Sachsen-Anhalts erster Ministerpräsident Hübener Ein liberaler Landeschef in der Sowjetzone
Erhard Hübener, Nachkriegs-Ministerpräsident in Sachsen-Anhalt, bewegte sich zwischen liberaler Prägung und russischer Besatzung. Enkelin Erika Brandorff erinnert sich an den Großvater.

Magdeburg/Wittenberg - Sie hat es getan: Im höheren Lebensalter ist Erika Brandorff von Schleswig-Holstein nach Wittenberg in Sachsen-Anhalt gezogen. In das deutsche Bundesland, wo sie 1947 geboren wurde, wo ihr Großvater Erhard Hübener erster Ministerpräsident nach dem Zweiten Weltkrieg war. In die Gegend, die der studierten Biologin Erika Brandorff all die Jahrzehnte der deutschen Teilung nie aus dem Kopf gegangen war.
An den Opa erinnert sie sich als durchaus respekteinflößenden Mann, der wenig Verbote aussprach. Hübener, Jahrgang 1881, entstammte einer Pfarrersfamilie in der Prignitz, wuchs mit sieben Geschwistern auf.
Er hatte eine enges Arbeitsverhältnis zu Gott.
Hübeners Enkelin Erika Brandorff
„Er hatte ein enges Arbeitsverhältnis zu Gott“, sagt Brandorff verschmitzt, „aber war dabei nicht frömmelnd“. Hübener hielt sich eher an die irdischen Tatsachen. Zunächst beim Studium von Staatswissenschaften und Geschichte, dann beim Wechsel zur Nationalökonomie.
Erhard Hübener machte Karriere in den Organen der Weimarer Republik, wurde 1924 Landeshauptmann der Provinz Sachsen (Vorläufer des Landes Sachsen-Anhalt) und war Mitglied der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei (DDP). Von den Nazis wurde Hübener, der auch als Autor und Wissenschaftler tätig war, 1933 zwangspensioniert.
Politische Lauterkeit und fachliche Eignung prädestinierten ihn für die amerikanische Besatzungsmacht zum Ministerpräsident en des neuen Landes Sachsen-Anhalt. Im Dezember 1946 wurde er ins Amt gewählt.
Inzwischen Mitglied der liberalen LDPD, war Hübener der einzige nichtkommunistische Regierungschef in der Sowjetischen Zone Deutschlands.
Die Sowjets stießen sich nicht daran. Wichtig war, dass der LDPD-Mann Hübener seine Arbeit vernünftig machte. Und das tat er. Er hatte zwar unter kommunistischer Beobachtung im Sinne der sowjetischen Besatzungsmacht zu wirken, war aber nicht unterwürfig. So setzte Hübener ent- gegen der Absicht der Russen Halle anstelle von Magdeburg als Landeshauptstadt durch.
Hübeners Verhältnis zu den Enteignungen als Vorboten des Sozialismus war schwierig. Obwohl er die Verordnung zur Bodenreform 1945 selbst unterschrieben hatte, wandte er sich später dagegen. Auch lehnte er eine undifferenzierte Entnazifizierung ab.
Er ist ein sehr tüchtiger Verwaltungsfachmann alter Schule.
Bernhard Koenen, Landeschef der SED,
1947 über Erhard HübenerDer SED-Landesvorsitzende Bernhard Koenen schrieb 1947 über Erhard Hübener: „Er ist ein sehr tüchtiger Verwaltungsfachmann alter Schule und hat gegenwärtig einige Schwierigkeiten, sich mit der stärkeren Kontrolle durch den Landtag abzufinden.“ Ein Zeugnis, das die Achtung des Andersdenkenden belegt.
Er sei ein Landesvater im wahrsten Sinne des Wortes gewesen, habe sie noch Jahre später erzählt bekommen, berichtet Enkelin Erika Brandorff: „Und keiner, der sich der Sowjetischen Militäradministration beugte.“ Das kostete den Mann von Mitte 60 gehörige Anstrengung.
Entspannung fand Hübener mit seiner Frau in ihrem Wernigeröder Haus. Drei Kinder hatten die beiden und acht Enkel, das garantierte Munterkeit im Familien-Umfeld. In den Ferien war Erika Brandorff oft zu Besuch bei den Großeltern. Wandern war dann angesagt durch die Harzwälder. „Und wie stolz waren wir bei der Rückkehr mit unseren Körben voller Pilze“, berichtet die 75-Jährige. „Fand man einen Steinpilz, durfte man wählen zwischen einem Kuss von ihm oder einer Tafel Schokolade. Gott sei dank hatten wir schnell raus, dass, fiel die Wahl auf Kuss, es trotzdem eine Schokolade gab.“
Im Amt begrüßte Hübener die wirtschaftliche Demonopolisierung und eine Nationalisierung der Schwerindustrie. Dennoch war er grundsätzlich Anhänger der Privatwirtschaft. Beim Streit um den Zweijahresplan 1949/50 in der Ostzone kam es auch zur Auseinandersetzung zwischen der SED und den Blockparteien. Befrieden konnte erst eine Order Stalins, der den Aufbau einer Volksdemokratie verlangsamen wollte.
Ministerpräsident Hübener meinte, „dass bei gleicher volkswirtschaftlicher Bedeutung keinerlei Unterschied zwischen den volkseigenen und den privaten Betrieben gemacht werden darf.“ Das blieb in der Sowjetzone ein frommer Wunsch.

Nach einer ersten Rücktrittsdrohung bereits im Jahr 1947, verfestigte sich bei dem glühenden Anhänger der deutschen Einheit der Wunsch, das Amt des Ministerpräsidenten aufzugeben. Im Frühjahr 1948 bildete die Berlin-Krise den ersten Höhepunkt des Kalten Krieges. Hübener pochte weiter auf die Einheit und protestierte gegen die Währungsreform nur in den Westzonen. Doch glaubte er wie viele Liberale, dass der Westen den Osten abgeschrieben habe.
Die Rückzugsabsichten verfestigten sich. Erst wollte Hübener Ende 1948 das Amt aufgeben, dann Anfang 1949, tat es aber nicht. Der Ministerpräsident schlug schließlich im Sommer 1949 eine klare Richtung ein. „Wegen Arbeitsüberlastung und vorgerückten Alters“ reichte er im Juli 1949 seinen Rücktritt bei der Sowjetischen Militäradministration (SMA) ein. Wie seine Enkelin Erika Brandorff meint, waren die verlorene Hoffnung auf eine baldige Wiedervereinigung und die zunehmende Reglementierung ausschlaggebend.
Er hat uns ernst genommen, als ebenbürtige Partner.
Enkelin Erika Brandorff
Bis zu seinem Tod 1958 lehrte Hübener Verwaltungswissenschaft in Halle. Er starb zwar nach einer Kur in Bielefeld, siedelte aber nie in den Westen über.
Und hatte Zeit für die Enkel. Er habe Dame und Mühle gespielt mit ihnen und sie nicht einfach gewinnen lassen, sagt Erika Brandorff. „Er hat uns ernst genommen, als ebenbürtige Partner.“