Seit elf Jahren zieht sie bei den Grünen die Fäden und will nach der Wahl auch im Parlament mitmischen. Steffi Lemke: Die mächtige Parteimanagerin
Dessau-Roßlau l Am 22. September wird ein neuer Bundestag gewählt. Die Volksstimme stellt die Spitzenkandidaten der Parteien vor. Heute: Steffi Lemke, Bündnis90/Die Grünen.
Um ein Ziel zu erreichen, muss man sich durchbeißen und darf keine Mühen scheuen. Steffi Lemke hat diese Erfahrung immer wieder gemacht. An diesem Nachmittag lehnt sie sich an die alte Backsteinmauer des Jüdischen Friedhofs mitten in Dessau. Nur ein Teil des historischen Mauerwerks mit Rundbögen ist noch erhalten und selbst davon nehmen nur die wenigsten Notiz - grenzt das steinerne Werk doch eigentlich nur den Friedhof von dem Parkplatz eines Einkaufszentrums ab.
Für die 45-Jährige ist die Mauer aber etwas Besonderes. Die roten Steine markieren für sie den Beginn ihres politischen Engagements Mitte der 1980er Jahre. Zu dieser Zeit kämpft Lemke mit einer Bürgerinitiative für den Erhalt historischer Bauten und Denkmäler. Für die vom Einsturz bedrohte Friedhofsmauer klopft sie Steine. Die Dessauer Initiative ist für Lemke allerdings auch die geeignete Form, um Protest gegen das DDR-Regime zu organisieren, das ihr zuvor bereits Steine in den Weg gelegt hat: Trotz bester Noten bekommt sie zunächst keine Abitur-Zulassung - weil sie als Kind einer Intellektuellen-Familie aufwächst. Und: "Weil ich mal den Mund zu weit aufgemacht habe."
"Uns wird erst die Zukunft Recht geben."
Steffi Lemke gelingt es aber, die Steine willkürlicher Herrschaft aus dem Weg zu räumen: Nach einer Ausbildung zur Zootechnikerin jobbt sie als Briefträgerin und macht abends ihr Abitur nach. Sie studiert anschließend nicht nur Agrarwissenschaften, sondern wird 1989 zur Mitbegründerin der Grünen Partei der DDR.
Das Pendeln zwischen Dessau und Berlin gehört für sie seither zum Alltag. Unter der Woche die große Politik, am Wochenende Heimat, Familie, Freunde. Einfach ist das nicht. "Ich habe das Gefühl, zu selten zu Hause zu sein", sagt Lemke stirnrunzelnd. In den Bundestag zieht sie erstmals 1994 ein, da ist ihr Sohn gerade zwei Jahre alt. Vier Jahre später steigt sie zur parlamentarischen Geschäftsführerin ihrer Fraktion auf. Politisch gilt sie als links. Schon nach der Wende wollte sie nicht nur den Anschluss an die Bundesrepublik, sondern eine bessere Gesellschaft. Und für ihre Überzeugungen hat sie immer wieder Kritik einstecken müssen.
2002 etwa lehnt sie den Afghanistan-Einsatz im Bundestag ab, widersetzt sich dem Druck, den Kanzler Gerhard Schröder (SPD) und Außenminister Joschka Fischer (Grüne) auf die damalige Regierungskoalition aufbauen. "Uns wird erst die Zukunft Recht geben", soll Mitstreiterin Antje Vollmer tröstend zu ihr gesagt haben.
Lemke verliert daraufhin ihr Bundestagsmandat an ihre Widersacherin Undine Kurth, wird aber noch im gleichen Jahr vom Parteitag zur Bundesgeschäftsführerin gewählt. Eine Aufgabe, in der sie voll aufgeht. Lemke leitet erfolgreich einen Wahlkampf nach dem anderen, nicht nur auf Bundes-, sondern auch auf Landesebene.
So gelingt es den Grünen 2012, alle Landesparlamente der Republik zu erobern. Sie verzeichnen als einzige Partei im Bundestag Mitgliederzuwächse. Und das ist eben auch das Verdienst der Dessauerin. Sie hat ein Händchen dafür, provokative Themen in die Öffentlichkeit zu tragen. Wie zuletzt die Einführung des "Veggie Days". Wochenlang regt sich die Republik darüber auf, dass die Grünen in Kantinen einen fleischlosen Tag einführen wollen.
"Es wird immer Realos geben, die mich für eine blöde Linke halten."
Steffi Lemke schmunzelt darüber: "Es geht nicht darum, den Leuten staatlich vorzuschreiben, weniger Fleisch zu essen - wir wollten lediglich eine Debatte über den hohen Fleischkonsum auslösen." Ziel erreicht, das Profil ihrer Partei ist wieder ein Stückchen schärfer. Und das ist wichtig in Zeiten, in denen Wähler Schwierigkeiten haben, die Unterschiede zwischen Parteien zu erkennen. "Wir können uns nur profilieren, wenn wir an den wunden Punkten der Gesellschaft ansetzen", erklärt Lemke und fügt dabei zu: "Ich esse auch Fleisch." Neben der Wirkung nach außen ist für Lemke aber auch die Wirkung nach innen entscheidend. So setzt sie durch, dass die Parteibasis abstimmen darf, wer für die Grünen als Spitzenkandidat bei der Bundestagswahl ins Rennen geht - zum Ärger jener Mitstreiter, die sich schon an der Spitze gesehen haben. "So mancher hat mich dafür beschimpft", verrät sie.
Überzeugungsarbeit muss Lemke auch für die Idee leisten, die Basis darüber abstimmen zu lassen, welche Themen bei den Grünen eine besonders starke Rolle spielen sollen. Doch auch hier setzt sie sich durch. Ihr ist es wichtiger, die Partei lebendig und thematisch frisch zu halten, als auf die Befindlichkeiten der Parteispitzen Rücksicht zu nehmen.
Lemkes Loyalität gilt vor allem der Basis - die sie ja auch wieder und wieder in den vergangenen elf Jahren zur Bundesgeschäftsführerin gewählt hat. Und mit jeder Wahl hat quasi ihr Einfluss zugenommen. "Ich habe inzwischen flügelübergreifend einen exzellenten Ruf", sagt sie. "Auch wenn es immer Realos geben wird, die mich für eine blöde Linke halten."
2012 ist es allerdings die Parteispitze, die ihr neue Steine in den Weg legen will. Es geht um Personalfragen im Parteiapparat, aber auch darum, die Kompetenzen der Bundesgeschäftsführerin zu beschneiden. Der Streit zwischen Lemke, Claudia Roth und Cem Özdemir eskaliert. In jeder anderen Partei würde dann der Geschäftsführer wohl den Kürzeren ziehen. Aber nicht Steffi Lemke. Sie wehrt sich, droht sogar, alles hinzuschmeißen. Das Risiko wollen die Parteichefs Roth und Özdemir aber nicht eingehen und geben nach. "Ich habe kein dickes Fell für solche Sachen", erzählt Lemke im Rückblick.
"Ich habe kein dickes Fell für solche Sachen."
Ihren Job als Geschäftsführerin findet sie trotz allem "immer noch geil". Niemand vor ihr hat dieses Amt auch so lange bekleidet. Dennoch hat sie sich von ihrem Landesverband in Sachsen-Anhalt als Spitzenkandidatin aufstellen lassen. Sie liebäugelt damit, sich als Verbraucherschützerin im Parlament zu profilieren. "Beim Verbraucherschutz geht es auch um soziale Gerechtigkeit", erklärt sie. Vor allem die "Abzocke" macher Unternehmen, die angeblich die Haltbarkeit ihrer Produkte künstlich begrenzen, will sie stoppen. Ob sie nach der Wahl Geschäftsführerin bleibt, lässt Lemke offen: "Die Partei muss irgendwann die Möglichkeit haben, jemand anders zu wählen - es gibt da also eine gewisse Offenheit."
Dann schiebt sie nach: "Ich strebe aber kein bestimmtes Amt in der Regierung an." So gibt sich Lemke optimistisch, dass die Grünen nach der Wahl im Bund mitregieren. "Die Umfragen besorgen mich nicht, viele Wähler sind noch unentschlossen." Ganz im Stil einer Bundesgeschäftsführerin fügt sie dann hinzu: "Bei uns klappt die Mobilisierung aber schon gut."
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