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Tumore Kritik an Tierversuchen an der Uni

Wegen Tierversuchen wäre die Universität Halle beinahe Empfänger des unrühmlichen Preises „Herz aus Stein“ geworden.

Von Alexander Walter 02.11.2020, 00:01

Magdeburg l Die Beschreibung des Experiments auf den Seiten des Vereins „Ärzte gegen Tierversuche“ liest sich wie die Anleitung zu einem Martyrium: Am Julius-Bernstein-Institut für Physiologie der Medizinischen Fakultät der Uni Halle werden Ratten Tumorzellen in die Hinterpfoten gespritzt.

Haben die Tumoren eine bestimmte Größe erreicht, wird der ph-Wert im umliegenden Gewebe abgesenkt. Einer Gruppe von Tieren wird dazu Milchsäure in das Tumorgewebe gespritzt. Die andere Gruppe bekommt ein Mittel in die Bauchhöhle injiziiert, das den Zuckerstoffwechsel beeinflusst. Diese Gruppe wird dann zudem bei nur acht Prozent Sauerstoff gehalten – der Normalwert in der Atmosphäre liegt bei 21 Prozent.

Auch das führt dazu, dass der ph-Wert im Gewebe sinkt. Die Ratten aber litten massiv unter Atemnot, heißt es auf der Webseite der Tierschützer. Nach einem Tag werden beide Tiergruppen getötet und das Tumorgewebe auf bestimmte Marker hin untersucht.

Wegen der vom Verein attestierten Grausamkeit der Experimente hatten die „Ärzte gegen Tierversuche“ das Institut der Uni Halle Anfang Oktober für den Negativ-Preis „Herz aus Stein“ nominiert. Er wurde zum dritten Mal verliehen.

Mit dem Preis will der 1979 gegründete Zusammenschluss aus Medizinern mit nach eigenen Angaben bundesweit 2800 Mitgliedern auf besonders grausame oder absurde Tierversuche aufmerksam machen. Viel fehlte am Ende nicht dazu, dass die Uni den Preis tatsächlich erhalten hätte. In der entscheidenden Umfrage entfielen 1830 der 7301 abgegebenen Stimmen auf Halle (Rang 3). Die Unimedizin Halle verteidigt die Tier-Versuche auf Volksstimme-Anfrage:

„Manche wissenschaftlichen Fragestellungen können heute mit Hilfe von tierversuchsfreien Methoden beantwortet werden. Diesen Methoden sind jedoch Grenzen gesetzt; so auch bei dieser Fragestellung“, sagte Sprecherin Christina Becker.

Anlass der Experimente: Es sei bekannt, dass Tumoren deutlich sauerstoffärmer sind als normales Gewebe. Das führe dazu dass Tumorgewebe schlechter auf Chemo- und Strahlentherapie anspreche, sagte Becker.

Neuere Daten zeigten zudem, dass Sauerstoffmangel aggressives Wachstum von Tumoren und die Entstehung von Tochtergeschwülsten fördere. Genau verstanden habe die Forschung die Hintergründe aber nicht. Auch stelle sich die Frage, ob die Ansäuerung des Gewebes Einfluss auf die Aggressivität von Tumoren hat. Ziel sei es, verbesserte Krebstherapien zu entwickeln.

Die Unimedizin geht dabei von einer wesentlich niedrigeren Belastung der Tiere aus, als von den Tierschützern dargestellt. Der im Experiment verwendete Sauerstoffanteil entspreche einem Aufenthalt in 4500 Metern Höhe – also in etwa dem Niveau des Matterhorns. „Für die Tiere ist dieser Aufenthalt nicht belastend, sie bewegen sich, fressen und schlafen wie auf Meereshöhe“, sagte Sprecherin Becker.

Die Unimedizin wäge die Notwendigkeit solcher Experimente genau ab und beschränke Tierexperimente auf ein Minimum. So würden auch Auswirkungen von Sauerstoff-Mangel und Übersäuerung in Tumoren zunächst in Zellkulturen untersucht.

„Um aber die klinische Relevanz in einem realen Tumor untersuchen zu können, müssen anschließend die verbleibenden Untersuchungen auch an Versuchstieren überprüft werden.“

Begründet wird das unter anderem damit, dass Blut- und Sauerstoffversorgung eines Tumors sich nicht in einer Zellkultur nachstellen lassen. Zudem interagiere im echten Gewebe eine Vielzahl von Zelltypen. Auch das lasse sich nicht nachstellen. Die Ärzte gegen Tierversuche zweifeln indes insgesamt am Sinn von Tier-Experimenten. So sei die Übertragbarkeit auf Menschen höchst fragwürdig. 92 bis 95 Prozent aller Medikamente, die sich im Tierversuch als wirksam erweisen, scheiterten in den anschließenden klinischen Phasen am Menschen.

Aus 300 erfolgreich an „Alzheimer“-Mäusen getesteten Therapiemethoden etwa sei noch kein einziges wirksames Medikament hervorgegangen.

Die Unimedizin Halle will ihre Experimente fortsetzen. Deren Aufbau werde ständig an neue Erkenntnisse im Rahmen der sogenannten „3R“ angepasst, teilte die Einrichtung mit. So wolle es auch das Gesetz. „3R“ steht dabei für: Replacement (den Ersatz von Tierexperimenten, wo immer möglich durch Zellkulturen), Reduction (die Absenkung der Zahl der verwendeten Tiere auf ein notwendiges Maß) und Refinement (die schonende Anwendung von Eingriffen mit Schmerzlinderung).

Auch die Uni Magdeburg wendet das Prinzip an, man sei zudem Mitglied der Initiative „Tierversuche verstehen“, hieß es auf Anfrage. Zur Art eigener Experimenten befragt, verwies die Uni auf das Landesverwaltungsamt. Die Genehmigungsbehörde verwies zunächst auf die Uni zurück. Laut Bundesministerium für Landwirtschaft und Entwicklung (BMEL) wurden 2018 2,8 Millionen Tiere für wissenschaftliche Zwecke eingesetzt, davon fast 700 000 getötet.

Amtliche Statistiken sind unter www.bmel.de/DE/themen/tiere/tierschutz/versuchstierzahlen2018.html einsehbar.