Kriegsgeneration stirbt nach und nach aus / Aufgabe heute: Kultur weitergeben Vertriebene: "In 20 Jahren wird es eng"
Magdeburg l Mehr als drei Viertel seiner Mitglieder hat der Bund der Vertriebenen Sachsen-Anhalt in gut 20 Jahren verloren. Noch sei das Fortbestehen des Verbandes nicht gefährdet, so Vorsitzende Elfriede Hofmann. Doch in 20 Jahren wird es eng. Die Aufgaben hätten sich bereits gewandelt.
1990: 1000 Menschen füllten beim ersten "Tag der Heimat" das AMO in Magdeburg. "Und draußen in den Bussen saßen noch einmal fast 500", erinnert sich Elfriede Hofmann an damals zurück. "Polizei und Feuerwehr hätten beinahe das Gelände gesperrt." Als sie ein Jahr später offiziell den Landesverband des Vertriebenen-Bundes gründete, setzte sich der Andrang fort. Bald zählte der Verein 6000 bis 8000 Mitglieder, schätzt sie. Immerhin waren nach dem Zweiten Weltkrieg mehr als eine Million Pommern, Schlesier, Ostpreußen und Sudetendeutsche nach Sachsen-Anhalt gekommen. "Heute haben wir noch rund 1500 Mitglieder", sagt Hofmann nachdenklich. "Die Erlebnisgeneration stirbt nach und nach." Sie selbst ist mit ihren 73 Jahren eine der Jüngsten im Bunde.
Gab es zu Beginn 24 Kreisverbände, sind heute noch 16 übrig. Einige gingen im Zuge von Gebietsreformen zusammen, andere lösten sich auf, wie der in Staßfurt (Salzlandkreis) oder in Oebisfelde (Landkreis Börde). Angst, der Landesverein müsse sich auflösen, hat Hofmann derzeit nicht: "Noch sind wir gut aufgestellt", sagt sie. Nicht nur die Mitgliederzahl hat sich im Verein stark verändert. Auch die Aufgaben sind andere geworden. Zu Beginn standen zwei Dinge im Vordergrund: Vertriebene zum Austausch zusammenbringen und für eine Entschädigung kämpfen. Letztere führte zu einem Erfolg. 1994 hat die Regierung beschlossen, dass Vertriebene im Osten - wenn auch nicht alle - 4000 D-Mark erhalten.
Treffen gibt es nach wie vor, etwa bei Heimatnachmittagen. Doch der Verein hat mittlerweile einen neuen Schwerpunkt. Hofmann: "Wir ergießen uns nicht in Selbstmitleid, sondern setzen auf Dialog und geben unsere Kultur weiter."
Und so hat der Verein gerade beim Zusammenstellen einer CD geholfen, welche die Landeszentrale für politische Bildung Schulen zur Verfügung stellt. "Vertriebene erzählen ihre Geschichte, präsentieren ihre Mundart und verraten Kochrezepte", erzählt sie stolz. Die Liste von Aktionen für junge Menschen weist noch weit mehr auf: Der Verein hat schon für Schüler-Interviews bereitgestanden, Schulungen für Geschichtslehrer organisiert und polnische Gymnasiasten mit deutschen Wurzeln mit Gleichaltrigen aus Schönebeck zusammengeführt.
Doch selbst wenn sich Jugendliche von der Arbeit begeistern lassen - Mitglieder werden sie nicht. Hofmann hat Verständnis dafür: "Sie gehören nicht zu denen, die das alles erlebt haben." Und so wird die Mitgliederzahl wohl weiter sinken - was sich auch auf die Finanzlage des Vereins auswirkt: Geld vom Land gibt es nur für Veranstaltungen oder konkrete Projekte, Fixkosten muss er selbst tragen. Auf das Engagement von Hofmann und ihren Mitstreitern wirkt sich der Abwärtstrend nicht aus. Warum? "Wenn unsere Kultur verlorengeht, ist Europa ein Stück ärmer."