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Stipendium Forschen im Exil Sachsen-Anhalt

Die Magdeburger Universität hat erstmals erfolgreich ein Stipendium für einen geflohenen Wissenschaftler aus der Türkei eingeworben.

Von Alexander Walter 16.01.2020, 00:01

Magdeburg l Mehmet Aydin* liegt in dieser frostigen Nacht im Dezember 2016 hinter einem Hügel am Ostufer des Mariza-Flusses. Hier im Norden der Türkei bildet der kleine Strom die Grenze nach Griechenland und damit zur EU. Monate des Versteckspiels liegen hinter dem Wissenschaftler, ein gescheiterter Fluchtversuch über die Ägäis inklusive. Mehr als 5500 Euro hat er Schleusern gezahlt.

Alle Anstrengungen laufen nun also in dieser einen, alles entscheidenden Aktion zusammen. Wird ihm die Flucht über das eiskalte Wasser gelingen? Oder wird er erwischt und landet in den Gefängnissen der Erdogan-Regierung? Zwei Patrouille-Soldaten nähern sich dem Versteck Aydins und seiner Mitflüchtlinge. Ihre Stimmen sind deutlich zu hören. Doch sie stapfen vorüber, ohne von den Verborgenen zu ahnen.

Dann nehmen Aydin, ein Ex-Gouverneur und eine Apothekerin mit drei kleinen Kindern allen Mut zusammen. Sie rennen hinunter zum Fluss, ein Schleuser soll sie in einem Schlauchboot übersetzen. Doch das Boot ist undicht. Mit lautem Fauchen muss die Gruppe das Gefährt aufpumpen. Jeder Luftstoß geht durchs Mark: „Die Soldaten hätten uns hören können“, erinnert sich Aydin.

Am Ende aber trägt das Boot, die Flucht glückt. Drüben dauert es noch ganze zwei Tage, dann sitzt der Wissenschaftler in einem Flugzeug nach Berlin.

Zeitsprung: An diesem Nachmittag im Januar 2020 steht Aydin am Fenster des eigenen Büros in der Otto-von-Guericke-Universität und blickt auf die regennasse Straße. Es ist ein Glückstreffer für den Wissenschaftler aus dem Süden Anatoliens und das vorläufige Happyend seiner Geschichte. Möglich macht es ein Stipendium der maßgeblich vom Auswärtigen Amt finanzierten Alexander-von-Humboldt-Stiftung. Der 50-Jährige ist der erste geflüchtete Wissenschaftler, für den die Uni Magdeburg erfolgreich ein „Philip-Schwartz-Stipendium“ der Stiftung einwerben konnte.

Es richtet sich bundesweit an profilierte Forscher, denen in ihrer Heimat politische Verfolgung droht. Aydin ist Experte auf seinem Gebiet. Aktuell forscht er dazu, wie Peptide – ein Baustein von Eiweißen – im Kampf gegen Brustkrebs eingesetzt werden können.

Für die Regierung in seiner Heimat indes ist er in erster Linie potenzieller Staatsfeind. Der Professor zählt sich zu den Sympathisanten der Gülen-Bewegung. Präsident Erdogan machte die Anhänger seines früheren Ziehvaters und heutigen Rivalen Fetullah Gülen für einen blutigen Putschversuch im Juli 2016 verantwortlich. Rund 250 Menschen kamen dabei ums Leben. Ob die Anhänger des Predigers die Drahtzieher waren, ist umstritten. Dennoch ließ der türkische Staat dem Staatstreich eine groß angelegte Säuberungsaktion folgen: Mehr als 40 000 Menschen wurden festgenommen, 80 000 Beschäftigte des öffentlichen Dienstes verloren ihre Jobs.

So auch Aydin. Als die Panzer in Istanbul rollen, ist er mit seiner Familie gerade in Deutschland im Urlaub. Nur Tage später wird er – wie Tausende andere türkische Akademiker – nach Hause beordert. In dunkler Vorahnung lässt der Vater Frau und Kinder zurück, sie werden später Asylanträge stellen. Aydin wird – kaum an seiner Universität angekommen – erst suspendiert, dann gekündigt. Sein Pass wird für ungültig erklärt. „Ich durfte nicht weg, musste mich zur Verfügung halten.“ Dabei ist der Wissenschaftler nach eigenen Angaben in keiner Weise politisch aktiv.

Als ein Bekannter erzählt, die Polizei räume Turnhallen, um unliebsame Beamte zu internieren, flieht er, taucht er in der Wohnung seines Bruders unter. Doch auch dort werden Nachbarn misstrauisch, stellen immer offener Fragen. Aydin weiß, dass die Luft dünn wird, für ihn beginnt seine Fluchtodyssee.

Dass er nun in Magdeburg neu anfangen darf, macht ihn froh. „Wir haben hier eine Wohnung, meine Kinder gehen zur Schule“, sagt er. Will er zurück? „Im Moment auf keinen Fall“, sagt Aydin. In der Türkei gehe es weiter bergab, Journalisten und Andersdenkende säßen im Gefängnis.

Eines ist ihm am Ende wichtig: „Schreiben Sie, dass wir Deutschland für seine Hilfe sehr dankbar sind“, sagt der Wissenschaftler. Früher, als er noch auf Veränderung in der Türkei hoffte, habe er sich vorgenommen, nach der Rückkehr nur noch deutsche Autos und Produkte zu kaufen, erzählt er noch. Jetzt wolle er mit seiner Arbeit ein Stück zurückgeben, sagt er.

Die Uni Magdeburg kündigte unterdessen bereits an, in der nächsten Stipendienrunde Geld für einen weiteren geflohenen Forscher einwerben zu wollen.

*Name geändert