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Staatssekretär Wendt "Frei fliegende Rakete"

Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) holt einen konservativen Hardliner in sein Haus. Die Personalie wird zum Politikum.

Von Jens Schmidt 23.11.2019, 00:01

Magdeburg l Erst am Donnerstag hat Innen-Staatssekretärin Tamara Zieschang (CDU) ihrem Chef mitgeteilt, dass sie nach Berlin geht. Dort wird sie Staatssekretärin im Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur. Stahlknecht fackelt nicht lange. Er konsultiert Regierungschef Haseloff, ruft dann Rainer Wendt an. Freitagmorgen sagt der Bundeschef der Deutschen Polizeigewerkschaft zu. „Er ist ein versierter Vertreter der Polizei und steht klar für die Umsetzung von Recht“, sagt Stahlknecht. Es sei klar, dass der neue Staatssekretär mit den Koalitionspartnern vertrauensvoll zu kooperieren habe.

Wendt ist Verfechter einer starken Polizei und Kritiker der Flüchtlingspolitik von Bundeskanzlerin Merkel. Dem rechtspopulistischen Magazin Compact sagte er, die Diskriminierung von Frauen gehöre „fast zu den genetischen Grundbausteinen“ der „Machokultur junger Muslime“. In der CDU heißt es: „Wendt ist der kleine Maaßen.“

SPD und Grüne, die Koalitionspartner der CDU, sind alarmiert. Bei der SPD befürchten viele, dass Wendt nicht den braven Amtsverwalter gibt, sondern mit derben Sprüchen das ohnehin schwierige Koalitionsgeschäft weiter erschwert.

Der SPD-Nachwuchs tobt. Die Börde-Jusos twittern: „Wir sind entsetzt. Einem Mann wie Wendt Verantwortung zu geben, ist ein fatales Signal.“ Der SPD-Parlamentarier Falko Grube sieht in der Personalie einen Fingerzeig für die Annäherung der Union an die AfD: „Das kann man nur als klare Sehnsucht nach Schwarz-Blau werten.“ Schon jubelt der AfD-Landtagsabgeordnete Ulrich Siegmund via Twitter: „Sehr gut! Unser erster inoffizieller Staatssekretär.“

Einige Taktiker in der SPD halten die Personalie für willkommen. „Der ist eine frei fliegende Rakete“, sagt ein Sozialdemokrat. „Das eröffnet uns Chancen.“ Je öfter Wendt mit ein paar Sprüchen schocke, desto mehr schwäche das Stahlknecht – mit Blick auf die Landtagswahl 2021 wäre das für die SPD nicht das Schlechteste. Wenn Haseloff 2021 nicht mehr antritt, strebt Stahlknecht die Nachfolge an.

Die Grünen sind aufgeschreckt. Wendt hat deren Innenpolitiker Sebastian Striegel mal einen „selbsternannten Politiksheriff“ genannt. Wendt polarisiere, sagt Striegel jetzt. Er stehe für einen politischen Kurs, der nicht Vertragsgrundlage der Koalition sei. „Das fachliche und politische Echo wird verheerend sein“, unkt Grünen-Politiker Olaf Meister. „Als sachliche Fleißbiene ist er nicht so bekannt geworden. Diese krasse Personalie wird als politische Richtungsentscheidung verstanden.“ Die Grüne Jugend ist „entsetzt“. Wendt dürfe keine politische Verantwortung übernehmen.

Auch die Linke spricht von einer „politischen Richtungsentscheidung“. Mit dieser Personalie würden „all diejenigen innerhalb der CDU gestärkt, die die inhaltliche Verbindung zur AfD ausbauen und damit die Grundlage für eine zukünftige Koalition von CDU und AfD schaffen wollen“.

Wendt beschwichtigt: „Regierungsarbeit vollzieht sich nicht nach Richtungen, sondern nach Recht und Gesetz auf der Grundlage eines Koalitionsvertrages. Und der gilt natürlich.“ Stahlknecht sagt: „Politisch pointierte Kommentare gehören nicht zur Job-Beschreibung des Staatssekretärs.“ Fügt aber an: „Als CDU-Mitglied hat Herr Wendt jederzeit die Möglichkeit, sich zu politischen Fragen zu äußern.“ Für viele ist klar, dass Stahlknecht die Personalie wohl kalkuliert getroffen hat: Mit Wendt sendet er ein klares Signal an den konservativen Flügel seiner Partei. Und auch an die Wählerschaft: Die CDU kann auch wieder Law & Order, jetzt braucht man die AfD nicht mehr zu wählen – so das Kalkül.