Zersplitterung der Tariflandschaft schürt zunehmend Sorge vor nicht enden wollenden Kettenstreiks Ruf nach dem Gesetz: Weg zur Tarifeinheit ist steinig
Die Angst vor nicht enden wollenden Kettenstreiks von Spartengewerkschaften hat den Ruf nach gesetzlichen Regelungen zur Tarifeinheit wieder lauter werden lassen. Es ist ein heikles Unterfangen, das Schwarz-Gelb eher mit spitzen Fingern anfasst.
Berlin (dpa) l Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte es vor mehr als einem Jahr angekündigt: Ein Gesetz, mit dem der Zersplitterung der Tariflandschaft durch kleine Spartengewerkschaften Einhalt geboten werden sollte. Die Kanzlerin ahnte offensichtlich schon, dass das Vorhaben schwierig werden würde: Die Koalition wage sich damit auf "absolutes Neuland", sagte sie damals, im November 2010. Heute ist festzustellen: Die Koalition ist auf dem überaus steinigen Weg steckengeblieben.
Erst unter dem Eindruck des Streiks der Vorfeldleute auf dem Frankfurter Rhein-Main-Flughafen, der zu Flugausfällen und Millionenverlusten bei den Airlines führte, wurde das Projekt "Tarifeinheit" in Berlin plötzlich wieder aus der Schublade geholt. Die Wirtschaft macht Druck. Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) reagierte und signalisierte neues Nachdenken. Notwendig seien Regeln, "dass in einem Betrieb verhandelt wird und dass zum Schluss auch eine Lösung herauskommt, die der Mehrheit dann auch nutzt".
Dass das Thema überhaupt diskutiert wird, ist einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes von Mitte 2010 zu verdanken. Die Richter kippten damals den jahrzehntelang geltenden Grundsatz "Ein Betrieb - ein Tarifvertrag" und ließen damit mehr Vielfalt bei Tarifverträgen und Konkurrenz unter großen und kleinen Gewerkschaften zu. Damit wurden konkurrierende Vereinbarungen in einem Unternehmen wie bei Lufthansa, Bahn oder in Krankenhäusern allgemein salonfähig.
Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt ist das nicht erst seit dem jüngsten Streik in Frankfurt ein Dorn im Auge. Er fordert schon lange eine gesetzliche Regelung zur Tarifeinheit. "Wir kommen sonst zu einer Zersplitterung der Tariflandschaft mit der Gefahr englischer Verhältnisse, die in den 60er und Anfang der 70er Jahre ganz entscheidend zur Deindustrialisierung dieses Landes beigetragen haben", warnte er am Donnerstag im dpa-Gespräch.
Auch DGB-Chef Michael Sommer machte sich schon vor dem Spruch des Bundesarbeitsgerichts für eine gesetzliche Regelung, einen "Stabilitätsanker" stark. "Was die Bürgerinnen und Bürger jetzt brauchen, sind Signale, dass nicht alles aus den Fugen gerät", begründete er die damals zusammen mit Hundt vorgelegte Gemeinschaftsinitiative zur Tarifeinheit.
Das Konzept sah vor, dass nur der jeweils größten Gewerkschaft in einem Betrieb das Recht zum Streik zusteht - eine Kampfansage an die Spartengewerkschaften. Diese sahen prompt das grundgesetzlich garantierte Recht der Koalitionsfreiheit verletzt, drohten mit Verfassungsklage.
Ein Jahr später war die ungewöhnliche Allianz von DGB und Arbeitgebern schon wieder zerbrochen.