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Schulunterricht Kampf gegen das Vergessen

Um das Wissen über die DDR-Geschichte am Leben zu halten, soll es in Prüfungen in den Schulen das Pflichtthema Nachkriegsgeschichte geben.

Von Steffen Honig 13.06.2018, 01:01

Magdeburg l Sprachwissenschaftlerin Anna Kaminsky hat über die Aufbereitung der Nachkriegsgeschichte an Schulen gesprochen. Sie leitet die Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur in Berlin.

Frau Kaminsky, Sie beklagen, dass Lehre und Forschung zur DDR zurückgehen und die Geschichtskenntnisse über Demokratie und Diktatur erschreckend sind. Wie kann man dem begegnen?
Anna Kaminsky:
In den vergangenen Jahren hat sich in den Schulen einiges getan, die DDR-Geschichte hat in den Lehrplänen aller Bundesländer Platz gefunden. Wir treten weiterhin dafür ein, dass die deutsche Nachkriegsgeschichte Pflichtthema in den Abschlussprüfungen wird. Nur dann, so unsere Erfahrung, wird dieser für das Verständnis heutiger Entwicklungen grundlegende Teil unserer Geschichte auch im Unterricht behandelt. Umfrageergebnisse zeigen immer wieder, dass das Interesse der nach 1990 Geborenen an der jüngsten Geschichte hoch ist. Hier gilt es also, entsprechende Angebote zu machen.

Sie haben einen Uni-Lehrstuhl für DDR-Geschichte gefordert. Hat sich hier etwas bewegt?
Meine Forderung ging dahin, die Geschichte der Diktatur in SBZ und DDR und der deutschen Teilung im europäischen Kontext stärker in Lehre und Forschung der Universitäten zu verankern. Ein eigener Lehrstuhl könnte hier Wertvolles leisten, die Einrichtung wäre aber Sache der Länder. Im Vordergrund steht, dass das Thema an Schulen und Universitäten selbstverständlich behandelt wird. Eine stiefmütterliche Behandlung der kommunistischen Diktaturen an den Hochschulen droht noch größere Löcher in die Bildungslandschaft zu reißen, denn dort werden die Lehrerinnen und Lehrer von morgen ausgebildet. Die Beschäftigung mit der kommunistischen Diktatur muss ein selbstverständlicher Teil von Bildung, Lehre und Forschung sein.

Ein Grund für abnehmendes Interesse mag der politische Wandel im Land sein, die Flüchtlingsfrage spaltet das Land. Wie reagiert die Stiftung, die auf die Erinnerungskultur konzentriert ist, auf diese Entwicklung?
Von abnehmendem Interesse kann man aus meiner Sicht nicht sprechen, es gibt immer wieder neue Fragen, neue Themen. Dabei werden Erfahrungen aus der Vergangenheit mit heutigen Entwicklungen abgeglichen, nach Parallelen oder auch Unterschieden gesucht. Natürlich haben wir das auch in Bezug auf Flucht und Asyl gemerkt und entsprechende Angebote gemacht. Das Thema Flucht stellen wir in seinen historischen Zusammenhang: Aus der DDR sind ab 1949 fast vier Millionen Menschen geflohen, die meisten aus politischen Gründen. Was veranlasst Menschen, ihre Heimat aufzugeben? Was hoffen sie zu finden? Wie werden sie aufgenommen? Hierzu bieten wir etwa Zeitzeugengespräche mit Menschen an, die vor 1989 in den Westen geflohen sind. Hinzu kommt, dass viele Menschen, die zu uns gekommen sind, selbst aus Ländern mit diktatorischer Vergangenheit stammen. Die Auseinandersetzung mit Diktaturen, aber auch mit der Transformation nach 1989/90, kann dazu beitragen, Verständnis zu wecken, aber auch die Integration fördern.

Es gibt den staatlichen Bundesbeauftragten und die Länderverantwortlichen für die Aufarbeitung von Stasi- und DDR-Vergangenheit. Wie steht es um die Kooperation zwischen diesen und der Stiftung?
Um Fragen der Aufarbeitung kümmern sich mittlerweile verschiedene Institutionen und staatliche Akteure. So hat der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR die Aufgabe, die Stasi-Akten zu erhalten und zu erschließen sowie die Öffentlichkeit über das Wirken der Stasi und die Folgen aufzuklären. Die unterschiedlichen Aufträge ergänzen sich also gut, dort das Themenfeld DDR-Staatssicherheit, bei uns die umfassende Auseinandersetzung mit Ursachen, Geschichte und Folgen der Diktatur in SBZ und DDR auch im internationalen Kontext.

Die Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, die ja entgegen ihrem Namen niemals Stasi-Unterlagen hatten, haben in den vergangenen Jahren oftmals ihre Bezeichnungen dem eigentlichen Aufgabenfeld angepasst. Sie beraten und betreuen Opfer und Betroffene von politischer Verfolgung und leisten Bildungsarbeit. Mit dem Bundes- und den Landesbeauftragten pflegen wir einen sehr intensiven Austausch, es gibt regelmäßige Treffen und verschiedene Kooperationen. Darüber hinaus arbeiten wir mit vielen anderen Institutionen kollegial zusammen, etwa mit der Bundeszentrale und den Landeszentralen für politische Bildung, mit Vereinen, Gedenkstätten und Bildungsträgern.

Die Stiftung ist bei den Veranstaltungen stark auf Berlin fokussiert. Wie beziehen Sie die Bundesländer ein, was kann hier besser werden?
Wir haben unseren Sitz in Berlin und keine Außenstellen, die umfassende Aktivitäten in anderen Regionen organisieren könnten. Das heißt aber nicht, dass wir nur in Berlin tätig sind.

Nehmen Sie etwa unsere jährliche Geschichtsmesse in Suhl, zu der jährlich über 350 Vertreter von unterschiedlichsten Institutionen aus dem In- und Ausland anreisen. Für Interessierte außerhalb Berlins stellen wir außerdem unsere Veranstaltungen als Podcasts ins Internet. Viel wichtiger ist aber, dass wir als Förderpartner von rund 150 Projekten pro Jahr im gesamten Bundesgebiet vertreten sind, auch wenn wir nicht immer als Veranstalter auftreten. Sehr weit verbreitet sind auch unsere Ausstellungen, die jedes Jahr in einer Auflage von 2000 Plakatsätzen im ganzen Land gezeigt werden. Aktuell ist „Voll der Osten. Leben in der DDR" ein riesiger Erfolg, erfreulicherweise in Ost und West.