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Schule Seiteneinstieg nur Seifenblase?

In Sachsen-Anhalt soll an Schulen Seiteneinsteigern das Referendariat ermöglicht werden. Die Pläne sind umstritten.

Von Alexander Walter 04.10.2017, 01:01

Magdeburg l Kaum da, stand er schon vor der Klasse. Seine Schule empfing M. Müller (Name geändert) mit Kusshand. Der Musikwissenschaftler wurde dringend gebraucht. Schon bald musste er voll unterrichten. Hinzu kamen Klassenleitung, Elterngespräche und Chor. All das zunächst ohne methodische Unterstützung, sagt er. Trotz gleicher Anforderungen wird Müller schlechter bezahlt als „echte“ Lehrer. Wie ihm geht es manchem im Land.

Müller ist einer von derzeit 48 Seiteneinsteigern in Sachsen-Anhalt. Das heißt: Er ist Hochschulabsolvent im Lehrerberuf ohne anerkannt gleichwertige Ausbildung.

Seit kurzem nimmt Müller zwar an Weiterbildungen teil, Aussicht auf einen gleichwertigen Abschluss hat er damit aber nicht. „Die Maßnahmen dienen der Unterstützung der Kollegen. Sie führen nicht zu einem Lehramtsabschluss“, heißt es in der aktuellen Regelung.

Minister Marco Tullner (CDU) will das nun mit einer Schulgesetzreform ändern. Auch Seiten- und Quereinsteiger (siehe Infokasten) sollen künftig ein Referendariat abschließen können. Hauptgrund für die Reform ist der Lehrermangel. Vor allem in Mangelfächern wie Musik oder Mathe rechnet das Land mit einem steigenden Bedarf an Seiten- und Quereinsteigern. Die Idee: Die Schulen bekommen durch die Neuregelung deutlich mehr Lehrer, Bewerber wie Martin Müller erhalten bessere Perspektiven. – Vorteile also für alle Beteiligten.

Für Bildungspolitiker Thomas Lippmann (Die Linke) haben die Pläne allerdings einen entscheidenden Schwachpunkt: Um das Referendariat absolvieren zu können, müssen Bewerber zwei Fächer vorweisen, sagt er. Das aber könne nur rund jeder siebte der zuletzt eingestellten Seiteneinsteiger. Lippmann fordert, das Referendariat auch für Ein-Fach-Absolventen zu öffnen. „Leuten mit Mangelfächern muss man Perspektiven anbieten“, sagt er. Geschehe das nicht, lasse sich der Lehrermangel nicht bekämpfen. „Eine solche Reform wäre eine Seifenblase“, sagt er. „Sie hätte ihr Ziel verfehlt.“

Zustimmung erhält er auch aus der Koalition. „Wir suchen händeringend nach Lösungen, um mehr Lehrer ins System zu bekommen“, sagt Wolfgang Aldag, Bildungsexperte der Grünen. Auch seine Fraktion plädiere dafür, den Vorbereitungsdienst für Ein-Fach-Absolventen zu öffnen. Ganz so einfach ist das offenbar aber nicht. Für den Lehramtsabschluss gelten bundesweite Standards. Die Kultusminister haben sich darauf geeinigt. Dazu gehört der Nachweis von zwei Fächern, sagt Ministeriumssprecher Stefan Thurmann. Das sei auch sinnvoll, ergänzt der Sprecher. Es gehe um die Qualität von Lehrerausbildung und Unterricht. Seiteneinsteiger mit nur einem Fach sollen zudem die Möglichkeit erhalten, das fehlende Zweitfach nachzustudieren. Damit könnten sie anschließend ins Referendariat einsteigen.

Dass Nachstudieren kein Allheilmittel ist, zeigt ein Blick nach Sachsen. Dort wird die Regelung praktiziert. Tatsächlich gebe es „dramatische Probleme“, sagt GEW-Sprecher Jürgen Tamm. „Viele schaffen das bei voller Stundenzahl nicht.“

Auch M. Müller ist nach einem Jahr Dienst frustriert. „Die Devise heißt, Hauptsache unterrichten, Unterstützung gibt es kaum“, beklagt er. Müller hofft, dass er das Referendariat nachholen kann – trotz seiner Ausbildung nur im Fach Musik. „Ich mache doch die gleiche Arbeit wie alle, das wäre nur gerecht.“

Gesprächsbedarf beim Schulgesetz gibt es auch in weiteren Punkten. Am 19. Oktober will die Kenia-Koalition den Entwurf in einer Klausurtagung beraten. Am 26./27. Oktober soll das Gesetz danach in den Landtag gehen.