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Schafhaltung Schäfer in Sachsen-Anhalt erleben harte Zeiten

Schafe sind für die Landschaftspflege nicht wegzudenken. Trotzdem sinkt ihre Zahl in Sachsen-Anhalt kontinuierlich. Für ihre Halter lohnt sich das Geschäft kaum noch.

Von Antonius Wollmann 29.03.2024, 16:42
Dirk Strathausen  (links)  und  sein Sohn Anton halten mehr 400 Schafe in der Altmark.
Dirk Strathausen (links) und sein Sohn Anton halten mehr 400 Schafe in der Altmark. Foto:Antonius Wollmann

Kloster Neuendorf. - Dirk Strathausen weiß genau, warum er es bisher nicht eine Sekunde bereut hat, vor 34 Jahren den Beruf des Schäfers gelernt zu haben. „Ich bin jeden Tag draußen in der Natur, ich habe gerne mit den Tieren zu tun. In einem Büro oder einer Fabrik zu arbeiten, kommt für mich nicht in Frage“, sagt der 49-Jährige. Eben hat er seinen Geländewagen über einen Feldweg am Rande seines Heimatortes Kloster Neuendorf (Altmarkkreis Salzwedel) zur Weide gesteuert. Nun schaut er, ob mit seinen Tieren alles in Ordnung ist. 430 Mutterschafe hält der Altmärker hier, unter ihnen tummeln sich zahlreiche Lämmer. In einigen Tagen werden sie auf einen Lkw verladen und nach Werben an die Elbe gebracht. Sie sorgen dort bis Oktober für die Deichpflege.

Dabei gehört Dirk Strathausen fast schon zu einer aussterbenden Art. Seit Jahren geht die Zahl der Schäfer in Sachsen-Anhalt zurück. Gab es nach Angaben des Statistischen Landesamtes im Jahre 2010 noch 424 Schafe haltende Betriebe, waren es im vergangenen Jahr 234. Parallel dazu sank die Zahl der Tiere von 103.421 auf 60.100. Ändern wird sich daran nichts. Stattdessen wird sich diese Entwicklung in den nächsten fünf bis zehn Jahren noch mal beschleunigen, ist sich Strathausen sicher. „Mit meinen 49 Jahren bin ich ja fast noch ein Jungspund unter meinen Berufskollegen“, scherzt er. Doch so richtig lachen kann er über den Witz eigentlich nicht.

Doch woran liegt der Schwund? Anruf bei Christoph-Johannes Ingelmann, dem Geschäftsführer des Landesschafszuchtverbands Sachsen-Anhalt. „Der Rückgang hat natürlich demografische Gründe. Viele Kollegen sind in den vergangenen Jahren in den Ruhestand gegangen“, sagt Ingelmann. Gleichzeitig entschieden sich viel zu wenige Berufsanfänger für eine Ausbildung zum Schäfer. „Eigentlich bräuchten wir das Zehnfache an Anfangsklassen, um die Lücke zu schließen“, sagt der Verbandsgeschäftsführer. Aber es mangele dem Beruf insgesamt an Attraktivität. „In anderen Bereichen lässt sich sicherlich mehr Geld verdienen“, so Ingelmann. Zumal der zeitliche Aufwand im Verhältnis zum Einkommen sehr groß sei.

Das kann Dirk Strathausen nur bestätigen. Seine Einkünfte generiere er zum überwiegenden Teil aus der Deichpflege. Zuletzt sei der Verkauf von Lammfleisch außerdem relativ einträglich gewesen. Darüber hinaus werde es schwierig. „Für meine Wolle kriege ich kaum noch Geld. Da gibt es keinen Markt mehr“, sagt der Schäfer. Die Industrie setze auf Kunstfasern, mit der Konkurrenz aus beispielsweise Australien könne er nicht mithalten. „Dort regnet es viel weniger, deshalb hat die Wolle eine Qualität, die man in Europa nicht erreicht“, sagt Strathausen.

Außerdem machten zwei weitere Faktoren den Schäfern das Leben schwer: Der Wolf und die Bürokratie. Im Falle des Kloster Neuendorfers ist die Wirkung des Raubtiers vor allem eine psychologische. Die Vorfälle haben sich bei ihm bisher in Grenzen gehalten, obwohl es in der Umgebung viele Wölfe gibt. Da habe sich die vom Land geförderte Anschaffung der Schutzzäune und der Hütehunde ein Stück weit gelohnt, sagt der Schäfer. „Trotzdem komme ich immer mit einem mulmigen Gefühl zur Weide. Man weiß ja nie, was in der Nacht passiert ist“, sagt er.

Weil die Hütehunde nur ihn und seine engsten Familienmitglieder akzeptieren, sei es schwierig, andere Menschen mit der Betreuung der Schafe zu beauftragen. Die Folge: Mal ein paar Tage frei zu machen, ist fast nicht drin. So lange er an der frischen Luft sei, mache ihm das aber nicht so viel aus. Vielmehr nerve der Papierkram, der immer mehr werde. „Die Nachweispflichten nehmen extrem viel Zeit in Anspruch. Dazu gibt es viel öfter Kontrollen als früher“, so Dirk Strathausen. Gut 30 Prozent seiner Arbeitszeit gehe mittlerweile dafür drauf. So sehr er seinen Beruf auch liebe, könne er es durchaus verstehen, dass viele diesen nicht mehr lernen wollen.

Indes könnten die Folgen gravierend sein. „Schafhaltung hat eine große Bedeutung für die Beweidung von wenig gedüngten Grünlandflächen. Insbesondere in diversen Arten von Schutzgebieten“, schätzt ein Sprecher des Landesbauernverbandes ein. Entlang der Elbe würden Schafe eine wichtige Position beim Hochwasserschutz einnehmen. „Die Beweidung mit Schafen auf Deichen sorgt dafür, dass die Grasnarbe fest ist“, sagt der Verbandssprecher. Davon abgesehen sei die Schäferei ein Kulturgut, das bewahrt werden müsse.

„Es ist der älteste Beruf der Welt. Es wäre tragisch, wenn er aussterben würde“, sagt auch Dirk Strathausen. Aber zumindest hat der die berechtigte Hoffnung, dass es in Kloster Neuendorf noch ein bisschen weitergeht. Sein Sohn Anton steigt nämlich langsam ins Tagesgeschäft ein. Eigenverantwortlich betreut er bereits einige Tiere. Das Ganze irgendwann hauptberuflich zu machen, kommt für den 13-Jährigen auf jeden Fall in Frage.