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USA-Wahl „Gerichtsentscheid wahrscheinlich“

In den USA geboren und seit 29 Jahren in Magdeburg zu Hause: Ein Gespräch mit Jurist Stephen-Gerhard Stehli über die Wahl in den USA.

Von Steffen Honig 05.11.2020, 00:01

Volksstimme: Sie Kommen aus dem Staat New York, einer Bastion der Demokraten. Haben Sie auch demokratisch gewählt?

Stephen-Gerhard Stehli: Der Staat New York ist seit einigen Jahrzehnten fest in demokratischer Hand. Das ist aber nicht immer so gewesen und hat durchaus gewechselt. Aber für die vergangenen Präsidentschaftswahlen trifft das eindeutig zu. Es gilt zwar das Wahlgeheimnis, aber ich mache kein Hehl daraus: Ich habe Joe Biden gewählt.

Glauben Sie, das die Wahl mit dem Abstimmungstag ist?

Nein, ich glaube das wird noch eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen. Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass das Ganze erst vom Obersten Gerichtshof geklärt wird. Das heißt nicht sofort, es kann auch sein, dass die Auszählung erst noch zu Ende geführt wird. Da müssten auch erst Gerichte angerufen werden, die eine Auszählung unterbrechen müssten. Ich rechne mit weiterer Auszählung, einem vorläufigen Ergebnis und einer hohen Wahrscheinlichkeit einer Anrufung der Gerichte bis hin zum Supreme Court mit der Wahl. Übrigens nicht bloß von Seiten Donald Trumps, der beispiellos mit seiner Ankündigung in der Wahlnacht war – normalerweise wartet man, bis alles durch ist. Wenn die Demokraten sich zurückgesetzt fühlen, werden sie keine Scheu haben, den Rechtsweg zu suchen. Schade, schade, das es dann so sein muss.

Es entstünde damit ein gewisses Führungsvakuum an der im mächtigsten Land der Welt. Könnte es zu Unruhen in den Vereinigten Staaten kommen?

Ein Machtvakuum im engeren Sinne entsteht nicht. Auch wenn es ein klares Ergebnis gebe, wäre der bisherige Päsident noch bis zum 20. Januar kommenden Jahres im Amt, erst dann übernimmt der neue. Wir haben einen entscheidungsbefähigten Präsidenten – egal ob wir mit ihm zufrieden sind oder nicht.

Und wird es friedlich bleiben?

Mögliche Unruhen würde ich noch nicht auf der landesweiten Ebene ansiedeln. Dass es gewaltsame Proteste geben kann, halte ich nicht für völlig ausgeschlossen. Die Stimmung in den Vereinigten Staaten ist aufgeheizt. Man hat an dem Mord an George Floyd gesehen, was das für eine Initialzündung im Land war. Es gibt eingewaltbereites Protestpotenzial für den Fall, dass Donald Trump nicht weichen will. Das kann aber auch passieren – und das ist auch sehr gefährlich – wenn Joe Biden zum Präsidenten erklärt wird.

Was lernt Amerika daraus? Ist das Wahlsystem nicht antiquiert?

Amerika könnte darüber nachdenken, aber ich will eine Lanze für das Wahlsystem brechen. Es sorgt dafür, dass die Wahl nicht auschließlich in New York und Kalifornien entschieden wird, sondern dass auch kleinere Bundesstaaten mit großen Flächen und wenig Menschen wie Wyoming oder Alaska eine gewisse Bedeutung im gesamten Gefüge bekommen. Es ist schon eine Betonung des Föderalen. Dass dies bei den letzten Malen so knapp geworden ist, strapaziert dieses Wahlsystem, aber es hat ja doch inzwischen über 200 Jahre gehalten.

Das muss Neuerungen nicht auschließen.

Natürlich gibt es Vorschläge, wie man das Wahlsystem verbessern könnte. Zum Bespiel, dass man bei der Präsidentenwahl neben den Wahlmännern die allgemeine Mehrheit haben muss. Aber eine Verfassungsänderung in den USA ist eine sehr komplizierte Angelegenheit.