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Verbraucherschutz Blumenfee in der Abmahnfalle

Der Blumenversand einer Frau aus der Börde läuft seit Jahren erfolgreich. Doch wegen einer Klage sieht sie nun ihre Existenz bedroht.

11.09.2019, 23:01

Magdeburg l In dem kleinen Gerichtsaal im Landgericht Magdeburg herrscht große Aufregung. Maren Hellwig, eine zierliche Frau mit starker Stimme, hebt verständnislos die Arme. „Geht es jetzt wirklich noch um Verbraucherschutz oder darum, uns abzumahnen und Geld zu verdienen? Es gibt keinen einzigen Geschädigten.“ Ihre Frage richtet sich an Anwältin Sandra Schulte auf Klägerseite. Schulte vertritt den Verbraucherschutz-Verein gegen unlauteren Wettbewerb. Der wirft Hellwig einen Verstoß gegen das gleichnamige Gesetz vor. Schultes Antwort: „Es geht um Verbraucherschutz.“

Hellwig schüttelt den Kopf. Sie betreibt von Rottmersleben (Börde) aus den Versandhandel „Blumenfee“. In ihrem Online-Shop bietet die 36-Jährige zu den Blumensträußen Gratiszugaben an. Unter anderem können Kunden auch einen Perlwein als Geschenk auswählen. In der Produktbeschreibung fehlte die Alkoholangabe. Jedoch argumentieren Hellwig und ihr Anwalt Lars Hänig, dass der Artikel ausverkauft, somit gar nicht mehr verfügbar war und deshalb die Herstellerangaben nicht sichtbar waren. Das Gericht muss nun entscheiden, ob die einstweilige Verfügung aufrechterhalten bleibt, Hellwig also unterlassen und somit auch die Kosten tragen muss. „Es geht erstmal um die Frage, ob überhaupt ein Angebot vorlag“, erklärt Hänig.

„Jeder Versuch, mit dem Verein in den Dialog zu kommen, wurde abgeschmettert“, sagt Hellwig. Sie hat ihren Online-Shop seit neun Jahren, arbeitet oft bis spät abends, um dies und jenes noch zu erledigen. Sie ist nervös – aber auch kampfbereit. Immer wieder übernimmt sie während der 60-minütigen Verhandlung das Wort. „Der Secco wurde doch gar nicht mehr angeboten“, sagt sie. Schulte antwortet routiniert, argumentiert, dass durch die Darstellung der Flasche in der Produktbeschreibung sehr wohl ein Angebot vorlag. In einer Pause ergreift Hellwigs Vater Hans-Hermann, der zusammen mit vielen Freunden seiner Tochter die Verhandlung verfolgt, das Wort. Er wird emotional, lehnt sich mit jedem Wort ein Stück weiter nach vorn, appelliert an Richterin Caroline Limbach. „Meine Tochter macht alles allein, sitzt jede Nacht vor dem Computer, da ist ihr dieser Flüchtigkeitsfehler unterlaufen. Jetzt steht sie am Abgrund, weil sie abgemahnt wird und Summen im Spiel sind, die sie nicht stemmen kann.“

Hellwigs Vater spielt auf ein weiteres Verfahren an – bewirkt vom gleichen Verein. Es geht um zwei fehlende Angaben von Sulfiten im Wein. In diesem Fall erkannte Hellwig den Anspruch bereits an. Nun fordert der Verein wegen eben dieses Verstoßes ein Strafgeld in Höhe von 9000 Euro. Die Klage wird Hellwig demnächst zugestellt.

Sie und ihr Anwalt unterbreiten Schulte das Angebot, 1500 Euro zu zahlen – für beide Fälle. Ein Vergleich. Nach einem Telefonat mit ihrem Mandaten lehnt Schulte ab. Im Falle der Vertragsstrafe wolle ihr Mandant mindestens 4500 Euro haben. „Das ist für mich so unfassbar viel Geld“, sagt Hellwig. Am Ende gibt es keine Einigung, eine Entscheidung wird für den 25. September 2019 erwartet. Hänig mag keine Prognose abgeben: „Die Richterin hat sich nicht in die Karten schauen lassen.“

Es ist ein Fall, der stellvertretend für viele kleine Online-Händler steht. Vereine haben sich darauf spezialisiert, nach Fehlern in den Internetauftritten zu suchen. Es folgen: Abmahnungen, Unterlassungserklärungen und Strafzahlungen bei Verstößen.

Jährlich führt Trusted Shop, ein Unternehmen aus Köln, in seiner Abmahnstudie eine nicht repräsentative Umfrage unter Online-Händlern in Deutschland durch. Von den mehr als 3000 teilnehmenden Händlern gaben 42 Prozent der Studienteilnehmer im vergangenen Jahr an, schon einmal abgemahnt worden zu sein. Der häufigste Abmahngrund sind demnach vermeintliche Verstöße mit Bezug auf das Widerrufsrecht (27 %), fehlende bzw. falsche Datenschutzerklärungen (10 %) sowie – wie bei Hellwig – Verstöße mit Bezug auf Produktkennzeichnungen (9  %). Bekannt für Abmahnungen aller Art ist vor allem der Interessenverband für das Rechts- und Finanzconsulting deutscher Online-Unternehmen. Er ist laut Umfrage für 55 % aller Abmahnungen verantwortlich. Ebenfalls gelistet: der Verbraucherschutzverein gegen unlauteren Wettbewerb (4 %).

Doch ist das Vorgehen zulässig? Nach dem Unterlassungsklagengesetz dürfen Verbände Wettbewerbsverstöße abmahnen. Unter zwei Voraussetzungen: Sie müssen Verbraucherinteressen vertreten und beim Bundesjustizamt als qualifizierte Einrichtung gelistet sein. Im Fall des Verbraucherschutzvereins gegen unlauteren Wettbewerb trifft beides zu. Er ist also abmahn- und klagebefugt.

Ein Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs ist geplant, soll diese Praktiken stark einschränken – für Hellwig kommt es vielleicht zu spät.