Lokführer Roger Zilling ist seit Gründung des Harzer Eisenbahnunternehmens dabei. Schmalspurbahner: Seit 20 Jahren unter Dampf
Keiner hat ein größeres Schmalspurstreckennetz, keiner hat mehr Brücken
und keiner hat mehr Dampflokomotiven als die Harzer Schmalspurbah-nen.
Vor 20 Jahren haben sie ihren Betrieb aufgenommen. Gestern wurde der
22.222.222. Fahrgast begrüßt. Im Führerhaus der Dampflok stand einer,
der von Anfang an dabei ist: Roger Zilling.
Wernigerode l Ruß auf der Kaffeekanne, Ruß auf dem Toilettendeckel, Ruß auf der verschwitzten Stirn - wo eine Dampflok in der Nähe ist, bleibt nichts weiß. "Das will man, da gewöhnt man sich dran", sagt Lokführer Roger Zilling. Seit 34 Jahren atmet er den Dampf. Erst als Lokschlosser, dann als Heizer und schließlich als Lokführer. Er kann Straßenbahn, Diesellok und Triebwagen fahren. Wenn er wählen müsste? "Dann bin ich hier goldrichtig." Zilling steht im Führerhaus der Dampflok mit der Nummer 99 222. Das Modell war Vorbild für die 24 weiteren Dampflokomotiven der Harzer Schmalspurbahnen (HSB).
Es ist dieselbe Lok, die damals frontal mit einer anderen Dampflok zusammenkrachte. Das war im Jahr 1994. Nur eineinhalb Jahre, nachdem die HSB ihren Betrieb aufnimmt. Im Februar 1993 übernimmt die HSB die Harzquer-, Selketal- und Brockenbahn. Damit wird sie die erste nichtbundeseigene Eisenbahn in den neuen Bundesländern.
"Erst ging es über Funk, heute über Signale."
Gerade erst sind die Schäden an den Gleisen nach der großen Regenflut 1994 behoben, kommt es im Thumkuhlental zu dem Zugunglück. Roger Zilling führte die 99 222. Er kann sich an nichts mehr erinnern. Gar nichts. "Ich habe oben angeklopft", sagt der 50-Jährige. Heute huscht Zilling bei diesem Satz ein Schmunzeln über die Lippen. Für ihn war sofort klar, dass er zurück auf die Lok geht. Das ist alles, was er will - seit er als kleiner Junge täglich die Dampfloks beobachtete. Er kommt aus Wernigerode, ist mit dem weißen Rauch groß geworden und wusste immer: "Das will ich mal machen."
Heute macht er es. Mal sechs Stunden, mal zwölf Stunden am Tag. Er ist der Erste in der Familie. Und vorerst wohl auch der Letzte: "Meine Kinder interessieren sich für ganz andere Dinge." Schwungvoll öffnet Zilling die Feuertür, sein Heizer schippt Kohle nach. Die Lok ist startklar. "Signal ist da, wir können los", ruft Heizer Marcel Berg. Nach dem Unfall wurde das 140 Kilometer lange Streckennetz mit modernster Signaltechnik ausgestattet. "Früher ging alles über Funk", erinnert sich Zilling.
Lautes Zischen, weißer Nebel zieht ins Führerhaus. Abschlammen nennen das die Profis. Das Kesselwasser braucht eine bestimmte Dichte, was sich mit Hilfe von Chemikalien ablagert, wird durch ein Ventil in regelmäßigen Abständen rausgedrückt.
Die Lok setzt sich in Bewegung. "Tsch, tsch, tsch." Roger Zilling winkt wild in Richtung Lokleitung. Die Signale gibt heute seine Frau. Manchmal sitzt auf dieser Position auch Zilling selbst. Er war überall mal eingesetzt, kennt alle Bahnhöfe, alle Lokomotiven.
Der Harzer war dabei, als genau heute vor 30 Jahren die Verbindung der Selketalbahn zur Harzquer- und Brockenbahn zwischen Straßberg und Stiege nach 37-jähriger Unterbrechung wieder hergestellt wurde. Als 1991 der Zugverkehr zwischen Schierke und dem Brocken wieder aufgenommen wurde. Als 2006 die ersten Fahrgäste direkt von Quedlinburg auf den Brocken fahren konnten.
Und natürlich war er auch gestern dabei, als die HSB mit Nicole Model ihren 22.222.222. Fahrgast begrüßen konnte. Die Magdeburgerin war unterwegs mit ihrem Sohn Oskar. "Tuuuut tuuut", beherrscht der Fünfjährige jetzt den Signalton sicher.
"Dampflok fahren ist eine Lebenseinstellung."
Will Oskar auch Lokführer werden, sollte er wissen: "Den Job kann man nur mit einem Partner machen, der das versteht." Das ist eine Lebenseinstellung, erklärt Zilling. Sogar im Urlaub steht er im Führerhaus. "In der Schweiz gibt es tolle Loks, ich habe dort Freunde, die mich fahren lassen."
Jedoch gerade ist er unterwegs in Richtung Brockenspitze. Der Zug ist angekoppelt - alles Handarbeit. "Manchmal ist es ein Knüppeljob, aber das haben wir uns so ausgesucht", so der Lokführer. Es regnet, vor Orkanböen wird gewarnt. Lautes Tuten. Lautes Pfeifen. Ein Auto nähert sich den Schienen. Nicht überall an den Gleisen gibt es Schranken. "Gerne mal stehen auch Wanderer oder Fotografen im Weg", sagt Zilling. Angst bekommt der 50-Jährige dann nicht - er hupt sie alle pünktlich aus dem Weg.
Kurz vor dem Bahnhof in Drei Annen Hohne: Das Signal schaltet auf Rot. Zilling funkt: "Beeilung bitte." Bei diesem feuchten Wetter würde er lieber nicht bergauf anhalten. Das Anfahren mit 130 Tonnen im Gepäck sei dann eine ganz besondere Herausforderung. Doch dieser muss er sich wohl auch heute stellen. Der Heizer der Dampflok im Bahnhof braucht noch Zeit, um das Wasser in dem Kessel aufzufüllen. Auch gut. Das heißt Durchatmen für das Team Zilling-Berg. Zeit, um das Mittagessen vorzubereiten. Eine Dose mit Tomatencremesuppe und eine mit Ragout fin stehen jetzt auf der Feuertür. "Bis wir auf dem Brocken ankommen, ist das Essen warm", sagt Berg.