Wie Hunde in Pflegeheimen und Schulen alten Menschen und geistig Behinderten helfen Tierisch gut: Therapeut Scotty und Lehrer Ajax
Hunde bringen Freude ins Leben – und das nicht nur in der Familie. In Altenpflegeheimen und Schulen machen sich zunehmend Therapeuten und Lehrer die Besonderheit der Mensch-Tier-Beziehung zunutze.
Helle Aufregung im Altenpflegebetreuungszentrum Wanzleben: Der freche Scotty kriecht zwischen den Beinen von drei Seniorinnen entlang unter den Tisch und leckt aufgeregt am Unterschenkel von Erika. Die juchzt aufgeregt und strampelt ein wenig, doch Scotty ist schon bei der nächsten Dame angekommen. Was für ein Spaß. Unter Lieselottes Rollator streckt der aufdringliche Kerl alle viere von sich. Dann eine plötzliche Drehung. Endlich hat er es gefunden: sein Schnüffeltuch.
Scotty ist ein Border-Collie-Rüde. Die etwa 30 alten Herrschaften, die im Speisesaal im Kreis sitzen, applaudieren herzlich. Maja, die Partnerin von Scotty, musste eben zugucken. Doch jetzt bei der Kuschelrunde ist sie wieder dabei. Frauchen Christine Brandt geht mit ihren beiden Hunden von Stuhl zu Stuhl, jeder darf mal kraulen und streicheln.
Christine ist eine ausgebildete Tier-Psychologin und Haustierbedarfshändlerin aus Gröningen. Die verheiratete Mutter von zwei Kindern ist Mitglied im Verein "Tiere helfen Menschen". In der Börde ist sie etwa viermal monatlich ehrenamtlich unterwegs, um in Altenpflegeheimen für Abwechslung zu sorgen. In der Regel hat sie ihre beiden gut erzogenen Border Collie dabei. Manchmal geht auch ein Kaninchen mit auf die Reise. Tiergestützte Aktivität nennt die Tierexpertin ihr Angebot. "Das ist keine Therapie. Die alten Leute freuen sich einfach, mal wieder einen Hund zu streicheln und sich zu erinnern. Viele hatten früher selbst jahrelang einen Hund in ihrer Familie", erzählt sie.
Zum Beispiel Lieselotte Osterwald. Als Christine in der Runde fragt, wer denn früher einen Hund hatte, meldet sich die rüstige Dame: "Wir hatten einen Terrier. Den hab ich im Dorf mal vorm Konsum vergessen. Da hat mich die Verkäuferin angerufen." Die Herrschaften lachen herzlich. Einige verfolgen das Geschehen aufmerksam, andere müssen vorsichtig von den Betreuerinnen gesagt bekommen, dass sie die Hundekuchen-Plätzchen nicht selbst knabbern dürfen. Betreuerin Gerburg Meier sitzt neben einer Dame, die schwer demenzkrank ist. Ihr Blick wandert abwesend die Decke des Speisesaales entlang. Betreuerin Gerburg streichelt ihre Hand. "Wenn Christine das Kaninchen mitbringt und unsere Demenzkranken das Tier auf dem Schoß sitzen haben, spüren sie auf der Hand das warme Fell. Dann fangen sie häufig von ganz allein an, das Fell zu kraulen", erzählt die Betreuerin.
Nach einer knappen halben Stunde ist die "Hunde-Show" von Christine vorbei. Noch einmal das Lieblingskunststückchen der Senioren: Scotty und Maja "machen Peng" – lassen sich einfach umfallen. Die alten Herrschaften klatschen begeistert. Bevor Christine geht, schaut sie aber oben im Zimmer bei zwei Bewohnern vorbei, die das Bett heute nicht verlassen konnten. Scotty und Maja bekommen auch dort noch ihre Streicheleinheiten.
So wie Christine Brandt in der Börde mit ihren Hunden unterwegs ist, hilft Solveig Holle aus Sachau, einem Orteil von Gardelegen, alten Menschen in der Altmark. Die ehemalige Angestellte von IKEA hat sich nach der Schließung des Möbelhaus-Werkes in Gardelegen beim Berliner Verein "Little Big Dog" zu einer "Kynotherapeutin" ausbilden lassen. Seit 2010 bringt Solveig Holle ebenfalls Abwechslung in den Alltag von Seniorenheim-Bewohnern. Dort ist sie mit Retriever-Hündin Luna, aber auch mit ihren Kaninchen Horst und Helmut unterwegs. Sie hat sich auf die Arbeit mit Demenzkranken und von Schlaganfall betroffenen Menschen spezialisiert.
An Tieren herrscht bei der Tiertherapeutin kein Mangel. Insgesamt ist die 46-Jährige inzwischen Herr über 18 Vierbeiner – Hunde, Katzen, Kaninchen, Pferde und sogar zwei Hängebauchschweine. "Und mein Mann rutscht mit jedem Tier, das dazu kommt, eine Stelle weiter nach hinten", scherzt Solveig Holle.
Therapeutische Versuche mit geistig und oder körperlich Behinderten, bei denen ein Tier als "Medium" eingesetzt wird, gibt es auf ganz unterschiedliche Art. Zum Einsatz kommen dabei neben Hunden auch häufig Pferde und sogar Delfine. Die Heilung bringende Wirkung dieser Therapien ist umstritten. So berichtet zum Beispiel das Internet-Lexikon Wikipedia über eine Studie der Universität Würzburg über Therapie-Versuche mit Delfinen aus dem Jahr 2006. Anlass waren Angebote im Tiergarten Nürnberg für schwerstbehinderte Kinder im Alter von fünf bis zehn Jahren. Messbare oder dauerhafte Verbesserungen konnte die Studie nicht feststellen. Vermeintliche Effekte wurden der subjektiven Wahrnehmung der Eltern zugeordnet.
Sehr positive Erfahrung macht seit zwei Jahren die Reinhard-Lakomy-Schule für geistig Behinderte in Halberstadt. Lehrerin Silke Kowall integriert dort die Weimaraner Aika und Ajax in ihren Unterricht. Ein Hund ist im Klassenraum auf einer Decke in der Ecke liegend immer mit dabei. "Allein seine Anwesenheit wirkt beruhigend. Die Kinder wissen so auch, dass sie nichts auf dem Boden liegen lassen dürfen, dass sie immer ihre Hände waschen müssen und dass der Hund regelmäßiger Fürsorge bedarf", erzählt die Lehrerin. Im Unterricht selbst stellt Silke Kowall immer wieder Bezüge zu ihrem "Assistenten" her. Die Uhrzeit wird am Tagesablauf des Hundes vermittelt, zu Hunderassen gibt es ein Buchstaben-Rätsel und beim Rechnen helfen Hundekuchenstücke.
Der Schritt zum Hund im Unterricht war für Lehrerin Kowall nicht einfach. Sie erläuterte ihre Arbeit in einem ausführlichen Konzept. Sie stellte einen Hygieneplan auf. Und am Ende musste das tierische "Unterrichtsmittel" im Landesverwaltungsamt, im Gesundheitsamt und beim Schulträger genehmigt werden. Inzwischen sind Ajax und Aika aus dem Schulalltag in Halberstadt nicht mehr wegzudenken.
Und das Modell Hunde in der Schule macht inzwischen selbst Schule. "In einem Arbeitskreis Schulhunde treffen sich vierteljährlich Lehrer und Ergotherapeuten aus 17 Schulen Sachsen-Anhalts in der Förderschule Wittenberg", erzählt die Lehrerin. Neben Behindertenschulen machen bei dieser vom Kultusministerium unterstützten Weiterbildung auch mehrere Grund- und Sekundarschulen mit.