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Volksstimme-Interview mit Kommissionschef Karl-Heinz Daehre über marode Verkehrswege und das milliardengroße Finanzloch Straßen und Maut: "Die Zeitbombe tickt"

Von Jens Schmidt 19.03.2013, 02:14

Allein für kaputte Straßen und Brücken bräuchte Deutschland jedes Jahr 4 Milliarden Euro zusätzlich. Karl-Heinz Daehre erwartet, dass die Lkw-Maut bald ausgeweitet wird. Für eine Pkw-Maut sieht er keine Mehrheit - noch nicht. Mit ihm sprach Volksstimme-Redakteur Jens Schmidt.

Volksstimme: Herr Daehre, es gibt wohl keinen Stoff, der so hoch besteuert wird wie Kraftsstoff. Obendrein kommt die Kfz-Steuer. Und trotzdem reicht das Geld hinten und vorne nicht. Was ist da los?

Karl-Heinz Daehre: Der Bund nimmt jährlich etwa 32 Milliarden Euro Mineralölsteuern ein. Für den Verkehrsbereich werden 22 Milliarden Euro eingesetzt - eine rechnerische Differenz von zehn Milliarden. Aber es sind eben Steuern und diese sind nicht zweckgebunden. Wenn all die Steuern, die im Verkehr erhoben werden, in die Verkehrswege gehen würden, hätten wir kein Defizit. Gefordert wird das von Verkehrspolitikern oder dem ADAC immer wieder. Doch das klappt seit Jahrzehnten nicht. Dagegen steht auch das Argument der Finanzpolitiker: Verkehr verursacht auch externe Kosten, wie für Polizei, Feuerwehr oder Krankenwagen. Von der Hand weisen kann man das auch nicht.

Volksstimme: Sie sprachen vom Defizit. Wie schlimm ist es um Straßen, Gleise und Brücken bestellt?

Daehre: Wir bräuchten 7,2 Milliarden Euro zusätzlich - jedes Jahr, 15 Jahre lang, um den Instandhaltungsstau bei den Straßen, Gleisen und Wasserstraßen aufzulösen. Dabei reden wir nicht von Neubauvorhaben. Das Geld fehlt für Sanierung, Ausbau und den Unterhalt der Verkehrswege. Viele Straßen- und Bahnbrücken sind über 100 Jahre alt und seinerzeit für ganz andere Belastungen gebaut worden. Sie müssen dringend nach heutigem Standard auf Vordermann gebracht werden. Das gilt in Ost wie in West. Im Bestandsnetz des Westens gibt es einen enormen Nachholbedarf. Dort waren viele Vorhaben wegen des Aufbaus Ost nach 1990 liegen geblieben.

"Das Geld darf nicht in der großen Staatskasse verschwinden."

Obwohl wir uns im Frühjahr über Straßenlöcher ärgern, dreht sich die gesellschaftliche Diskussion meist um Neubaustrecken. Doch die Zeitbombe tickt im Bestandsnetz.

Volksstimme: Und die wollen Sie mit einer Maut entschärfen?

Daehre: Unsere Kommission hat viele Vorschläge gemacht. Der Königsweg der Verkehrspolitiker ist und bleibt die alte Forderung, künftig einen deutlich größeren Teil des Steueraufkommens für die Verkehrswege auszugeben. Der Realität ins Auge zu sehen heißt aber auch: Angesichts der riesigen gesamtstaatlichen Aufgaben muss befürchtet werden, dass der Erhalt der Infrastruktur des Bundes, der Länder und der Kommunen auf dem Niveau der letzten Jahrzehnte verharrt.

Da marode Verkehrswege nicht nur den Wirtschaftsstandort, sondern die Mobilität aller in Deutschland negativ beeinflussen, hatten wir den Auftrag, auch eine verstärkte Nutzerfinanzierung, kurz Maut, zu untersuchen. Dabei wurde eines sehr schnell klar, wenn die Politik diesen Weg einschlagen will, brauchen wir eine Garantie, dass das Geld nicht in der große Staatskasse verschwinden darf, sondern in sogenannte Infrastrukturfonds fließen und dann ausschließlich für die Verkehrswege zur Verfügung stehen muss. Maut ist also kein Tabu. Aber auf die Rahmenbedingungen wird es ankommen.

"Ich sehe derzeit keine politische Mehrheit für eine Pkw-Maut."

Volksstimme: Kommt nach der Bundestagswahl die Pkw-Maut?

Daehre: Eine Pkw-Maut wird in Deutschland höchst kontrovers diskutiert und ich sehe derzeit keine politische Mehrheit dafür. Gleichwohl haben wir ein Finanzierungsproblem, das jährlich größer wird. Wir haben bei unseren Überlegungen daher zwei Mautbereiche parallel betrachtet. Die Lkw-Bemautung und die die Pkw-Maut. Für vorrangig halten wir eine schrittweise Ausweitung der Lkw-Maut: zunächst auf alle Bundesstraßen und dann schließlich auf alle Straßen und für alle Laster ab 3,5 Tonnen - also auch für Transporter. Ich denke, dass dies in der nächsten Wahlperiode bis 2017 realisiert wird. Wir dürfen nicht vergessen: Lkw belasten Straßen und Brücken deutlich stärker als Pkw.

Volksstimme: Warum sollen Spediteure für alle Straßen blechen? Eine Kreisstraße ist ja längst nicht so komfortabel wie eine Autobahn?

Daehre: Wir haben in Deutschland ein sehr dichtes System von Straßen, die zwar unterschiedliche Aufgaben erfüllen und dementsprechend unterschiedlich ausgebaut sind. Wirksam werden sie aber nur gemeinsam als Netz. Und viele marode Brücken liegen z.B. an kommunalen Straßen.

Wenn der einzelne Spediteur sein Ziel erreichen will, gibt es für ihn keinen Unterschied zwischen einer maroden Bundes-, Landes- oder Kreisstraße. Außerdem vermeiden wir mit einer Bemautung aller Straßen Ausweichverkehre. Derzeit wird die Lkw-Maut ja nur für Fahrzeuge ab 12 Tonnen auf Autobahnen und vierspurigen Bundesstraßen erhoben. Auf Parallelstraßen, wie etwa an der B6 n im Nordharz, donnern nach der Einbeziehung in die Lkw-Maut wieder deutlich mehr Laster durch die Dörfer. Kommt die Maut für alle Straßen, werden Speditionen den günstigsten Weg suchen und die Schnellstraßen bevorzugen.

Und es gibt einen dritten Aspekt: Wem fließt das Geld zu? Die auf Autobahnen und Bundesstraßen eingenommene Maut soll für die bundeseigenen Verkehrswege eingesetzt werden; die auf Landes- und Kommunalstraßen kassierte Maut soll dann den Ländern und Kommunen für ihre Straßen zukommen. Somit hätten Länder und Kommunen erstmals einen Rechtsanspruch auf diese Einnahmen.

Volksstimme: Lkw-Maut für alle Straßen: Wie soll das technisch funktionieren? Steht dann auf jeder Kreisstraße eine Mess-Brücke?

Daehre: Nein. Schon bei der Einbeziehung der B6 n in das Mautsystem waren keine Messbrücken mehr erforderlich. Die Maut wird heute per Satellit erfasst. Auf den Brücken stehen lediglich Kontroll-Instrumente, mit denen geprüft wird, ob Lasterfahrer auch die Maut korrekt bezahlt haben. So soll das künftig auch für alle anderen Straßen funktionieren. 2015 läuft der aktuelle Vertrag mit Toll Collect aus. Es wäre jetzt also eine gute Gelegenheit, das System zu erweitern.

"Der Finanzbedarf wächst mit jedem Jahr der Nichtentscheidung."

Volksstimme: Aber die Pkw-Maut wird - wenn auch nicht gleich - aber bis 2020 kommen?

Daehre: Eine zeitliche Prognose kann ich nicht treffen. Wir haben sie aber als eine mögliche Einnahmequelle vorgeschlagen. Es gibt in der EU einen starken Trend hin zu benutzerabhängigen Gebühren. Möglich und nicht untypisch wäre es auch, dass Deutschland eine EU-einheitliche Regelung abwartet. Unsere Experten, auch aus der Forschungslandschaft Magdeburgs, warnen aber davor, da wir so unsere Chancen bei der Technologieentwicklung für solche Systeme nicht nutzen würden.

Volksstimme: Auf welche Kosten müssen sich Autofahrer einstellen?

Daehre: Wir haben lediglich die Dimensionen verdeutlicht: Bei einer Jahresvignette für Autobahnen und vierspurige Bundesstraßen, die einen Euro kosten würde, kämen gut 40 Millionen Euro in die Kasse. Der jährliche Nachholbedarf für die Straßen liegt, wie gesagt, bei gut vier Milliarden Euro ...

Volksstimme: Da wären also 100 Euro fällig ...

Daehre: Einen präzisen Vorschlag haben wir nicht gemacht. Das ist Sache der Politik, die noch weitere Aspekte zu beachten haben wird. Sie wird auf der Grundlage von Infrastrukturzustands- und -leistungsberichten einen Finanzbedarf ermitteln müssen. Von diesem Durchschnittswert wird es unter anderem wegen der Klimaschutzziele zu einer Mautspreizung etwa nach Schadstoffklassen kommen müssen.

Nur eines ist sicher, der Nachhol- und damit der Finanzbedarf wachsen mit jedem Jahr der Nichtentscheidung an.

Volksstimme: Bei einer Pkw-Vignette werden Wenigfahrer benachteiligt.

Daehre: Das ist richtig! Deshalb wird der Weg sehr schnell zur streckenabhängigen Pkw-Maut gehen. Wir haben daher diese zweite Variante schon mit untersucht. Für die Streckenerfassung getrennt nach Bundes-, Landes- und kommunalen Straßen gibt es schon heute sehr interessante technische Möglichkeiten, die übrigens auch das Recht der Nutzer nach einem umfassenden Datenschutz berücksichtigen.

Eines ist aber klar, ob Vignette oder streckenabhängige Maut, in jede Rechnung ist einzubeziehen, dass es einen erheblichen sozialen Ausgleich, etwa für Berufspendler, geben muss. Um es aber nochmals zu betonen: Für die Einführung einer Pkw-Vignette, in welcher Form auch immer, gibt es in Deutschland keine politischen Mehrheiten.

Volksstimme: Sie haben an einer Stelle auch eine Erhöhung der Mineralölsteuer durchgerechnet. Für jeden Liter Kraftstoff müssten 10 Cent dazukommen, um die Defizite zu beseitigen. Wird das so kommen?

Daehre: Das wäre zumindest eine sehr einfache Erhebungsart, die auch den Kraftstoffverbrauch der einzelnen Fahrzeuge berücksichtigt. Da ich aber auch weiß, dass die Preisveränderungen vor Feiertagen, wenn deren Höhe in diesem Bereich liegt, zu regelmäßigen Proteststürmen führen, scheint mir das Thema Mineralölsteuererhöhung auf mittlere Sicht politisch ausgereizt.

"Wir brauchen einen parteienübergreifenden Konsens."

Volksstimme: Sie sagten, es sollte einen Fonds geben, dessen Gelder ausschließlich für Verkehrswege da sind. Wenn Finanzpolitiker aber sehen, dass da auf der einen Seite Maut-Gelder liegen, werden sie versuchen, auf der anderen Seite den Etat im Verkehrshaushalt zu kürzen. Was wäre da gewonnen?

Daehre: Die Gefahr ist vorhanden. Deswegen brauchen wir einen parteienübergreifenden Konsens darüber, dass dies eben nicht passiert. Das muss gesetzlich wasserdicht fixiert werden. Das ist ein ganz entscheidender Punkt, um mit einer verstärkten Nutzerfinanzierung in der gesellschaftlichen Diskussion bestehen zu können.

Volksstimme: Bei dieser Dramatik: Wird die A 14 von Magdeburg nach Schwerin je gebaut?

Daehre: Es handelt sich dabei um ein Neubauvorhaben, das als eine politische Entscheidung jeweils auch gesondert finanziert werden muss. Der A 14 - Lückenschluss hatte somit nichts mit der Arbeit der Kommission zu tun. Für das Projekt bin ich aber nach wie vor mehr als optimistisch, da die A 14 eine enorme Erschließungsfunktion für unsere Altmark und die angrenzenden Bundesländer hat.

Im Übrigen ist festzuhalten, dass im Jahr 2007 zwischen dem Bund und den Ländern eine Finanzierungsvereinbarung getroffen wurde. Ich sehe nicht, dass sie jemand brechen will.