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Hettstedt will jugendfreundlichste Stadt Sachsen-Anhalts werden Schüler sagen Kommunalpolitikern, wo\'s langgeht

15.04.2013, 04:53

Hettstedt l Die Menschen werden weniger und älter. Viele Gemeinden bereiten sich auf den demografischen Wandel vor. In Hettstedt wird aber nicht nur an die älteren Generationen gedacht. Dort stehen die Wünsche des Nachwuchses im Mittelpunkt - in der Hoffnung, so die Abwanderung zu stoppen.

Danny Kavalier ist ein mutiger Mann. Als der 34-Jährige im vergangenen Jahr Bürgermeister in Hettstedt wurde, hat er ein ehrgeiziges Ziel ausgegeben: Seine Stadt soll die kinder- und jugendfreundlichste in Sachsen-Anhalt werden. Theoretisch ein schöner Traum. Doch alles andere als einfach zu erreichen. Denn Hettstedt liegt in dem Landkreis, der bis zum Jahr 2025 die meisten Einwohner in Sachsen-Anhalt verlieren wird. Um mehr als ein Viertel werden die Bevölkerungszahlen in Mansfeld-Südharz schrumpfen. Besonders die jüngeren Generationen wandern ab.

"Assistadt" wird Hettstedt unter einheimischen Jugendlichen genannt - weil im Ort selten etwas los ist. Der Bürgermeister hat Verständnis für den Unmut. "Sie und ihre Interessen sind von der Kommunalpolitik lange vernachlässigt worden", sagt Danny Kavalier (CDU). Das will er ändern. "Denn wenn wir den demografischen Wandel in unserer Stadt meistern wollen, brauchen wir dafür alle Generationen", sagt der Bürgermeister.

Die Stadt hat ihrem Nachwuchs deshalb eine Stimme verliehen: Seit Oktober gibt es ein Kinder- und Jugendparlament. Einmal im Monat kommen elf Parlamentarier zusammen, um über die Themen zu diskutieren, die auch den Stadtrat beschäftigen. "Wir stimmen ab und geben dem Rat eine Empfehlung", erklärt Jugendparlaments-Sprecher Daniel Pazak (18). An den Sitzungen nehmen auch Mitarbeiter der Stadtverwaltung teil. Sie erklären dem Nachwuchs die Beschlussvorlagen.

Bürgermeister Danny Kavalier findet das gut. "Alle unsere Entscheidungen sollen auch unter Kinder- und Jugendgesichtspunkten beurteilt werden", sagt er. Nur wenn sich die jüngeren Generationen mit städtischen Angelegenheiten beschäftigen und sich so mit ihrem Heimatort identifizieren würden, sei die Abwanderungswelle zu stoppen.

"Auch wenn es immer mehr ältere Menschen gibt - Kinder und Jugendliche haben auch Bedürfnisse. Und die sind genauso wichtig für eine zukunftsfähige Stadt. Wer nur auf die Alten setzt, hat verloren."

Dank der Rückendeckung des Bürgermeisters wagen sich Daniel Pazak und seine Kollegen mehr und mehr aus der Deckung. Sie treten mit eigenen Forderungen an den Stadtrat heran. Wichtigstes Projekt: Die Errichtung eines Jugendtreffs am Busbahnhof. "In der Innenstadt ist wenig los, es gibt keinen Anlaufpunkt für uns. Außerdem müssen die Fahrschüler lange auf den Bus warten. Sie stehen in der Kälte oder im Regen herum", bemängelt der 18-Jährige.

"Wir müssen jetzt etwas tun. Wenn die jungen Menschen erst wegsind, ist es zu spät." - Bürgermeister Danny Kavalier

Der Vorschlag beschäftigt derzeit die Verwaltung. Es wird geprüft, welches der anliegenden Häuser saniert werden kann. Auch Gestaltungswünsche für den Weihnachtsmarkt haben die Jungparlamentarier abgegeben.

Mit der Beteiligung der Kinder und Jugendlichen an Entscheidungsprozessen hofft Danny Kavalier, mehr Identifikation zu schaffen. "Uns ist klar: Wir müssen jetzt etwas tun. Wenn die jungen Menschen erst weg sind, ist es zu spät", sagt er. Dafür sensibilisiert worden sind die Verantwortlichen in Hettstedt durch ein vom Land gefördertes Demografie-Coaching.1,5 Millionen Euro stellt Sachsen-Anhalt jährlich zur Förderung von Maßnahmen für die Gestaltung des demografischen Wandels zur Verfügung.

Über 70 Antragsteller von Gemeinden, Landkreisen und Vereinen haben in den vergangenen drei Jahren einen positiven Bescheid erhalten. Der Ausbau von Mehrgenerationenhäusern, medizinische Projekte und die Entwicklung von Demografiekonzepten waren darunter. Letztere sollen die regionalen Veränderungen bis zum Jahr 2025 darstellen: Stärken und Schwächen, Chancen und Risiken.

In Hettstedt zeigen die Zahlen: In den nächsten zwölf Jahren wird die Stadt (14900 Einwohner) mehr als 4000 Einwohner verlieren, vier von zehn Menschen werden 2025 älter als 65 Jahre sein. "Eine harte Realität, die uns durch das Coaching aufgezeigt wurde. Doch auf dieser Grundlage können wir nun Projekte entwickeln", sagt Kavalier.

Wie in einigen anderen Gemeinden Sachsen-Anhalts wurde ein Förderprogramm zur Minimierung des Leerstandes älterer Wohnhäuser aufgelegt. Familien werden finanziell unterstützt (Grundbetrag: 600 Euro/Jahr, pro Kind: 300 Euro/Jahr), wenn sie ein altes Haus kaufen. Außerdem ist der Verein "Wir für Hettstedt" gegründet worden, zudem wird bald ein Kinder-Stadtplan veröffentlicht. "Der Anfang ist gemacht, aber so muss es auch weitergehen. Es darf nicht nur bei Lippenbekenntnissen bleiben", nimmt der Bürgermeister Kommunalpolitiker und Verwaltung in diePflicht.

Die angespannte Haushaltslage sieht Danny Kavalier dabei nicht als Hürde. "Wenn man etwas unbedingt will, geht es auch irgendwie. Wir wollen in Hettstedt Euphorie entfachen, denn dann helfen viele gerne mit: Politiker, Unternehmer, Ehrenamtliche", sagt er.

"Wir werden endlich ernstgenommen. Dasist gut für uns - und gut für Hettstedt." - Daniel Pazak, Jugendsprecher

Was das Coaching in Hettstedt gebracht habe, könne man nocht nicht beurteilen, sagt ein Sprecher des Ministeriums für Landesentwicklung und Verkehr. Für eine Bilanz sei es zu früh. "Aber entscheidend ist, das sich die Städte und Gemeinden auf den demografischen Wandel einstellen und junge Menschen halten", betont der Sprecher.

Dass das in Hettstedt gut funktioniert, freut Minister Thomas Webel (CDU): "Ich begrüße das Bestreben junger Menschen, sich schon frühzeitig in Entscheidungen ihrer Wohnorte \'einzumischen\'. Kinder- und Jugendparlamente sind ein richtiger Weg, um das zu fördern."

Im September wird die einjährige Testphase des Kinder- und Jugendparlaments in Hettstedt beendet sein. Bürgermeister Kavalier ist sicher: "Dann wird es fest in die Struktur der Stadt etabliert." Die Abgeordneten, bisher von den Schulen entsandt, sollen dann für eine Periode von einem Jahr gewählt werden. Der Sprecher erhält Stimm- und Rederecht im Stadtrat. Daniel Pazak freut das: "Wir werden endlich ernstgenommen und angehört. Das ist gut für uns - und gut für Hettstedt."