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Gerichte entscheiden, dass Straftäter Bußgelder an gemeinnützige Einrichtungen zahlen müssen. Von Franziska Richter Urteil: Geldauflage für einen guten Zweck

01.09.2012, 03:17

Mit der Zahlung von Geldauflagen an gemeinnützige Einrichtungen werden Beschuldigte oder Angeklagte dazu verdonnert, sich genau in dem Bereich zu engagieren, in dem sie straffällig wurden.

Zerbst/Magdeburg/Langenweddingen l "Wir sind dankbar für jeden Cent", sagt Caroline Riedhammer. Die Vorsitzende des Zerbster Tierschutzvereins hat endlich das Geld für eine neue Unterkunft der Hunde zusammen. Neben Fördergeldern und Spenden kommt auch eine kleine, aber nicht zu verachtende Summe vom Amtsgericht Zerbst. "Uns erreichte ein Brief: Herr X sei dazu verurteilt worden, eine Auflage in Höhe von 300 Euro zu zahlen", erklärt Caroline Riedhammer den Werdegang. "Bereits zu Anfang des Jahres haben wir 700 Euro an Geldauflagen bekommen und jetzt wieder einmal 300 Euro und einmal 400 Euro, die in Raten gezahlt werden", erklärt die Chefin des Tierschutzvereins.

"Solche Zuweisungen sind existenziell für gemeinnützige Vereine."

Es handelt sich zwar nur um einen Bruchteil des Geldes, das für die Hundeunterkünfte notwendig ist. "Dennoch sind solche Zuweisungen existenziell für gemeinnützige Vereine."

Der Tierschutzverein steht wie unzählige andere Einrichtungen in Sachsen-Anhalt auf einer Liste, die der Präsident des Oberlandesgerichtes Naumburg führt. Vereine, Verbände und Organisationen, die in den Genuss der Zuweisungen von Gerichten kommen, müssen dem Oberlandesgericht ihre Gemeinnützigkeit mit dem Befreiungsbescheid oder der Freistellungsmitteilung des Finanzamtes nachweisen, über ihre Zielstellung und eventuelle Änderungen ihrer Satzung informieren.

"Wir bekommen das Geld direkt vom Verurteilten auf unser Konto überwiesen. Das melden wir unter Verweis an das Aktenzeichen an das Amtsgericht zurück. Und wir müssen Rechenschaft darüber ablegen, wofür wir das Geld verwendet haben", erklärt Riedhammer das Prozedere.

Gelder, die Gerichte an Einrichtungen wie das Zerbster Tierheim zuweisen, werden als Geldauflagen - und nicht wie oft verwechselt als Bußgelder - bezeichnet. Auflagen kommen in zwei verschiedenen Situationen zustande: "Entweder es handelt sich um ein Vergehen, das eine Freiheits- oder Geldstrafe vorsieht. In diesem Fall kann die Staatsanwaltschaft entscheiden, da es sich um kleinere Kriminalität handelt, dass das Verfahren mit der Erteilung eine Geldauflage eingestellt wird", erklärt Frank Gärtner, Sprecher des Amtsgerichts Magdeburg. Staatsanwaltschaft und Betroffener müssen zustimmen, das Verfahren einzustellen und die Sache mit einer Auflage bewenden zu lassen. Hier geht es meist um Beträge im drei- und vierstelligen Bereich. Oder es handelt sich um ein Verbrechen, das in einem Prozess verhandelt wurde und zum Beispiel mit einer Bewährungsstrafe und einer zusätzlichen Geldauflage geahndet wird.

Geldauflagen sind eine Form der Wiedergutmachung. "Das Gesetz sieht vor, dass Geldauflagen auch gemeinnützigen Organisationen zufließen können. Dazu ist der Richter aber nicht verpflichtet. Das Geld kann ebenso in der Staatskasse landen", erklärt Gärtner.

"Beschuldigte spüren so, dass das begangene Unrecht geahndet wird."

Das Amtsgericht Magdeburg verteilte im Jahr 2010 zum Beispiel 47500 Euro an gemeinnützige Einrichtungen, was zwei Drittel aller Geldauflagen ergibt. Addiert man die Zuweisungssummen aller Gerichte in Sachsen-Anhalt, springt für Vereinsarbeit und mehr jährlich über eine Million Euro heraus.

Die Richter versuchen, zwischen Delikt und gemeinnützigem Zweck einen Zusammenhang herzustellen, falls das möglich ist. "Wenn es sich um Alkohol am Steuer handelt, gehen die Auflagen an die Verkehrswacht oder an den Bund gegen Alkohol im Straßenverkehr. Wenn es sich um Gewalt gegen Kinder handelt, geht das Geld an Einrichtungen zum Schutz von Kindern und Jugendlichen", nennt Gärtner einige Beispiele. "Beschuldigte oder Angeklagte, die wegen geringer Schuld nicht verurteilt werden, spüren durch die Zahlungsverpflichtung dennoch, dass das von ihnen begangene Unrecht geahndet wird", erklärt Justizministerin Angela Kolb (SPD) den Zusammenhang, der zum Rechtsfrieden in der Gesellschaft beitragen soll.

Daher lassen sich Organisationen, die für die Zuweisung der Geldauflagen in Frage kommen, bestimmten Bereichen zuordnen: Von der Straffälligen- und Bewährungshilfe über Hilfe für Suchtgefährdete und Hinterbliebene bis hin zu Natur- und Umweltschutz. Die Liste der potenziellen Empfänger von Zuweisungen steht allen Richtern des Landes Sachsen-Anhalt zur Verfügung, den einzelnen Landgerichten, den Amtsgerichten Magdeburg und Halle, der Generalstaatsanwaltschaft. "Dabei ist die Entscheidung, wohin die Auflagen gehen, eine Frage des Ermessens. Jeder Richter entscheidet für sich selbst und versucht, eine Einrichtung zu finden, die zum Vergehen passt", sagt Gärtner. "Es gibt so viele Organisationen. Sie alle gleichmäßig zu bedenken, ist schwierig."

Und die Liste platzt mittlerweile aus allen Nähten: 105 Seiten mit 12 bis 15 Eintragungen pro Seite, also mehr als 1000 potenzielle Empfänger. Und es werden stetig mehr. "Im Jahr 2010 wurden 140 Vereine in die hier geführte Liste neu eingetragen, im Jahr 2011 95 Vereine", berichtet Richterin Katrin Linsenmaier am Beispiel des Oberlandesgerichtes Naumburg. Die Höhe der Zuweisungen im Land scheint jedoch konstant zu bleiben. 2008 waren es 1,19 Millionen Euro, 2011 1,07 Millionen Euro.

Damit sind die Zuweisungen bei manchen Organisationen natürlich gering. "Bei uns sind das Beträge im hunderter Bereich. Es ist klar, dass wir damit keine großen Projekte anstoßen können. Die Zuweisungen sind nie große Summen gewesen. Aber dennoch freuen wir uns über jeden Euro", berichtet Kathleen Paech vom Landesverband der AWO, der die Gelder unter anderem an das Projekt Vera, das von Menschenhandel und Zwangsverheiratung betroffenen Frauen hilft, weitergibt.

"Zuweisungen sind nur Bruchstücke innerhalb der Finanzierung."

Zunehmend finden sich bundesweite und weltweite Organisationen unter den Empfängern, die sich auf der Liste jedes Bundeslandes eintragen lassen. Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz zum Beispiel sammelt Gelder in Form von Geldauflagen, Spenden und weiteren Fördermitteln und finanziert so verschiedene Projekte. Damit bestehe zwar kein Zusammenhang zur Straftat, es zeuge aber von der Freiheit der Richter, die Gelder in alle Arten von sinnvollen Projekten fließen zu lassen, sagt Annette Röhrig von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, die dennoch versucht, die Gelder für ortsnahe Projekte einzusetzen. "So haben wir mit einem Projekt zum Erhalt der Kirchen auch die Dorfkirche in Langenweddingen sanieren können. Ebenso sind in das Projekt der Quedlinburger Fachwerkhäuser Gelder geflossen", sagt Röhrig. Hierbei seien Zuweisungen von Gerichten nur "Bruchstücke" der erforderlichen Summen.

"Für die Richter macht es eher Sinn, das Geld ortsnah auszuschütten."

Unter den über tausend Organisationen sind auch solche, die nicht einmal einen Sitz in Sachsen-Anhalt haben: Ein Förderverein einer Kita in Sachsen, das Hilfsprojekt Mariphil, das Entwicklungshilfe auf den Philippinen betreibt, die Hessische Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz, Care, Brot für die Welt. "Mit Sicherheit haben wir jeden Tag Anschreiben solcher Organisationen in der Post, die dafür werben, sie mit Zuweisungen zu begünstigen, Greenpeace oder Care", bemerkt Amtsgerichtssprecher Frank Gärtner.

Mittlerweile existieren Agenturen, die sogenanntes "Geldauflagenmarketing" betreiben. Die Pro Bono Fundraising GmbH in Berlin wirbt, Richter persönlich und fallbezogen anzuschreiben. Bei der Masse an gemeinnützigen Organisationen versuchen die Anschreibenden so im Gedächtnis der Richter zu bleiben. "Ich kann mich nicht erinnern, dass wir solche weltweiten Organisationen jemals begünstigt hätten", sagt Gärtner. "Für die Richter macht es eher Sinn, das Geld ortsnah auszuschütten und so die Arbeit gemeinnütziger Einrichtungen zu fördern."