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Halberstädter Betrieb hat noch immer Finanzlast einer zwölf Jahre rückwirkenden Gebührenerhöhung zu tragen. Von Tom Koch Schlachthof: Ein Mann kämpft gegen die Politik

27.06.2012, 03:18

Vor 20 Jahren ist der Schlachthof in Halberstadt privatisiert worden. Harald Hausmann, seinerzeit dort als Tierarzt tätig, hat den Betrieb von der Treuhand gekauft. Blickt er zurück, so spricht er über Politik, Probleme, Prozesse und stolz davon, dass es seinen Betrieb noch immer gibt.

Halberstadt l Nein, verbittert ist er nicht, beteuert der 71-Jährige Harald Hausmann. Vielmehr, so der Inhaber des Halberstädter Schlachthofs, sei er stolz auf das Erreichte. Den 20.Firmengeburstag des Schlachthofs hat er gefeiert. Vor wenigen Tagen. Ein Abendessen im ganz kleinen Kreis mit Kollegen. Ohne Politiker, kein Pressetermin.

Eine gehörige Portion Ärger bewegt ihn, das ist seinen Worten zu entnehmen. So sehr, dass der Geschäftsmann sagt, Anwälte des Fleischerfachverbands in Heidelberg würden an einem Rettungsschirm nähen. Für den 1992 von der Treuhand gekauften Schlachthof im Harzvorland. Sie haben Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingelegt. Nun heiße es abwarten, ob sie angenommen werde, sagt Hausmann.

Gestritten wird - das wird niemanden verwundern - ums Geld. Im konkreten Fall um eine besondere Finanzspezies, um Gebühren. Der Schlachthof Halberstadt und der schier endlose Streit um die Höhe von Fleischbeschaugebühren gehören anscheinend so zusammen, so wie das seit Jahrzehnten in Ostdeutschland gleichermaßen beliebte wie unverwüstliche Sangesduo Monika Hauff und Klaus-Dieter Henkler.

"Ginge es nach der Mehrzahl der Politiker in Kreis und Land, dann gäbe es unsere Unternehmensgruppe schon lange nicht mehr", grantelt der promovierte Tierarzt. Selbst im Magdeburger Landtag gab es nicht nur einmal kontroverse Debatten, die allein seinen kleinen Schlachtbetrieb betrafen.

Streitthema damals wie heute sind die Gebühren für die vorgeschriebene Fleischbeschauung der geschlachteten Tiere. Amtstierärzte in den Diensten der Kreisverwaltung in Halberstadt übernehmen diese gesetzlich geforderte Kontrolle. Ein Beitrag des Staates für ein Mehr an Verbraucherschutz in Zeiten, da Meldungen von dioxinbelasteten Hühnereiern oder vergiftetem Tierfutter immer wieder die Zeitungsseiten füllen.

In Halberstadt werden täglich bis zu 900Schweine geschlachtet. Tiere, die binnen 130Lebenstagen auf ein Schlachtgewicht von 130Kilogramm gemästet werden. Mit 40Beschäftigten hat Hausmann die Firma gekauft, die 1890 als städtischer Schlachthof gegründet worden ist. Inzwischen gibt es einen Firmenverbund aus Schweinezucht und -mast, den Schlachthof und Verkaufsstellen vor allem in der Region - alles in allem Arbeitsplätze für 220 Frauen und Männer. "Und wir schreiben schwarze Zahlen", berichtet der Inhaber durchaus mit einer Spur von Stolz.

Harald Hausmann beteuert, auch er sei ein Befürworter unabhängiger Kontrollen. Der Verbraucher, seine Kunden hätten ein Recht darauf, nur Gesundes, also beste Waren zu kaufen. Was den Geschäftsmann allerdings erzürnt, ist ein Preiskrieg. Seit 1997 tobt dieser zwischen seinem Schlachthof und dem Landratsamt. Die Fleischbeschaugebühr hat in manchen Jahren 5,67Euro pro Schwein betragen. Mehr als viermal so hoch wie eine EU-Richtlinie, die europaweit eine Mindestgebühr von 1,30Euro vorsieht. Die Halberstädter Behörde argumentierte ihrerseits, nur mit 5,67Euro könne sie kostendeckend den Schlachthof kontrollieren.

Und gefochten wird durchaus mit harten Bandagen. Es gibt viele Dutzend Widersprüche und mehrere Klagen des Betriebes gegen Gebührenbescheide bis hin zum Bundesverwaltungsgericht. Die Behörde reagiert darauf mit der Androhung von Vollstreckungen. Immerhin geht es um viel Geld, aktuell noch immer um rund 2,2Millionen Euro, so Schlachthof-Inhaber. Seit 1997, damals hatten die Halberstädter erstmals von der EU-Gebühr über 1,30Euro erfahren, haben sie an die Kreiskasse auch nur diesen Betrag überwiesen. Sie fühlten sich nicht nur moralisch im Recht, auch juristisch auf der sicheren Seite. Hatte doch selbst das Leipziger Bundesverwaltungsgericht ihre Auffassung geteilt.

Doch habe er die Rechnung ohne die Politik gemacht, beklagt Hausmann noch heute. Aus Sorge, seinen Kreis von einer Millionenschweren Schadensersatzklage des Schlachthofs bedroht zu sehen, wandte sich seinerzeit Halberstadts parteiloser Landrat Henning Rühe an die Landespolitik. Rühe, der eine Nähe zur FDP pflegt, hatte Erfolg. Der Liberale Gerry Kley war damals als Sozialminister für den Verbraucherschutz zuständig, damit auch für die Erarbeitung eines "Gesetzes zur Ausführung fleisch- und geflügelfleischhygienischer Vorschriften".

Die von CDU und FDP getragene Regierungskoalition stimmte diesem Gesetz 2004 zu - mit weitreichenden Folgen: Nicht nur, dass die Kontrollen der Amtstierärzte mit bis zu 5,67Euro pro Schwein berechnet werden durften, der Schlachthof musste diese Gebühren rückwirkend ab 1997 an die Kreiskasse überweisen.

Hat es solche politischen Ränkespiele tatsächlich gegeben? Weder Ex-Landrat Rühe noch Ex-Minister Kley wollen sich gegenüber der Volksstimme erklären, Nachfragen bleiben unbeantwortet. Ohnehin tut sich die politische Kaste im Land schwer, 20Jahre privatisierter Schlachthof und den Endlos-Gebührenzoff zu bewerten. Anfragen werden höflich, aber bestimmt mit dem Hinweis zurückgewiesen, aktuell gebe es keinen Erklärungsbedarf. Genauso wenig mag sich der Harzer Landrat Michael Ermrich (CDU) äußern, der diesen Knatsch mit der Kreisgebietsreform von den Halberstädtern geerbt hat.

Daher lohnt ein Blick in die Landtagsprotokolle. 2007 hatte die EU eine neue Verordnung verabschiedet, somit wurden die Fleischbeschaugebühren nur drei Jahre später erneut ein Thema in Magdeburg. Die Front im Landtag verlief eindeutig: Politiker von CDU und FDP wie Bernhard Daldrup und Lydia Hüskens hielten dem kleinen Schlachtbetrieb vor, er würde nicht effektiv genug arbeiten. Nur darum sei die Arbeit der Kontrolleure in Halberstadt auch so teuer. Der Blick zum Großschlachtbetrieb in Weißenfels zeige, moderne Technologie erlaube sogar Gebühren von nur 1,28Euro pro Schwein. Auch SPD-Sozialministerin Gerlinde Kuppe erklärte als Juniorpartner in der Böhmer-Regierung, Verbraucherschutz sei nun mal nicht zum Nulltarif zu haben. Betriebskosten der Fleischbeschau dürften nicht der Bevölkerung zugemutet werden, dafür müsse das Unternehmen einstehen.

Einzig die PDS argumentierte engagiert und ausgiebig im Sinne der Halberstädter Firma - immer mit dem Hinweis: Dem kleinen Betrieb mit damals 180Beschäftigten drohe womöglich das finanzielle Aus. Der Streit wurde so intensiv geführt, dass sich der heutige CDU-Landtagspräsident Detlef Gürth zum Zwischenruf verstieg, er wundere sich über die Genossen ob "ihrer erstaunlichen Leidenschaft für einen kapitalistischen Betrieb".

Der Linke-Landtagsabgeordnete Hans-Jörg Krause bekräftigt gegenüber der Volksstimme seine damalige Auffassung. CDU und FDP hätten wirtschaftsfeindlich agiert, das Aus eines regionalen Schlachtbetriebes riskiert. Um den Preis, dass es den Weißenfelser Schlachthof dann als einzigen in Sachsen-Anhalt gegeben hätte. Der Agrarexperte seiner Partei nennt eine weitere Kritik: "In dieser Auseinandersetzung sind Vernunft und das Ansehen der Politik auf der Strecke geblieben." Umso mehr zeigt sich Krause froh darüber, dass es den Schlachthof in Halberstadt noch immer gibt." Gleichwohl dieser "wegen der politischen Fehleinschätzung bis heute schwer an der finanziellen Last zu tragen" habe.

Wer allerdings glaubt, der skurrile Gebührenstreit sei eine Besonderheit in Sachsen-Anhalt, der irrt. Gerichte von Hessen bis Rheinland-Pfalz, in Baden-Württemberg und in Schleswig-Holstein hatten damit in den vergangenen Jahren reichlich zu tun. Ein Streitpunkt war stets die Frage, ob die Gebühren viele Jahre rückwirkend erhoben werden dürfen.

Ungeachtet dieser bewegten Zeiten in 20Jahren privatisierter Schlachthof in Halberstadt kann Geschäftsführer Dennis Looff einschätzen: "Das Klima hat sich deutlich verbessert.

Aus dem Gegeneinander ist ein Miteinander mit dem Kreis-Veterinäramt geworden." Mit dem Erfolg, dass die aktuelle Fleischbeschaugebühr 3,90Euro beträgt. Der gemeinsame Wille sei - auch durch Veränderungen im Arbeitsablauf des Schlachtbetriebes - diese bis auf 3Euro zu senken. Die Kreisverwaltung in Halberstadt kam ihrerseits dem Unternehmen in den vergangenen Jahren auch mit Hilfe von Zahlungsaufschüben und Ratenzahlungen entgegen.

Dessen ungeachtet will Harald Hausmann von den europäischen Richtern in Straßburg erfahren, ob seinem Betrieb juristisches Unrecht geschehen sei. Dass die deutlich höhere Fleischbeschaugebühr zwölf Jahre rückwirkend gelten soll, damit will und kann er sich nicht abfinden. Der 71-Jährige: "Ich weiß aber auch, wer nass wird, wenn man Wasser nach oben gießt..."