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Arbeit, Sport, Arzt 4000 Kilometer im Monat: Spritpreisrekord bringt Familie aus Sachsen-Anhalt in Bedrängnis

Pendeln zur Arbeit, Fußballtraining, Arztbesuche - Mirko Suski fährt 4.000 Kilometer im Monat. Die Haushaltskasse des Quenstedters ist knapp kalkuliert. Welche Folgen der Preissprung an der Zapfsäule für seine fünfköpfige Familie hat.

Von Max Hunger 11.03.2022, 09:30
Diesel aus besseren Zeiten: Mirko Suski tankt seinen Bus aus dem Reservekanister nach.  Der 43-jährige Quenstedter fährt allein 70 Kilometer zur Arbeit - die Spritkosten treffen ihn und seine Familie hart.
Diesel aus besseren Zeiten: Mirko Suski tankt seinen Bus aus dem Reservekanister nach. Der 43-jährige Quenstedter fährt allein 70 Kilometer zur Arbeit - die Spritkosten treffen ihn und seine Familie hart. Foto: Frank Gehrmann

Quenstedt - Seit Mirko Suski mit seiner Frau und seinen drei Kindern aufs Land gezogen ist, beobachtet er die Preise für Benzin und Diesel argwöhnisch. Vor vier Jahren kaufte sich die Familie einen kleinen Hof in Quenstedt (Mansfeld-Südharz). Über 4.000 Kilometer fährt der Familienvater, der als Betriebsrat in einem ADAC-Servicecenter arbeitet, im Monat. Zur Arbeit, zur Schule, zum Arzt, zum Fußballtraining. Ohne Auto geht nichts. Anfangs sei der Spritpreis noch langsam gestiegen, erzählt der 43-Jährige. 1,50, 1,60, 1,80. Dann der Schock: Auf über zwei Euro kletterte der Liter Diesel vergangene Woche. „Ich habe sofort gedacht: Bald kann ich es mir nicht mehr leisten, zur Arbeit zu fahren“, sagt Suski.

Die Familie gehört zu den vielen Menschen in Sachsen-Anhalt, die auf das Auto angewiesen sind. Laut ADAC Mobilitätsindex ist das eigene Fahrzeug hier nach wie vor das Verkehrsmittel Nummer eins. Grundlage für die Erhebung sind Daten zur Verkehrssicherheit, Umweltverträglichkeit, Verfügbarkeit, Zuverlässigkeit und Bezahlbarkeit von Auto, Bus und Bahn. Demnach haben Sachsen-Anhalts Bürger mit durchschnittlich 12.482 Kilometern die bundesweit dritthöchste Fahrleistung pro Jahr. Zum Vergleich: Mit dem ÖPNV legen sie nur rund ein Drittel so viel Strecke zurück.

Neuer Rekord: 2,34 Euro für einen Liter Diesel

Doch für jeden Kilometer hinter dem Lenkrad müssen die Menschen nun tiefer in die Tasche greifen als je zuvor: Laut dem Vergleichsportal „tanke-guenstig.de“ kostete der Liter Diesel an Sachsen-Anhalts Zapfsäulen am Donnerstag im Durchschnitt 2,34 Euro, der Liter E10 2,21. Damit haben die Preise die langjährigen Rekorde aus dem Jahr 2012 - damals 1,55 und 1,70 - weit hinter sich gelassen. Grund ist unter anderem der durch den Krieg in der Ukraine gestiegene Ölpreis. Mirko Suski aus Quenstedt bringt das ans finanzielle Limit.

In seinem Arbeitszimmer legt Suski - Jeans, Brille, Bart - eine Tabelle auf den Tisch. Er rechnet vor: 70 Kilometer fährt er zur Arbeit ins DLC-Servicecenter in Halle, ein ADAC-Tochterunternehmen. Seit der Pandemie versucht er, öfter im Homeoffice zu arbeiten. Immer geht das nicht. Regelmäßig fährt er seinen 13-jährigen Sohn Levin zur Schule, seine Mutter zum Arzt, seine Tochter zum Turnen nach Mansfeld. Sein Kleinbus verbraucht 8,4 Liter Diesel auf 100 Kilometer. Das Ergebnis: aktuell 1.110 Euro Spritkosten pro Monat. Das sind 363 Euro mehr als noch vor drei Monaten, doppelt so viel wie vor dem Umzug vor vier Jahren. „Ich habe mich selbst erschrocken“, sagt er. Und fügt an: „Wenn das so weitergeht, rutsche ich ins Minus.“

ÖPNV? Keine Alternative

Unter dem Stichwort „Verkehrswende“ preisen die Regierungen von Bund und Ländern bereits seit längerem Alternativen zum Verbrenner an. Auf Bus, Bahn und Elektroauto sollen die Bürger ausweichen - soweit die Theorie. Warum also nicht mit dem Zug zur Arbeit pendeln? Mirko Suski entfährt bei dieser Frage ein Lachen. Er zückt einen Fahrplan. Um 5:31 Uhr fährt der erste Zug von Quenstedt nach Halle. Um 6:58 Uhr wäre Suski im Büro. Eine volle Stunde zu spät. „Ich schaffe es so gar nicht rechtzeitig zur Arbeit.“

Und warum nicht auf ein Elektroauto umsteigen? Der 43-Jährige wirft einen Blick aus dem Fenster. Am Rand der schmalen Straße parkt sein Bus. Der graue Ford bietet alles, was die Familie braucht: Platz für zwei Erwachsene, drei Kinder, die beiden Hunde, den Wochenendeinkauf, Urlaubsgepäck. Auch eine Anhängerkupplung für den Wohnwagen, mit dem die Familie regelmäßig in die Ferien fährt, ist an Bord. Ein elektrisches Modell, das das alles mitbringt, sei derzeit schlicht nicht auf dem Markt, sagt Suski. „Es gibt nicht das, was ich brauche.“ Und: Sein Bus ist ein Hybrid, besitzt zusätzlich einen Elektromotor. 50 Kilometer weit komme er damit. Seine tägliche Fahrleistung unter der Woche: 180 Kilometer. „Die Reichweite ist ein Problem.“

Familie am finanziellen Limit

Das Rekordhoch der Spritpreise belastet die Haushaltskasse der Familie empfindlich: Übrig bleibe bei den aktuellen Kosten für Diesel kein Cent im Monat, sagt Suski. Dass der Preis sie nicht in die Schulden treibe, liege nur daran, dass seine Frau Dominique derzeit im Homeoffice arbeitet. „Anders könnten wir uns das gar nicht mehr leisten.“ Sie arbeitet für eine Versicherung, eigentlich ist auch sie in Halle angestellt. Würde auch Dominique mit ihrem Auto zur Arbeit fahren, das Spritpreisdilemma der Familie wäre noch größer. Spielraum für Ausgaben abseits des Nötigsten gebe es bereits jetzt nicht, sagt der Betriebsrat. Eine neue Kaffeemaschine? Gestrichen.

Dabei hatte die Familie ihre Ausgaben durchgerechnet, als sie 2018 von Merseburg in den 1.000-Einwohner-Ort zog. Aus der Mietwohnung wollten sie aufs Land ziehen, ein Grundstück besitzen. Der Hof hat einen Garten, eine geräumige Garage, viele Zimmer. Auch Suskis Mutter soll hier später einziehen, damit sie nicht in einem Heim unterkommen muss. Der gelernte Elektroinstallateur baut das Haus Schritt für Schritt selbst aus. Für den Kauf hat die Familie einen Kredit aufgenommen, den sie noch abbezahlt. Den Diesel für die täglichen Fahrten hatten sie einkalkuliert. „Damals konnten wir uns das leisten.“ Damals, als Diesel noch die Hälfte kostete.

Einzige Alternative bei steigenden Spritkosten: ein neuer Job

Was also tun? Auf Strecken verzichten könne er nicht, sagt der Familienvater. Die Hobbys will er seinen Kindern nicht nehmen, seine Mutter sei zudem auf seine Hilfe angewiesen. „Sprit ist für uns hier auf dem Land ein Grundbedürfnis.“ Der Quenstedter sieht nun die Politik in der Pflicht. Rund die Hälfte der Preise für Benzin und Diesel machen in Deutschland Steuern aus. Politiker und Bürger fordern angesichts der immer weiter steigenden Preise daher eine Senkung der Abgaben. Auch Mirko Suski plädiert dafür: „Sie machen sonst die Kaufkraft kaputt.“

Sollten die Kraftstoffpreise noch weiter ansteigen, sieht der 43-Jährige nur einen Ausweg: ein neuer Job in der Umgebung. Doch im Ort gebe es eigentlich nur eine Tankstelle, sagt er. „Ich habe da schon gefragt, ob ich anfangen kann.“ Ein Scherz? Suski zuckt mit den Schultern. Ganz sicher scheint er sich da selbst nicht zu sein.