Geschäftsführer Ulrich Wagner sagt: „So sieht die Zukunft eines Teils des Gemüseanbaus in Deutschland aus.“

Die Gewächshausfläche in Osterweddingen ist neun Fußballfelder groß

Das Gewächshaus hat eine überdachte Fläche von 6,3 Hektar, was ungefähr neun Fußballfeldern entspricht. Errichtet hatte es 2017 ein niederländischer Investor, der wegen Bauverzögerungen und Absatzproblemen jedoch insolvent ging. Wimex übernahm das noch nicht ganz fertige XXL-Gewächshaus im Dezember 2018. „Wir haben den Schritt nicht bereut“, sagt Wagner.

Wer die Anlage als Gast betreten will, der muss zunächst Plastik-Überzieher anlegen, die bis zu den Knien reichen. Über eine Desinfektionsmatte geht es dann am Eingangstor in die Glashallen. „Wir versuchen, äußere Einflüsse so gering wie möglich zu halten“, sagt Houwen. Dazu gehöre auch der Eintrag von Pflanzenschädlingen. In dem Glashaus soll wenig dem Zufall überlassen werden.

Sachsen-Anhalts Wirtschaftsminister Sven Schulze (CDU) besichtigte den Gurken-Anbau im Gewächshaus.
Sachsen-Anhalts Wirtschaftsminister Sven Schulze (CDU) besichtigte den Gurken-Anbau im Gewächshaus.
Foto: Andreas Stedtler

Was bei den Gurken als erstes auffällt: Die Pflanzen stehen nicht in der Erde, sondern in Kniehöhe in einem Steinwolle-Substrat. Über eine automatisch gesteuerte Anlage bekommen sie Wasser und Nährstoffe zugeführt. „Da wir das Wachstum optimal steuern können, erreichen wir pro Quadratmeter einen acht- bis zehnmal höheren Umsatz als im Freiland“, erklärt Wagner - bei geringerem Wasserverbrauch. Houwen hat das hochgerechnet: „Für jede geerntete Gurke benötigen wir 4,5 Liter Wasser - im Freiland-Anbau wäre die dreifache Menge nötig.“

Das im bayrischen Regenstauf beheimate Unternehmen Wimex betreibt bereits seit Jahrzehnten Gemüseanbau in Arensdorf bei Köthen (Landkreis Anhalt-Bitterfeld). Im Freiland werden unter anderem Mohrrüben, Radieschen, Salat und Lauch angebaut. Trotz künstlicher Bewässerung spürt das Unternehmen die Dürren der vergangenen Jahre. „Wir haben uns daher schon lange mit dem Gewächshausanbau beschäftigt“, berichtet Wagner. Trockenheit werde im Gemüseanbau eine immer größere Herausforderung. Solche Gewächshäuser würden es ermöglichen, weiter stabile Erträge mit regionalen Produkten zu erzielen.

Bewässert werden die Kräutertöpfchen von einer Maschine.
Bewässert werden die Kräutertöpfchen von einer Maschine.
Foto: Andreas Stedtler

Der Gemüseanbau erfolgt in Deutschland vor allem im Freiland auf insgesamt 130.000 Hektar und in einem geringeren Umfang auf rund 1.300 Hektar in Gewächshäusern. Nach Angaben des Gemüseexperten Michael Koch von der Agrarmarkt Informations-Gesellschaft in Bonn liegt das an den hohen Energiekosten in Deutschland. „In den Niederlanden sind Gewächshäuser auch deswegen verbreiteter, weil vergleichsweise günstiges Erdgas verfügbar ist.“ In Osterweddingen wurde das Problem gelöst, indem die Abwärme eines benachbarten Flachglaswerkes genutzt wird. Zur Glasproduktion sind Temperaturen von 1.200 Grad Celsius notwendig. Das Unternehmen F-Glass musste die Restwärme in der Vergangenheit runterkühlen. Nun nimmt das Gewächshaus die Wärme auf - beide Seiten profitieren.

Ein ähnliches Projekt wollen die Partner auch beim CO2 umsetzen. Dieses soll in der Glasproduktion abgeschieden und ins Gewächshaus geleitet werden. „Unsere Pflanzen benötigen zusätzliches CO2 zum Wachsen, bisher beziehen wir das über Tankwagen“, erläutert Houwen. Auch beim Wasser wird umweltschonend gearbeitet. Die Niederschläge auf die riesigen Glasflächen werden aufgefangen und zur Bewässerung genutzt - im Jahr werden so 20 Millionen Liter weniger Trinkwasser gebraucht. Künftig soll auch auf den Dächern des benachbarten Glaswerkes das Regenwasser aufgefangen und ins Gewächshaus geleitet werden.

XXl-Bau in der Börde: Ein zweites großes Gewächshaus ist geplant

Auch im Gewächshaus soll die Automatisierung weiter steigen. Pro Jahr werden in Osterweddingen hunderttausende Töpfchen mit Kräutern wie Petersilie, Basilikum und Schnittlauch gepflanzt. Das Eintopfen übernimmt eine Maschine, auch die Bewässerung geschieht automatisch. Im Hightech-Gewächshaus findet vor allem die Ernte noch per Hand statt. 20 rumänische Fachkräfte und etwa 30 Erntehelfer pflücken die Gurken, die in großen Kisten landen. „Das ist eine anstrengende Arbeit“, erläutert Houwen. Hier wird der Einsatz von Ernterobotern geprüft.

Die frische Ware wird unter der Marke „Bördegarten“ an verschiedene Supermarktketten im Umkreis von 200 Kilometern geliefert. Bei einem Besuch sagt Sachsen-Anhalts Wirtschaftsminister Sven Schulze (CDU): „Produkte aus der Region und regionale Wirtschaftskreisläufe sind für die Wertschöpfung im ländlichen Raum von großer Bedeutung.“ Wimex-Chef Wagner betont den Umweltaspekt: Die Gurken müssten nicht über hunderte oder tausende Kilometer aus den Niederlanden oder Spanien eingeführt werden.

Auch finanziell ist das XXL-Glashaus offensichtlich ein Erfolg. Wagner kündigt an, auf einer angrenzenden Fläche für etwa 15 Millionen Euro noch einmal ein ähnlich großes Gewächshaus bauen zu wollen, um Supermärkte in der Region zu beliefern.